«Wir wollen mit den Behörden zusammen eine Lösung suchen»

  29.09.2020 Saanenland

Die vom Gemeinderat beschlossene Schliessung der Oberstufe Turbach-Bissen lässt die Wogen in der Bäuert hochgehen. Der Widerstand regt sich nicht grundsätzlich gegen die Klassenschliessung. «Mit einer Zusammenlegung von Klassen kann man eine Klasse schliessen, ohne die Oberstufe ins OSZ zu verlegen», betont Judith Allenbach im Namen des neu gegründeten Vereins Pro Bäuertschule Turbach-Bissen.

ANITA MOSER
Die Oberstufe der Schule Turbach-Bissen wird Ende kommenden Sommer geschlossen und ab dem neuen Schuljahr 2021/22 ins Oberstufenzentrum Ebnit integriert. Gegen diesen vom Gemeinderat getroffenen Entscheid formiert sich Widerstand. Vor gut einer Woche wurde auf Initiative von Eltern von Schulkindern sowie einer jüngeren Person ohne Kinder der Verein Pro Bäuertschule Turbach-Bissen gegründet. Derzeit besteht der Verein aus den vier Vorstandsmitgliedern Christine Frautschi, Hansjakob Bach (Präsident), Debora Bach und Judith Allenbach. Zur Wahl in den Vorstand stellen sich zudem Bruno Frautschi und Margrith Brand aus der Bissen. «Mit dem Verein will man sich mit allen Möglichkeiten gegen die geplante Schliessung wehren und sich grundsätzlich für die Bäuertschule Turbach-Bissen einsetzen», erklärt Judith Allenbach.

Bäuert fühlt sich übergangen
Auslöser für die Vereinsgründung ist das Vorgehen der Behörde. «Die Bäuert fühlt sich übergangen», sagt Vorstandsmitglied Judith Allenbach. Ohne Vorwarnung, ohne Anhörung seien die Eltern per Brief (die Bewohner der Bäuerten überhaupt nicht) informiert worden, dass die Oberstufe, die 7. bis 9. Klasse, Ende Sommer 2021 geschlossen werde. Die Zukunft der Mittelstufe, der 4. bis 6. Klasse – Weiterführung im Turbach oder Integration in die Primarschule Rütti – war dann Thema einer Elternveranstaltung am 9. September, zu dem die Behörden eingeladen hatten. Eine Schliessung der Mittelstufe würde für Turbach die Schulstandortschliessung bedeuten, welche einem Gemeindeversammlungsbeschluss unterliegt. «An diesem Informationsabend kam es zu heftigen Diskussionen», erzählt Judith Allenbach. Eine an diesem Abend vonseiten der BiKo versprochene Wiedererwägung sei hingegen später von dieser Kommission abgelehnt worden, worauf der Gemeinderat die Schliessung der Oberstufe offiziell kommuniziert hat (siehe AvS vom 18. September).

Aus vier mach drei
Grundsätzlich habe man in der Bäuert Verständnis für den Entscheid der Behörde. «Wir sehen, dass die Schülerzahlen sinken, dass der Kanton sparen und eine Klasse geschlossen werden muss», so Allenbach. «Und es ist der Auftrag der Bildungskommission, die Vorgaben des kantonalen Schulinspektorats umzusetzen. Dahinter stehen wir.» Allerdings gibt es aus Sicht des Vereins eine andere, eine bessere Lösung als die Schliessung der Oberstufe. «Wir sind gewillt, eine Klasse zu schliessen», befand eine grosse Mehrheit am Informationsabend. Heute gibt es in der Schule Turbach-Bissen vier Klassen, nach dem Vorschlag des Vereins wären es noch drei: Kindergarten bis 1. Klasse, 2. bis 4. Klasse sowie die 5. bis 9. Klasse. «Pro Klasse hätte es zwischen 15 und 22 Schülerinnen und Schüler», so Allenbach.

Erfahrener Lehrer
Für ihren Entscheid, die Oberstufe Turbach-Bissen ins OSZ zu integrieren, hat die BiKo den pädagogischen Aspekt hervorgehoben: Niveauunterricht in einzelnen Fächern wie Fremdsprachenuntereicht, Mathematik und Deutsch oder die klassenweise Vorbereitung auf die Lehre. «Unser Oberstufenlehrer bietet auch individuellen Unterricht an», erklärt Allenbach. Zudem sei er gewillt, die 5. bis 9. Klasse zu übernehmen. «Er ist sehr erfahren im Unterrichten von Mehrjahrgangsklassen», betont Allenbach. Das Argument, dass man keine Lehrer finde, sei damit entkräftet. Zudem wäre die Schule Turbach-Bissen kein Exot, denn es gebe solche Mehrjahrgangsklassen noch in vielen Gemeinden im Kanton. In der Basisstufe in der Rütti seien auch vier Jahrgänge zusammen. «Und im Turbach soll es aus pädagogischen Gründen nicht möglich sein, fünf Klassen zusammenzulegen?», fragt Allenbach.

