Einsprache kann sinnvoll sein

  13.10.2020 Saanenland

Am 22. Oktober läuft für Liegenschaftsbesitzerinnen und -besitzer in der Gemeinde Saanen die Einsprachefrist gegen die Amtliche Neubewertung ab. Grundsätzlich raten Experten von Einsprachen um der Einsprache willen ab. In einigen Fällen kann aber eine Einsprache durchaus sinnvoll sein.

ANITA MOSER
Mitte September haben auch die Liegenschaftsbesitzer/innen von nichtlandwirtschaftlichen Objekten in der Gemeinde Saanen die Eröffnung der Amtlichen Neubewertung bekommen (mit Ausnahme der Baurechtnehmer, sie müssen bis 2021 warten). Und wie in den Nachbargemeinden Lauenen und Gsteig sorgen die zum Teil massiven Erhöhungen des Amtlichen Wertes für Widerstand. Von Einsprachen um der Einsprache willen raten Fachleute und auch der Hauseigentümerverband ab. Es gibt aber durchaus Kriterien, die eine Einsprache rechtfertigen.

Verkehrslage
Durchschnittlich ist der Amtliche Wert in der Gemeinde Saanen um 153 Prozent gestiegen. Höher eingeschätzt wurde oft auch aufgrund der Verkehrslage, wie Thomas Kernen sagt. Der Saanenmösner ist selbständiger Bauingenieur und hat ein Nachdiplomstudium für Immobilienbewertungen absolviert. Neu hat jede Gemeinde an ihrem Siedlungs- bzw. Infrastrukturschwerpunkt die Note 9. Auf dem Gemeindegebiet von Saanen ist dies Gstaad: die höchste Note 9 haben das Oberbort und das Zentrum. Die nähere Umgebung hat eine 8, Saanen, Schönried, Saanenmöser eine 4 und 5. Es gibt zum Beispiel Gebiete auf der Wispile, die von einer 1 auf 8 hochgestuft wurden. Zum Vergleich: Gebiete ausgangs Gstaad in Richtung Grund, ebenfalls zentrumsnah, haben Note 5. «Der Unterschied ist nicht nachvollziehbar, da im Gegensatz zur Wispile der Zugang zum Zentrum flach ist und eine breite Strasse hat. Die Erschliessung zum Gebäude auf der Wispile ist hingegen stotzig und nur einspurig.» Es gebe ähnliche weitere Beispiele wie im Gebiet oberhalb des Grand Chalets, trotz wunderbarer Aussicht (dies wird bereits anderweitig berücksichtigt) abgelegen, da mit dem Auto nur über die Gruben erreichbar. Aber dennoch werde die Lage mit der Note 8 beziffert, das Grubenschulhaus mit Note 3. «In solchen Fällen kann eine Einsprache sinnvoll sein», so Kernen.

Erstwohnungen und Objekte mit Einschränkungen
Andere Aspekte wie das Alter der Gebäude oder die Grösse der Wohnungen seien in den Normen recht gut abgebildet. «Was aber nirgends berücksichtig wird, ist die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitwohnungen.» Diesbezüglich gebe es auf dem Markt eine Differenz, diese werde jedoch nicht abgebildet.

Nicht berücksichtigt werden baureglementarische Einschränkungen, einerseits vom Bund durch das Zweitwohnungsgesetz und andererseits aber auch durch das kommunale Baureglement. Die Gemeinde Saanen hat schon länger Bauzonen mit 100 Prozent einheimisch wie die Bettlersmatte und die Waldmatte oder 70/30-Zonen.

Bei den Baulandpreisen werde ebenfalls nicht die Realität abgebildet. In den neuen Normen wird das Bauland in der Gemeinde Saanen mit 2000 Franken pro Quadratmeter berechnet und damit durchschnittlich über dem Marktpreis, so Kernen. Wegen dem Zweitwohnungsgesetz können auf unbebauten Grundstücken nur noch Erstwohnungen gebaut werden. Die Differenz beim Marktpreis zwischen Erstund Zweitwohnungen liege bei rund einem Drittel. «Eigentlich müsste die Gemeinde Saanen zwei Tabellen haben: eine für Erstwohnungen und eine für Zweitwohnungen oder einen generellen Abzug für Erstwohnungen», sagt Thomas Kernen. Er sieht deshalb auch das grösste Einsprachpotenzial bei allen Objekten, die mit einer Einschränkung, mit einer Auflage belegt sind.»

Einen konkreten Abzug fordern
Der Amtliche Wert soll durchschnittlich 70 Prozent des Marktwertes betragen, kann aber auch höher liegen. Gemäss Steuergesetz sollten die amtlichen Werte möglichst ausnahmslos unter 100 Prozent des Verkehrswertes liegen, was das Einsprachpotenzial massiv reduziere. «Die 70 Prozent sind eine Zielgrösse, die über den Kanton und in jeder Gemeinde stimmen soll. Aber nicht auf das einzelne Objekt.»

Wer Einsprache erhebt, sollte diese gut begründen: Was ist nicht richtig, was soll geändert werden. Und die Einsprache soll mit dem Antrag die Forderung enthalten, den amtlichen Wert konkret um einen entsprechenden Frankenbetrag zu senken, so Kernen. Die Einsprachefrist dauert bis zum 22. Oktober.

Eigenmietwert steigt nicht oder nur marginal
Der neue Amtliche Wert wirkt sich hauptsächlich auf die Vermögenssteuer und die Liegenschaftssteuer aus – letztere wurde in der Gemeinde Saanen von 1,5 auf 1,0 Promille gesenkt. Der Eigenmietwert, der zum Einkommen zählt, bleibt im ähnlichen Rahmen wie bisher, da er bereits im Jahr 2015 angepasst wurde. Erhöhungen bis etwa 20 Prozent gibt es insbesondere dort, wo die Verkehrslage höher gesetzt wurde. Auswirkungen hat der Amtliche Wert aber auf das Vermögen. Älteren Personen, die auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, könnten diese massiv gekürzt werden. Zumal die Bedingungen für Ergänzungsleistungen auf den 1. Januar 2021 verschärft werden.

Auch Wohneigentümer/innen mit tiefen Einkommen könnten in finanzielle Bedrängnis kommen. Auf dem Papier sind sie zwar vielleicht Millionäre, der Lohn bleibt aber gleich. Und nicht alle wollen ihr Eigentum, ihr Zuhause verkaufen, auch nicht gegen viel Geld. Und Verkaufswilligen kann niemand garantieren, dass ihr Eigentum auf dem Markt so viel bringt, wie es von den kantonalen Steuerbehörden neu eingeschätzt wurde. Für die einheimische Bevölkerung ist insbesondere störend, dass nicht die getätigten Investitionen, sondern nicht erzieltes Kapital besteuert wird.


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