Altes Geheimnis verlangt nach Aufklärung

  08.09.2020 Region, Leserbeiträge

Welch passende Zeit es ist, einmal richtig aufzuräumen und sich von allem zu befreien, das man nicht mehr braucht! Hans Bettler aus Gsteig hat genau dies getan und seinen Estrich gründlich entrümpelt – dabei ist ihm unten stehender Brief in die Hände gefallen. Er wurde im Jahr 1897 von einem gewissen Robert verfasst und richtet sich an dessen Vetter. Wer die beiden jedoch sind, ist zurzeit niemandem bekannt, denn der Brief steckte mit anderen in einem unadressierten Kuvert. Hans Bettler weiss selbst nicht mehr, woher er diesen vergessenen Brief überhaupt hat. Lange war er Postbote in der Region und bekam ab und an alte Briefe und Fotos zugesteckt, welche ansonsten fortgeworfen worden wären. «Ich habe diese Sachen immer mitgenommen, aber nie wirklich angeschaut. Erst beim Aufräumen habe ich diesen Brief gelesen.»

Wer weiss mehr?
Zu gerne möchte der Entdecker des Dokuments wissen, in welchem Kontext es geschrieben worden ist und wer Absender und Empfänger waren. Wissen Sie mehr darüber?

Selbst wenn das Geheimnis dieses Briefes für immer verschleiert bliebe: Die freche und doch poetische Schreibweise Roberts mit seinen unbezahlbaren Kommentaren zum Saanenland sind ein Genuss – und definitiv ein Schmunzeln wert.

NADINE HAGER

Hinweise an [email protected]


Lieber Vetter!

Lyss, le 23. August 1897
Nun komme ich endlich dazu, Dir einmal zu schreiben. Nicht, weil ich Dich vergessen, habe ich niemals geschrieben, sondern aus lauter Gleichgültigkeit und weil ich, gerade herausgesagt, immer zu faul war. Nun komme ich doch dazu.

In erster Linie möchte ich mich erkundigen, ob Du gesund und munter bist, ob Du überhaupt noch lebst. Vielleicht bist Du verlobt oder gar verheiratet? Denn von allem, was geht, vernehme ich nicht viel, da mir meine Eltern höchst selten schreiben und immer ganz kurz.

Wie Du weisst, bin ich am 14. Januar 1896 hier im Bureau eingetreten und habe nun also die halbe Lehrzeit absolviert. Während dieser Zeit ging es mir äusserst gut und ich kann bestimmt sagen, dass ich hier mein Glück gefunden habe. Aber trotzdem meine Mutter mir manchmal gesagt hatte, ich werde noch bitter ans Heim denken, ist es nicht der Fall. Im Gegenteil, ich möchte nicht für viel im Grund sein und werde auch niemals wieder für immer dorthin gehen, um in aller Mühe mein Brod zu verdienen. Überhaupt ist es hier viel schöner als in dem Schneeloch. Wie Dir meine Eltern vielleicht mitgeteilt haben, war ich letzthin gewaltig von Krankheit heimgesucht. Zu Ostern lag ich 14 Tage im Bett und 6 Wochen darauf musste ich wieder das Bett für 3 Wochen hüten. Nun bin ich wieder hergestellt und fühle mich ganz gesund und kann nach Kräften arbeiten. Es gibt Tage, da wir es sehr streng haben und am Abend entsetzlich müde sind im Kopfe, aber das gefällt mir nur gut. Hier hatte ich aber auch Gelegenheit, mehrere Städte kennenzulernen; denn ich habe schon manche Reise unternommen. Überhaupt ist Lyss ein ganz schönes und heimeliges Dorf und mit den Leuten ist auch besser umzugehen als mit den Geizhälsen in Saanen und ich kann nur sagen, dass es mir sehr gut gefällt. Für Kost & Logis bezahle ich 40 fr. im Monat. Die Kost ist aber wie man sie in Saanen nirgends findt. Am Morgen habe ich immer Milch und Brot, Kaffee trinke ich gar keinen. Am Mittag immer Fleisch und Wein und am Abend wieder Milch, Anken und Confiture. Also auch hier habe ich nichts zu klagen. Wie ich gelesen und erfahren habe, wird anfangs September ein Truppenzusammenzug stattfinden und ich denke, dass Du auch an demselben teilnehmen musst. Da möchte ich Dich nun hiermit bitten, mich einmal zu besuchen, was mir natürlich eine grosse Freude wäre, denn jetzt haben wir uns schon lange nicht mehr gesehen und ich hoffe, dass Du mir diese Bitte nicht abschlagen wirst, denn von Bern ist es nicht weit bis nach Lyss und das würde Dir und mir ein lustiger Tag geben. Auf alle Fälle bitte ich Dich, mir zu schreiben, ob Du am Zusammenzug teilnehmen musst, auch möchte ich gerne wissen, wie es Dir geht und was Du eigentlich machst. Ich werde in ganz kurzer Zeit meinen lieben Grosseltern auch ein Lebenszeichen von mir geben. Wenn Du mir schreibst, so schreibe mir auch, ob meine Eltern eigentlich zornig über mich sind, dass sie mir nicht schreiben, denn ich kann es gar nicht begreifen.

Ich möchte Dir aber noch anraten, ein ganzes Quantum Geld mitzunehmen, damit wir tüchtig saufen können wie die Löcher. Also verstanden! nicht wahr!?

Ich hoffe nun, du seiest gesund und munter und werdest mir bald schreiben, schliesst mit freundlichem Gruss Robert


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