Gegen Alleingang mit einer Gesamtschule
Eher skeptisch steht man im Verein zum Vorschlag einer Gesamtschule im Turbach, wie sie der ehemalige Lehrer Sigi Amstutz in einem Leserbrief in dieser Zeitung vorschlägt. «Das ginge nur im Alleingang», betont Judith Allenbach. «Man rechnet in den nächsten Jahren mit Schülerzahlen von 40 bis 45 Kindern in den Bäuerten Turbach und Bissen zusammen.» Mit den 18 Kindern von der 1. bis 9. Klasse im Turbach liesse sich eine Gesamtschule realisieren. «Man würde damit aber die Bissner ausschliessen», so Allenbach und hält klar fest: «Das Ziel des Vereins ist eine Schule für die Bäuerten Turbach und Bissen. Nur wenn die beiden Bäuerten zusammenarbeiten, besteht eine Chance, beide Schulstandorte zu erhalten.»

Aus rein geografischer Sicht würden einige Familien – im Badweidli oder an der Lauenenstrasse – mit der Aufhebung der Oberstufe im Turbach zwar von kürzeren Schulwegen profitieren. Sie könne verstehen, wenn sich die betroffenen Familien eher nach Gstaad oder in die Bissen orientierten, so Allenbach, «aber wir können die Schule im Turbach nur erhalten, wenn wir uns zusammentun und diese Familien für wenige Jahre längere Schulwege in Kauf nehmen».

Weitreichende Konsequenzen befürchtet
Die Schliessung der Oberstufe werde für das Tal weitere einschneidende Konsequenzen haben. Als nächster Schritt drohe die Aufhebung des Schulstandortes. «Es wird gehen wie mit der Schule im Grund», befürchtet der Verein. «Die Oberstufe ist das Herzstück des Tales mit ihrem Theater, mit ihrer Kultur, der Schulreise. Das ist unsere Tradition und diese macht das Turbachtal aus», so Allenbach. «Wenn die Schule fehlt, wird möglicherweise das Postauto gestrichen, dem Tal droht die Entvölkerung.»

Die Oberstufe im Turbach sei neben jener am OSZ die einzige auf dem ganzen Gemeindegebiet. «Wir haben in der Schule Turbach-Bissen regelmässig Kinder aus anderen Schulkreisen integriert, welche sich dort nicht zurechtgefunden haben. Bei einer Schliessung der Oberstufe Turbach-Bissen fehlt diese Alternative.» Kleine Schulen böten zudem viele Vorteile. «Ich bin überzeugt», so Judith Allenbach, «dass die Sozialkompetenz in einer kleineren Schule mit mehreren Jahrgängen höher ist als an grossen Schulen mit Jahrgangsklassen.»

Petition gestartet
Christine und Simon Frautschi aus dem Turbach haben eine Petition lanciert, die Unterschriftensammlung dauert noch bis Mitte Oktober. Ohne die Oberstufe mit ihren Besonderheiten wie dem jährlichen Theater oder der Schulreise zusammen mit den Eltern fehle ein Herzstück des Dorflebens, schreiben die Petitionäre. Ausserdem verliere Turbach ohne Schule an Attraktivität für junge Paare und Familien. Eine fortschreitende Überalterung und ein Rückgang der Bevölkerungszahl mit negativen Auswirkungen auf die notwendige Infrastruktur seien die längerfristigen Folgen. Die Petitionäre fordern vom Gemeinderat und der BiKo den Erhalt der Schule Turbach-Bissen inklusive Oberstufe, eine bessere Kommunikation und die Anhörung der gesamten Bäuert bei der Lösungsfindung sowie die Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen und sozialen Aspekte einer Oberstufe im Turbach.

Nicht gegen, sondern mit dem Gemeinderat
Der Verein unterstützt die Petition. Der Gemeinderat hat Kenntnis von der Unterschriftensammlung. «Nach deren Eingang wird der Gemeinderat über die vorgebrachten Anliegen befinden», heisst es dazu im AvS vom 18. September. Diese Chance will der Verein Pro Bäuertschule Turbach-Bissen nutzen. «Wir wollen mit dem Gemeinderat das Gespräch suchen», betont Judith Allenbach im Namen des Vereinsvorstandes. «Wir wollen mit den Behörden zusammen eine Lösung suchen.»

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote