Fortschrittlich oder missraten?

  11.09.2020 Interview

ANITA MOSER

Werner Dänzer, Sind Sie selber von Wolfsrissen betroffen?
Nein, ich persönlich nicht, aber im Bekanntenkreis vernimmt man immer wieder von Rissen und Schäden.

Sind Sie schon einem Wolf begegnet?
Nein, hier in der Schweiz ist mir noch keiner begegnet, aber Wolfsspuren sehe ich regelmässig in der Region.

Das revidierte Jagdgesetz mache Abschüsse «auf Vorrat» möglich, Tiere geschützter Arten könnten geschossen werden, ohne dass sie je Schäden angerichtet hätten, argumentieren die Gegner. Was sagen Sie dazu?
Mit dem neuen Jagdgesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass die Kantone mit ihren Wildhütern unter sehr strengen Richtlinien und nach Rücksprache mit dem Bund in überhöhten Beständen regulierend eingreifen können. Auch die Artenvielfalt darf nicht gefährdet werden. Dazu gehört für mich nicht nur der Wolf, der im Moment recht für Diskussionen sorgt. Auch der Auerhahn, der vom Aussterben bedroht ist, um ein Beispiel zu nennen, wird immer seltener, weil dessen Bestand unter den hohen Raubtierbeständen wie auch den fehlenden Ruhezonen leidet. Auch wenn Wölfe die Scheue verlieren und in Siedlungsgebiete eindringen und Haus- und Nutztier trotz Schutzmassnahmen gefährden, können Abschüsse gemacht werden.

Das geltende Gesetz erlaubt es schon heute, einzelne «Problemwölfe» abzuschiessen. Selbst massive Dezimierungen von Rudeln sind gesetzlich möglich. Weshalb reicht das nicht aus?
Aus meiner Sicht würde das vollkommen ausreichen. Hier geht es aber darum, die Kompetenz auf die Kantone zu übertragen, weil diese näher bei den Betroffenen sind und besser auf die regionalen Verhältnisse Rücksicht nehmen können.

Luchs und Wolf verhindern den übermässigen Verbiss des Jungwaldes durch Hirsch und Reh. Sie sichern als Teil des Ökosystems artenreiche und stabile Schutzwälder. Das heisst, sie übernehmen eigentlich die Arbeit der Jäger. Hand aufs Herz: Ist der Wolf ein Raubtier, das raubt, was die Jäger selber schiessen wollen? Ein unliebsamer Konkurrent im Wald?
Um zu überleben, sind Grossraubtiere natürlicherweise darauf angewiesen, Beute (Reh/Gams/Hirsch) zu erlegen. Das Argument, dass durch Grossraubtiere die Wildbestände besser verteilt werden und somit kein überhöhter Wildbestand in Wäldern entsteht, ist trügerisch. Das Wild wird sich an Orten hinziehen, wo es vor Grossraubtieren aufgrund der Topografie im Vorteil ist. Und dies sind in unseren Gebieten vorab Objektschutzwälder, die eben von Wildverbiss geschont werden sollten. Ein Nebeneinander mit Grossraubtieren hat ja bis jetzt recht gut funktioniert. Die Jagd unterliegt einer Planung, die im Moment alle zwei Jahre gemacht wird. Hierzu werden die 17 Wildräume im Kanton einzeln beurteilt, das heisst, auf die regionalen Bestände kann bei der Planung Rücksicht genommen werden. Zudem ist im kantonalen Gesetz verankert, dass die Jagd nachhaltig sein muss.

Mit der Änderung des Jagdgesetzes will man Wolfsrissen bei Schafen und Ziegen vorbeugen. Es ist unbestritten: Wo es Wölfe hat, muss man die Schafe und Geissen intensiv behirten und schützen. Italien macht es vor. In Wolfsgebieten werden die Schafe von Hirten und Schutzhunden begleitet. Nachts kommen sie in einen Nachtpferch, bewacht von Hunden. Verluste von Schafen sind dank dem professionellen Herdenschutz in Italien minim. Offenbar klappt das in der Schweiz nicht. Weshalb?
Auch in der Schweiz wird meiner Meinung nach sehr viel für den Herdenschutz gemacht. Auch in Italien gibt es nachweisbar Probleme mit Wölfen. Dazu können andere Einflüsse, wie zum Beispiel die geografische Lage der Weiden kommen, wo ein Einzäunen über Nacht nicht möglich ist. Bei näherem Betrachten des Themas Herdenschutz muss man aber ehrlicherweise die Problematik mit Schutzhunden, Einzäunung und Behirtung auch erwähnen. Was ist mit Schutzhunden, die nicht geeignet sind? Werden dann statt dem stetigen Ausmähen der Einzäunung Pestizide verwendet? Können Hirten sozialgerecht angestellt werden? Der Druck auf den Lebensraum des Wildes mit der extensiven Landwirtschaft und dem geforderten Herdenschutz mit Hunden und Flex-Zäunen wird zu noch mehr Stress für das Wild führen.

