Pionierprojekt im Bau: die Wiege des Scherenschnitts

  22.09.2020 Nachbarschaft, Tradition

Ungefähr zehn Jahre lang hat sich die Planung dieses Bauvorhabens hingezogen – dem Projekt Schweizer Zentrum des Scherenschnitts steht jetzt jedoch nichts mehr im Weg. Gegen Ende 2021 wird der Anbau des Musée du Pays d’Enhaut eröffnen können.

NADINE HAGER
Vergangenen Juni war es endlich so weit: Der Spatenstich für das neue Scherenschnittzentrum in ChâteaudOex fand statt. Dieser Zeitpunkt war lange ersehnt von den Mitgliedern des Vereins Scherenschnitt Schweiz – und natürlich auch vonseiten des Museums. «Eigentlich haben wir diesen Bau schon viel früher realisieren wollen», erklärt die Präsidentin von Scherenschnitt Schweiz, Regina Martin, gegenüber dem «Anzeiger von Saanen», «doch leider hat es viele Einsprachen gegeben und die Finanzierung war natürlich aufwendig.» Wegen der Corona-Pandemie habe sich der Spatenstich noch weiter verzögert. Nun aber seien die Finanzierung in Höhe von 3818000 Franken dank Stiftungen, Gönnern/innen und Sponsoren unter Dach und Fach sowie die Bauarbeiten im Gang – und etwas schweizweit Einzigartiges kann entstehen.

Die Wiege des Scherenschnittes
In der ganzen Schweiz werden Scherenschnitte bisher nur verstreut und in kleinem Rahmen ausgestellt. Das Scherenschnittzentrum wird deshalb der erste Ort sein, an welchem diese Kunstwerke in grosser Zahl zentralisiert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dass dieses Pionierprojekt ausgerechnet in Château-dOex realisiert wird, ist für Regina Martin von besonderer Bedeutung. «Diese Region ist die Wiege des Scherenschnitts. Deshalb haben wir, die Mitglieder von Scherenschnitt Schweiz, so Freude daran, dass dieses Zentrum gesamtschweizerische Bedeutung erlangen wird.» Die ersten traditionellen Scherenschnitte, welche Alpaufzüge zeigen, wurden nämlich im Pays d’Enhaut von Johann-Jakob Hauswirth (1809–1871) und Louis Saugy (1871–1953) gefertigt.

Zusammenarbeit für etwas Grosses
Scherenschnitt Schweiz verfügt über eine Sammlung von über 600 Bildern und 800 Büchern. Momentan sind diese in einem Zimmer des Restaurants Hüsy in Blankenburg eingelagert, gemeinsam mit der eigenen Sammlung von Hans-Jürgen Glatz. Während letztere im Hüsy bleibt, wird Scherenschnitt Schweiz die eigene Scherenschnittsammlung im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Musée du Pays d’Enhaut nach Château-d’Oex verlegen. Das Miteinander mit dem Museum verläuft demnach für beide Seiten sehr zufriedenstellend: Das Musée du Pays d’Enhaut stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung, Scherenschnitt Schweiz die auszustellenden Kunstwerke.

Der Plan
Konkret wird sich der Anbau des Musée du Pays-dEnhaut seitlich an den bestehenden Bau anschmiegen und über einen Aussenlift mit diesem verbunden sein. Auf circa 150 m² werden sich im Erdgeschoss hauptsächlich ein grosser Ausstellungsraum und ein Scherenschnittatelier befinden. Für Sonderausstellungen, Kurse und Videovorführungen ist ein multifunktionaler Raum im Untergeschoss mit etwa 100m2 Fläche vorgesehen. «Es ist uns wichtig, dass es keine reine Ausstellung gibt», betont Regina Martin. «Wir möchten den Leuten zeigen, was hinter dem Scherenschnitt steckt. Deshalb werden wir beispielsweise Workshops auf Französisch und Deutsch anbieten.» Zu dem Erfassen der Scherenschnittkunst gehöre eben nicht nur, sich Wissen aus Videovorführungen anzueignen und die Scherenschnitte anzuschauen, sondern idealerweise auch, es einmal selbst auszuprobieren. Regina Martin erzählt lächelnd, dass sie zu diesem Zweck Vorlagen vorbereiten werde, welche die Besucherinnen und Besucher dann selbst ausschneiden können. «Wenn sie es selbst ausprobieren können, dann wissen die Menschen, was es ist. Ansonsten kann man sich kaum vorstellen, wie anstrengend dieses Handwerk eigentlich ist!»

Bewahrung der Tradition
Durch das Scherenschnittzentrum können viele Menschen erreicht und auf diese bedeutende Schweizer Tradition aufmerksam gemacht werden – wobei nicht nur Scherenschnitte im traditionellen Stil ihren Platz in der Ausstellung finden werden, sondern auch moderne Motive. «Es liegt mir sehr am Herzen, unsere Tradition zum Ausdruck zu bringen», so Regina Martin, «doch es ist mir ganz wichtig, dass wir mit unseren Scherenschnitten die ganze Bandbreite aufzeigen. In unserem Verein sind jegliche Stilrichtungen dieser Kunst vertreten.»

Noch rund ein Jahr, dann werden diese vielfältigen Werke im Schweizer Zentrum des Scherenschnitts zu bestaunen sein. Besonders freut sich Regina Martin darauf, dass auch Schulklassen die Ausstellungen besuchen werden: junge Menschen für diese Tradition zu begeistern, sei ein essenzieller Schritt, um diese am Leben zu erhalten. Und genau darin liegt die Chance, welche dieses Scherenschnittzentrum bietet: die Weitergabe von Begeisterung für eine nicht wegzudenkende Tradition der Schweiz – auf dass diese erhalten werde.


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