Die bösen Zwillinge

  31.07.2020

BLICK IN DIE WELT

Es gibt auf der Welt verschiedene Ländertandems, die mindestens in der Wahrnehmung von spezifischen Gruppen fast nicht alleine existieren. Zum Beispiel die USA und Kanada, Spanien und Portugal, Österreich und die Schweiz, Schweden und Norwegen oder Indien und Pakistan. Fast immer haben die Länder durch ihre Nachbarschaft eine gemeinsame Geschichte, waren in einigen Fällen sogar einmal ein geeintes Land oder sind sich geografisch sehr ähnlich.

Interessant dabei finde ich, dass diese Länder von aussen fast immer in eine Wertungsreihenfolge gebracht werden: Die Kanadier sind die netten Amerikaner. Die Österreicher sind zwar netter als die Schweizer, haben aber die schlechteren Berge. Die Schwedinnen sind blonder als die Norwegerinnen. Die Inder sind besser in Computertechnik als die Pakistani. Wirklich erstaunlich ist dabei aber, dass das nicht nur die jeweils beteiligten Länder machen, sondern auch (soweit ich das beurteilen kann) auch von aussen so gesehen wird.

Vor diesem Hintergrund will ich über Eishockey sprechen. Wie in praktisch allen Sportarten wurde die nordamerikanische Profiliga NHL im März unterbrochen. Richtig: unterbrochen und nicht abgebrochen. In Nordamerika ist es nämlich kein Unding, mitten im Sommer Eishockey zu spielen. Schliesslich gibt es auch in Städten Teams, bei denen es so oder so nie Winter ist. Zum Beispiel in Las Vegas, Florida oder im Wüstenstaat Arizona.

Auf jeden Fall geht die Saison Anfang August weiter. Es gibt verkürzte Playoffs in zwei sogenannten Hub-Cities: Alle Teams leben in einer abgeschotteten Blase, die Hotel, Eishalle und Freizeitmöglichkeiten umfasst. Diverse Städte in den USA und Kanada haben sich als ebensolche Hub-City beworben. Lange war Orlando in Florida ein heisser Favorit – bis klar wurde, dass Florida auf Grund der Corona-Zahlen wohl kaum in Frage kommt. Das Saisonende findet jetzt in Edmonton und Toronto, zwei kanadischen Grossstädten, statt. Dort ist die Corona-Epidemie sehr viel besser unter Kontrolle als in den USA.

Interessant sind die Gründe dafür: Warum sind die USA der böse Zwilling, Kanada der gute? Man könnte jetzt schreien: Trump ist schuld! Aber im Grundsatz kann das nicht sein. Denn die Mordraten, Umweltsünden und Politquerelen waren in den USA schon deutlich höher, als Trump sich noch ausschliesslich mit Golf und guten Deals beschäftigte. Es scheint tatsächlich so etwas wie einen nationalen Geist, einen Gesellschaftskodex zu geben, der das Leben in Kanada besser macht, als es in den USA ist. Einfach netter geboren werden die Kanadier kaum, die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind nicht identisch, aber vergleichbar. Und auch politisch sind die Systeme auf dem Papier gar nicht so unterschiedlich.

Ich persönlich bin auf eine etwas beängstigende Antwort gekommen. Wo sich Kanada und die USA nämlich dramatisch unterscheiden, ist die Auffassung von Freiheit. Die amerikanische Auffassung von Freiheit mag über die Jahre pervertiert worden sein, aber es ist immer noch die grösstmögliche persönliche Freiheit, die einem in einem demokratischen Staat gewährt wird. Was anscheinend zu einer schlechteren Gesellschaft führt.

Das wirft auch die Frage auf, ob wir Menschen mit so viel Freiheit überhaupt umgehen können? Und überhaupt: Warum wollen wir unbedingt so viel Freiheit, wenn das Endergebnis so herauskommt? Wenn das zu viele Grundsatzfragen für Sie sind, kann man sich aber auch damit beschäftigen, warum die Schweizer als weniger freundlich als die Österreicher gelten. Möglicherweise hat das ja auch mit persönlichen Freiheiten zu tun.

SEBASTIAN DÜRST
[email protected]


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