Die Schöpfung in Holz gemeisselt

  16.10.2020 Kunst, Porträt

Die Holzbildhauerei ist für Mario Frautschi mehr als nur ein Beruf. Sie ist seine Lebensphilosophie, seine Leidenschaft – und seine Art, sich dem Werk Gottes zu widmen.

NADINE HAGER
Ich bin noch ganz verschwitzt und ausser Atem, als ich nach dem anstrengenden Anstieg die Gruben hinauf – wohlgemerkt mit meinem Fahrrad ohne Elektromotor – in Mario Frautschis Reich trete. Als ich mich in der kühlen Werkstatt umsehe, vergesse ich die Strapazen schlagartig: Umgeben von Holzduft und kunstvollen Skulpturen macht meine Erschöpfung der Faszination und der Neugierde Platz. Mario Frautschi tritt lächelnd von seiner Arbeitsbank in der Ecke zurück, seinen Meissel noch in der Hand haltend. Ich entschuldige mich für mein Keuchen, er lacht. Dann legt er sein Werkzeug beiseite und nimmt sich Zeit für mich.

«Holzbildhauer zu werden, war mein Kindheitstraum. Schon damals habe ich Reliefs geschnitzt und Faszination für räumliche Figuren empfunden.» Mario Frautschi steht ganz ruhig vor mir und wählt seine Worte mit Bedacht. Seine Augen strahlen. «Es ist meine Liebe zum Detail, welche mich so sehr mit diesem Beruf verbindet. Was auch immer ich aus Holz oder Leder mache, schaue ich mir zuerst wirklich richtig an – den Menschen, das Tier, die Pflanze.» Bei den Tieren beispielsweise setze er sich mit deren Anatomie auseinander, um ihren Körperbau zu verstehen. Durch dieses intensive Beobachten sähe man die Welt ganz anders, weniger oberflächlich. Zustimmend lasse ich den Blick durch seine Werkstatt schweifen. Neben mir entdecke ich einen kleinen Holzmann mit keckem, wachem Blick auf dem Hobelbank stehen, weiter rechts hängt ein eigentlich flaches Relief, das zwei räumlich wirkende Hasen mitten in der Bewegung zeigt. Zwei Stabellen stehen gleich darunter: Die eine ziert ein eingeschnitzter, mit Ölfarben bemalter Tiger, die andere ein ebenso lebensecht wirkender Elefant. In der Ecke sehe ich den breiten Lederriemen einer Treichel, in den der Holzbildhauer sorgfältig und in allen Einzelheiten einen Kuhkopf geschnitzt hat. Wenn man sich in Mario Frautschis Werkstatt umsieht, entdeckt man das Detail überall – es belebt sein Handwerk. Wie er mir verrät, bereitet es ihm am meisten Freude, grosse Skulpturen aus dem Holz zu hauen: «Ganz interessant war es, den lebensgrossen, dreidimensionalen Kuhkopf für die Talstation Rinderberg zu schnitzen oder auch einen grossen Ritter aus einem ganzen Baumstamm zu kreieren.» Daneben fertigt er übrigens auch Grabmale an oder stellt bauliche Schnitzerei her, wie beispielsweise Muster auf Holzmöbeln oder Schriften auf Fassaden.

Während Mario Frautschi mit mir spricht und mir verschiedene Facetten seiner Arbeit zeigt, spüre ich seine innige Freude auf mich übergehen. Wie schafft er es nur, einem Stück Holz oder Leder derart Leben einzuhauchen, dass es ein eigenes Wesen entwickelt – wie beispielsweise der grosse Männerkopf auf der Arbeitsbank, der einen nüchtern zu mustern scheint, wenn man ihm in die Augen blickt? Mario Frautschi sieht nicht sich selbst als Hauptverantwortlichen dafür, dass seine Werke so viel Leben in sich tragen. «Ich vertraue nicht auf meine eigenen Fähigkeiten. Ich fange einfach an – und dann vertraue ich darauf, dass Gott das segnet, was ich in den Händen halte.» Wenn er auf Gott vertraue, krampfe er nicht vor sich hin, sondern er mache einfach. Klar liege ihm die Arbeit, doch diese Gabe sei ihm gegeben worden. Überhaupt sieht er die ganze Bildhauerei als Widmung an die göttliche Schöpfung. «Die Natur ist im Detail perfekt. Gott ist ihr und auch mein Schöpfer: Ich widerspiegle mit meiner Arbeit die Schönheit der Schöpfung Gottes.»

Um nur von der Bildhauerei zu leben, reicht es jedoch nicht: Damit genug Geld in die Kasse kommt, ist er auch als Schreiner angestellt. Er lacht verschmitzt. Vielleicht könne er ja Vollzeit-Holzbildhauer werden, wenn seine Kinder gross wären und seine Frau wieder arbeite. «Der Unterschied zwischen Schreinerei und Bildhauerei ist, dass dort vieles mit Maschinen gemacht wird, sodass kaum Unikate entstehen. Ausserdem geht es dabei immer darum, möglichst schnell etwas anzufertigen und dabei handelt es sich dann meistens um immer dieselben eckigen Formen.» Zudem bereite man beim Schreinern sehr viel vor, ehe die effektive Arbeit starte – die Maschine müsse fehlerfrei programmiert werden, damit es funktioniere. «Beim Bildhauen hingegen ‹geit mu eifach mau dri›, man macht mal etwas und entwickelt dann die Entwürfe weiter.»

Auch die Bildhauerei verlangt viel Vorarbeit, doch bei dieser ist Ausprobieren statt Kalkulieren gefragt. Zuerst erfolgt das Anfertigen einer Skizze, dann baut man ein Modell aus Modelliermasse. Davon wird ein Gipsabguss als zweites Modell erstellt, um die Knetmasse wiederverwenden zu können – erst dann geht es los mit der eigentlichen Arbeit am Holz. Je mehr ich darüber erfahre, was hinter Mario Frautschis Arbeit steckt, desto faszinierter mustere ich seine Werkstatt. Er scheint alles Erdenkliche aus dem Ärmel schütteln zu können, von Menschengesichtern über Ziegen bis zu komplex verschnörkelten Ziegen bis zu komplex verschnörkelten Mustern – man reiche ihm einen Holzklotz, und voilà, entsteht daraus ein Wesen. Als ich den Gedanken ausspreche, strahlt er. «Als Holzbildhauer wird alles, was ich mache, ein Einzelstück – selbst wenn ich eigentlich zwei Mal dasselbe schnitze.»

Und während er so von seiner erfüllenden Arbeit erzählt, lächle ich still in mich hinein. Wie schön, was aus einem Interview über Holzbildhauerei alles entstehen kann ... von der Liebe zum Detail über Gottvertrauen bis zur Bewunderung für die Schöpfung hat alles Platz. Berührt höre ich Mario Frautschi dabei zu, wie er seine Passion mit mir teilt. Und ich bin einfach nur glücklich, den Weg in seine Werkstatt gefunden zu haben – wie anstrengend dieser auch gewesen sein mag.


ZUR PERSON

Mario Frautschi ist 37 Jahre alt und im Turbach aufgewachsen, wo er auch jetzt noch eine grosse Werkstatt hat. Seine zweite, etwas kleinere Werkstätte lieg in der Gruben, wo er mit seiner Frau Anja Frautschi und den drei gemeinsamen Kindern wohnt. Zuerst hat er die Schreinerlehre absolviert, um anschliessend eine Holzbildhauerlehre anzuhängen, die er 2012 beendet hat. Heute ist er selbstständiger Holzbildhauer, aber auch Angestellter in einer Schreinerei, je nach Auftragslage.


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