Welche Auswirkungen hätte das Inkrafttreten des revidierten Jagdgesetzes auf die jagdlichen Aktivitäten im Saanenland?
Im Moment hätte es keine Auswirkung auf die Jagd. Doch mir als Jäger ist ein zeitgemässer Artenschutz sehr wichtig. Mit dem neuen Gesetz machen wir einen Schritt in die richtige Richtung. Nach Inkrafttreten des neuen Eidgenössischen Jagdgesetzes und der dazugehörenden Verordnung wird es in einem weiteren Schritt Anpassungen für die Jagd im Kanton Bern geben.

Gemäss Gesetzesentwurf soll «vorausschauend und massvoll in die Bestände eingegriffen werden können». Wer definiert im Einzelfall «vorausschauend und massvoll»?
Letztendlich das BAFU, das Bundesamt für Umwelt.

Wie können allfällige Abschüsse kontrolliert werden?
Da allfällige Abschüsse von der Wildhut, dem kantonalen jagdpolizeilichen Organ, getätigt würden, liegt die Kontrolle somit direkt beim Kanton, d. h. beim Jagdinspektorat des Kantons. Der «normale» Jäger, die Jägerin hat mit diesen allfälligen Abschüssen nichts zu tun. Die allfälligen Abschüsse haben keinen Zusammenhang mit der ordentlichen Jagd.

Der Artenschutz werde ausgebaut, argumentieren die Befürworter. Das Gegenteil sei der Fall, sagen die Gegner. Bedrohte Arten wie Feldhase, Birkhahn, Schneehuhn und Waldschnepfe gehörten unter Schutz gestellt.
In der jetzigen Situation kennen nur noch sehr wenige Kantone eine Jagd auf diese Wildarten. Im Kanton Bern ist die Jagd auf Feldhasen, Schneehasen, Birkhahn und Schneehuhn schon seit Jahrzehnten verboten.

Gemäss dem gegnerischen Komitee müsste die Baujagd auf den Fuchs verboten werden. Wie stehen Sie zu dieser Jagd?
Die Baujagd leistet zur Regulierung des Fuchsbestandes auch einen Beitrag, damit der Beutedruck der zuvor genannten Arten nicht zu hoch und deren Bestände nicht zusätzlich in Bedrängnis geraten. Wie erwähnt, muss der Kanton sein Jagdgesetz und die Verordnung anpassen wie auch jagdbare Tierarten weiterhin unter Schutz stellen. Ebenso bei der Baujagd soll der Kanton die Möglichkeit haben, diese selbst zu reglementieren!


ZUR PERSON

Werner Dänzer ist Präsident des Wild- und Jagdschutzvereins Saanenland. Der 43-jährige Vater eines dreijährigen Sohnes ist Produktionsleiter Bereich Schreinerei und wohnt im Abländschen.


Daniel Bach, weshalb sind Sie gegen das Jagdgesetz?
Abschüsse von Wölfen sind schon jetzt möglich – sofern das Tier einen gewissen Schaden angerichtet hat. Bis jetzt können Tiere nicht prophylaktisch abgeschossen werden. Bei Annahme des Gesetzes wird das möglich. Das wäre, wie wenn man Menschen prophylaktisch wegsperren würde, weil sie zu Verbrechern werden könnten. Persönlich habe ich das Gefühl, dass es sich um ein Gesetz für den Kanton Wallis handelt.

Mit welcher Begründung?
Im Wallis ist der Druck von den Wolfsgegnern sehr gross. Ich befürchte, die Walliser Regierung wird nicht so pragmatisch entscheiden, wie es eine Bundesstelle tun würde.

Sie sind der Meinung, dass weiterhin der Bund entscheiden soll und nicht die Kantone?
Genau. Die kantonalen Entscheidungsträger sind im Dilemma, genau wie jene im Saanenland, welche nicht die Meinung der Mehrheit teilen. Nur die wenigsten getrauen sich, öffentlich zu ihrer Meinung zu stehen. Warum soll sich der Walliser, der gewählt ist und irgendwann wieder gewählt werden will, gegen all die Bergler stellen und ihnen etwas absprechen, was diese unbedingt wollen? Entscheidungsträger in irgendeinem Bundesamt in Bern kümmert das wohl nicht.

Gibt es auch Gründe, die für das Gesetz sprechen?
Ganz sicher die Wildkorridore. Es ist eine vernünftige Idee, dass die Kantone in dieser Hinsicht besser zusammenarbeiten. Aber die Vorbehalte gegen das Gesetz überwiegen.

