Die Konzernverantwortungsinitiative: auch innerhalb der Kirche heiss diskutiert

  28.08.2020 Kirche

Die Konzerninitiative ist in aller Munde. Am 29. November dieses Jahres stimmen die Schweizer Stimmberechtigten ab, ob multinationale Konzerne für ihre Vergehen rund um den Globus in der Schweiz haftbar gemacht werden können. Aber ist das so einfach möglich? Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn unterstützen das Initiativkomitee offiziell mit der Begründung, dass die Initiative auf zwei zentralen Anliegen der biblischen Botschaft und des christlichen Glaubens beruhe: Bewahrung der Schöpfung und Nächstenliebe. Diese Unterstützung wurde durch den Synodalrat eingeleitet, ohne das Kirchenparlament, die Synode, dazu Stellung nehmen zu lassen. Doch innerhalb der Kirchenlandschaft sind nicht alle gleicher Meinung.

Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ist die einzige Kantonalkirche der Schweiz, die sich dezidiert für die Initiative einsetzt. Das Abstimmungsthema polarisiert auch in den Kirchgemeinden: Nicht alle, die sich Christenmenschen nennen, sind für die Initiative. Deshalb hat sich das Mitarbeiterteam der Kirchgemeinde Saanen-Gsteig dazu entschieden, seine Meinungen publik zu machen. Sie lesen nachfolgend vier verschiedene Stimmen unserer Kirchgemeinde. Setzen Sie sich mit der Abstimmungsvorlage auseinander, bilden Sie sich eine Meinung, Informationen gibt es genug.

DANIEL BURRI


Marianne Aegerter

Als Christenmenschen haben wir den Auftrag, zu Mensch und Schöpfung Sorge zu tragen. Wir haben ein positives Menschenbild – das heisst, wir sind der Meinung, dass jeder Mensch als Geschöpf eine unantastbare Würde besitzt. Allerdings darf christlicher Glaube nicht für die Propaganda einer Initiative instrumentalisiert werden. Wie ich abstimmen werde, weiss ich noch nicht. Auf der einen Seite bin ich der Meinung, dass wir uns nicht aus der Verantwortung schleichen dürfen! Wenn es um Shareholder-Value geht, zählt der Profit.

Darum: Ja! Gesetzliche Verpflichtungen sind notwendig, um die Unternehmen und ihre Aktionäre in die Verantwortung zu nehmen. Auf der anderen Seite stellt sich mir die Frage, ob wir übers Ziel hinausschiessen: Nicht nur Unternehmen mit Sitz in der Schweiz werden den neuen Richtlinien unterworfen. Auch deren Geschäftspartner im Ausland sollen kontrolliert und zur Übernahme der gesetzlichen Verpflichtungen gebracht werden.

Allerdings haben wir in dieser Frage längst nicht die Vorreiterrolle, wie gerne behauptet wird. Im Gegenteil! Bei uns fehlt eine spezifische Regulierung für Rohstoffe wie auf anderen Finanzplätzen. Der Umfang der zivilrechtlichen Haftung, wie die Vorlage ihn anstrebt, ist in den juristischen Systemen von Frankreich, Niederlande, Grossbritannien und Deutschland bereits in Kraft. Weiter geht es um die 1500 in der Schweiz ansässigen multinationalen Konzerne. KMU mit unter 250 Angestellten sind von der Initiative nicht betroffen (Ausnahme: Hochrisikobereiche wie Gold- oder Diamantenhandel).

Ich gebe keine Abstimmungsempfehlung ab. Aber ich appelliere an Sie, dass Sie sich informieren, Verantwortung übernehmen und abstimmen. Das Thema geht uns alle an.

Quellen: Bund, RefBeJuSo, Amnesty International


Peter Klopfenstein

Soll sich Kirche wirklich in die Politik einmischen? Wer so fragt, übersieht, dass jedes Reden, Schweigen, Handeln oder Unterlassen Politik ist. «Alles ist Politik» gilt für alle menschlichen Lebensbereiche. Nun bin ich auch der Meinung, dass die Kirche sich nicht zu jeder politischen Initiative äussern muss. Ihr Kernbereich ist das Evangelium, die Botschaft, dass wir alle durch die Liebe Jesu Christi gerettet und befreit sind.

Dass es die Liebe ist, die uns belebt, hat allerdings Auswirkungen auf die
Ethik. «Wie Wasser ströme das Recht», heisst es schon beim Propheten
Amos.

Ich meine, der Kirche kann es nicht egal sein, wenn grundlegende Menschenrechte und Umweltstandards verletzt werden. Gerade auch, wenn dies durch die «Starken» einer Gesellschaft an den «Schwachen» geschieht. Die Kirche hat sich in den 80er- und 90er-Jahren verpflichtet, einen Lernweg für «Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung» zu gehen. Einen Lernweg, der uns als Christenmenschen vorwärtsdrängt. Oder sollten wir wirklich zurücktreiben wollen? Ist das der «Neue Weg», wie das Christentum am Anfang bezeichnet wurde? Sicher nicht :)

Es ist eine tägliche Anfrage an uns, welchen Weg wir einschlagen wollen. Es kann uns aber niemand von aussen aufzwingen, wie wir uns zu verhalten haben. Auch nicht in Abstimmungsfragen. Auch nicht eine Kirche. Und so kann auch niemand sagen, nur ein Ja sei bei der Konzernverantwortungsinitiative richtig und christlich – oder umgekehrt. Die Kirche aber kann in unserer direkten Demokratie ein Ort sein, an dem sachlich um richtige Entscheidungen gerungen wird, ohne einander den Glauben abzusprechen.