Weshalb?
Die Vernehmlassung zur Verordnung läuft derzeit noch, man weiss bis zur Abstimmung nicht genau, wie gewisse Artikel definitiv geregelt werden. Beispielsweise kann der Bundesrat gemäss neuem Gesetz relativ einfach neue geschützte Tiere wie den Luchs oder den Biber als regulierbar bezeichnen. Und andere seltene Tierarten sind immer noch zum Abschuss freigegeben.

Sind Sie gegen die Jagd?
Nein, ich bin nicht grundsätzlich gegen die Jagd. Die Überarbeitung des Jagdgesetzes ging aus Sicht der Grünliberalen zu Beginn eigentlich in eine richtige Richtung. Was aber nun zur Abstimmung vorliegt, ist halt doch eher ein Abschussgesetz.

Was die Befürworter vehement dementieren.
Die Debatte beweist das Gegenteil. Sie dreht sich fast ausschliesslich um den Wolf, der dezimiert werden soll. Folglich ist es ein Abschussgesetz. Verstehen Sie mich richtig: Niemand, auch ich nicht, will verbissene Tiere sehen. Niemand will überhaupt Blut sehen. Aber sobald das Blut ein paar Kilometer Entfernung hat, ist es für die meisten längst nicht mehr so tragisch. Denken wir nur an die Menschen in den Kriegsgebieten, Menschen, die durch Tretminen zerrissen werden.

Haben Sie schon mal einen Wolf gesehen?
(überlegt lange) Ich vermute eher nein. Gibt es überhaupt Wölfe in der Region? Meiner Meinung müsste es bei der Diskussion nicht nur um den Wolf, sondern um viel grundsätzlichere Fragen gehen.

Und das wären?
Müssen wir jeden hintersten Berg erhalten, ihn auch noch mit einer Strasse erschliessen? Das kann es doch auch nicht sein. Zum Teil werden wir den einen oder anderen Berg aufgeben müssen. Die landwirtschaftliche Nutzung bis weit hinauf hat auch nicht nur positive Auswirkungen. Eine Schafherde, die sich während längerer Zeit auf einer begrenzten Fläche aufhält, verursacht auch Landschaden. Die Paarhufer stechen die Grasnarben ab und das fördert die Erosion, was eh schon ein Problem ist wegen dem Auftauen des Permafrosts. Ich sehe es nicht so tragisch, wenn der eine oder andere abgelegene Flecken nicht mehr genutzt würde. Veränderungen gehören zum Lauf der Zeit.

Es ist ganz klar, der Wolf reisst Schafe. Verstehen Sie die Angst der Schafbesitzer und was raten Sie ihnen?
Es gibt bewährte Methoden, die Tiere zu schützen. Wenn du die Tiere unbeaufsichtigt lässt, steigt logischerweise die Gefahr, dass es zu Rissen durch Wildtiere kommt. Es stürzen aber sicher auch mehr Tiere ab, als gerissen werden. Wenn einem die Tiere am Herzen liegen, lässt man sie nicht tagelang unbeaufsichtigt. Das neue Gesetz hat immerhin den Vorteil, dass Schafbesitzer bei Wolfsrissen nur noch entschädigt werden, wenn sie zuvor Massnahmen zum Schutz ihrer Herde ergriffen haben.

Schutzhunde sind auch nicht unbestritten. Immer wieder hört man von Konflikten zwischen Schutzhunden und Wanderern.
Ich denke, in den meisten Fällen könnten Konflikte verhindert werden, wenn sich der Mensch korrekt verhalten würde. Den Weg nicht verlassen und Abstand halten. Das gilt auch bei Begegnungen mit Mutterkühen.

Am besten geschützt wären die Herden wohl mit Schutzhunden und einem Hirten. Die Behirtung rechne sich finanziell nicht, argumentieren die Schafbesitzer.
Wozu haben wir eigentlich noch Schafe? Auf jeden Fall nicht der Wolle wegen. Man müsste unbedingt den Absatzmarkt stärken. Alles vom Schaf, von der Wolle bis zum Fleisch, müsste verwertet werden und zwar zu einem fairen Preis. Dann könnten sich Schafbesitzer auch Hirten leisten. Unsere Lebensmittel sind grundsätzlich zu billig. Aber für höhere Preise geht halt niemand auf die Strasse.


ZUR PERSON

Daniel Bach ist Mitglied der Grünliberalen Partei. Der 49-Jährige ist gelernter Banker und arbeitet als kaufmännischer Angestellter. Er wohnt mit seiner Partnerin «in wilder Ehe», wie er lachend sagt, in Saanen.

FOTOS: ANITA MOSER


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