Seien wir dankbar für sachgerechte Argumente pro und kontra, um einen Gewissensentscheid zu fällen.


Daniel Burri

Soll sich die Kirche politisch äussern? In einer gross angelegten Studie haben rund 90 Prozent der Konfirmanden in Europa angegeben, dass sich die Kirche für Menschenrechte einsetzen soll. Die Kirche kann gar nicht unpolitisch sein, wenn sie ihren Auftrag erfüllen will. Denken Sie nur an den Sonntagsschul-Evergreen «Gott het die ganz wiit Wält»: Dort heisst es «Är het die Schwarze und die Wysse» oder «Är het die Arme und die Ryche, är het die ganzi Wält i sire Hand». Glauben wir das wirklich? Wenn das nicht ein politisches Statement ist. Die Kirche soll nicht zu politischen Fragen wie «Soll die Schweiz der EU beitreten?» Stellung beziehen, aber immer dann, wenn es um die Schwächsten in unserem Land oder auf der Welt geht. Klassische Beispiele sind die Waffenexportverbotsinitiative oder eben die Konzernverantwortungsinitiative. Hier kann der christliche Auftrag gar nicht klarer zum Ausdruck kommen. Konzerne sollen für ihr weltweites Tun geradestehen und an ihrem Sitz zur Verantwortung gezogen werden können. Wenn sie es heute bereits täten, wäre eine Annahme für die Konzerne kein Problem, dann müssten sie und ihre Tochterfirmen nichts ändern. Die Initiative zeigt auf, dass wir alle von einem globalen Ungleichgewicht profitieren: Die westlichen Regierungen und Konzerne halten den globalen Süden bewusst klein und bedürftig. Und wer profitiert davon? Wir Schweizer Bürger. Egal ob Sozialhilfeempfänger oder Multimillionär, wir alle profitieren davon, dass ärmere Länder weniger Kaufkraft und Wohlfahrt haben als wir. Natürlich kann ich als Einzelner bewusst Fair Trade einkaufen, vielmehr nützt es aber, wenn ich von unserer direkten Demokratie Gebrauch mache, und zwar nicht nur bei der besagten Initiative. Je mehr ich mir das bewusst bin, desto eher stimme ich für die Benachteiligten. Denn auch sie hält Gott in seinen Händen, selbst wenn ich keinem von ihnen je persönlich begegnen werde.


Bruno Bader

Schweizer Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand in unserem Land und zum Wohlergehen der Menschen in jenen Ländern, in denen sie tätig sind. Eigene Einsichten und der Druck von NGOs führen dazu, dass Fragen der Menschenrechte und Umweltschutzstandards zunehmend berücksichtigt werden. Zudem können sich grosse Unternehmen nicht mehr leisten, die genannten Grundsätze zu missachten; die öffentliche Empörung wäre (zu Recht) gross. Hilfswerke dagegen akzentuieren die Dringlichkeit von Problemen stärker, als es sachlich angemessen ist; diese Haltung ist nachvollziehbar, denn mit der Bewirtschaftung von (vermeintlichen) Übeln generieren sie Spendengelder.

Zur Diskussion steht also nicht, ob Menschenrechte und Umwelt geschützt werden sollen, sondern wie. Die Initianten der KOVI sind der Meinung, dass die bisherige Strategie der Selbstverpflichtung von Unternehmen gescheitert ist und schlagen eine neue Gesetzgebung mit der Möglichkeit von Gerichtsverfahren vor. Ich halte diesen Weg für falsch. Die meisten Unternehmen gehen Probleme heute im Dialog mit Betroffenen an und suchen einvernehmliche Lösungen. Die Annahme der Initiative würde dazu führen, dass nunmehr Juristen das Zepter übernähmen, es drohte eine eigentliche Verrechtlichung. Diese Entwicklung wiederum hielte Unternehmen wegen möglicher Haftungsklagen davon ab zu investieren. Ein solcher Rückzug aber schadete den Menschen vor Ort und verschlechterte ihre ohnehin prekäre Situation; zudem schaffte er Platz für Unternehmen mit keinerlei Skrupel.

Zudem: gemäss UNO-Richtlinien ist es nicht Aufgabe eines einzelnen Landes, für den Schutz der Menschenrechte andernorts zu sorgen. Solches ist Sache des jeweiligen Staates bzw. der Staatengemeinschaft. Die KOVI dagegen versetzt die Schweiz in die Rolle einer Richterin. Diesen Anspruch allerdings halte ich für überheblich und neokolonialistisch.


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