Saanenland, Hochburg der Baudenkmäler

  16.10.2020 Saanenland, Kanton, Saanenland

Sie säumen viele unserer Strassen und werden doch kaum von uns wahrgenommen: Baudenkmäler finden sich im ganzen Saanenland. Das kantonale Bauinventar, das die Baudenkmäler erfasst, beschreibt und bewertet, wird zurzeit überarbeitet – die Anzahl der im Inventar erfassten Gebäude wird bis Ende 2020 um rund 11000 Bauten gesenkt.

NADINE HAGER
Bauten wie Gebäude oder Brücken stammen aus verschiedenen Epochen und unterscheiden sich in ihrem optischen Charakter. Gemeinsam formen sie das Erscheinungsbild eines Dorfes oder einer Stadt. Mitten unter diesen Bauten befinden sich ein paar Perlen. Sie sind historisch und oder kulturell von besonderem Wert oder erinnern beispielsweise mit einer besonderen Fassade, wertvollen Böden oder einer alten Küche an frühere Zeiten. Das kantonale Bauinventar (siehe Kasten) erfasst dieses wertvolle Erbe und teilt es in Kategorien ein. Bis 2016 betrug der Anteil der im Bauinventar erfassten Bauwerke knapp 10 Prozent aller Bauten des Kantons Bern. Mit der im Januar 2016 gestarteten Überarbeitung wird dieser Anteil nun deutlich reduziert. Im Rahmen des Projekts «Revision Bauinventar 2020» bestimmt die kantonale Denkmalpflege die Baugruppen und Inventarobjekte, die aus dem Bauinventar entlassen werden sollen – auch im Saanenland.

Die Revision und ihr Ziel: Ein Auftrag des Grossen Rates
In der Januarsession 2015 nahm der Grosse Rat die Kulturpflegestrategie des Kantons Bern zur Kenntnis. Gleichzeitig verabschiedete er in diesem Zusammenhang elf Planungserklärungen. Drei der Planungserklärungen betrafen das Bauinventar. «Diese forderten eine rasche Überarbeitung und Reduktion des Inventars und ein prozentuale Obergrenze der Inventarobjekte», erklärt Edith Keller, Projektleiterin Revision Bauinventar 2020 auf Anfrage. «Das per 1. April 2017 revidierte Baugesetz gibt daraus folgend vor, dass die Anzahl der Inventarobjekte sieben Prozent des Gebäudebestandes im Kanton nicht überschreiten darf.» Innerhalb von fünf Jahren soll der Prozentsatz der im Bauinventar verzeichneten Bauten von knapp 10 Prozent auf 7 Prozent des Gesamtgebäudebestandes gesenkt werden, was rund 11’000 Bauten betrifft. Mit den Planungserklärungen verfolgte der Grosse Rat das Ziel, «Die innere Verdichtung zu erleichtern und den Druck auf das Kulturland zu reduzieren.» Der Fachleiter Raumplanung Saanen, Walter Matti-Zbären, formuliert dies wie folgt aus: «Grundsätzlich wollen wir möglichst das vorhandene Bauland nutzen, um die landwirtschaftlich nutzbaren Böden nicht zu überbauen. Hierfür kann man beispielsweise auf bestehende Häuser einen Stock draufsetzen.» Seiner Ansicht nach ist dies bei Gebäuden, welche unter Denkmalschutz stehen, nicht möglich. Die Revision schaffe hierfür mehr Möglichkeiten. Im Protokoll des Grossen Rates ist dazu auch die Einschätzung von Grossrat Samuel Krähenbühl (SVP) zu lesen, der die Hauptbestreben dieser Planungserklärungen darin sah, «die Bürokratie herunterzufahren, die ganzen Verfahren bürgernäher zu gestalten und vor allem auch die grotesk hohe Quote von 10 Prozent denkmalgeschützter (Anm. der Redaktion: im Inventar erfasster) Häuser im Kanton Bern zu vermindern.»

Der Prozess des Wandels
Die Senkung des Anteils geschützter Bauten erfolgt in zwei Schritten. In der ersten Teilrevision wurden sogenannte «Baugruppen» unter die Lupe genommen und angepasst: Eine Baugruppe besteht aus Gebäuden, welche aufgrund ihrer gemeinsamen Wirkung sowie ihres räumlichen oder historischen Zusammenhangs zusammengehören. Das Dorf Saanen ist hierfür das beste Beispiel, handelt es sich doch um ein Ortsbild von nationaler Bedeutung: Wird auch nur ein Gebäude verändert, leidet das Gesamtbild darunter. «Im Rahmen der ersten Teilrevision wurden die rund 2000 Baugruppen im Kanton Bern insgesamt um rund 25 Prozent reduziert – durch die Auflösung von gut 500 Baugruppen», erklärt Edith Keller.

Im zweiten Schritt nehmen sich Kanton und Gemeinden einzelne Bauwerke vor. Ein Teil von ihnen wurde und wird aus dem Bauinventar entfernt. Bei der Bewertung der Baudenkmäler wird zwischen den Kategorien «schützenswert» und «erhaltenswert» unterschieden. Gemäss Baugesetz sollen schützenswerte Baudenkmäler wegen ihrer bedeutenden architektonischen Qualität oder ihrer ausgeprägten Eigenschaften ungeschmälert bewahrt werden. Beispiele dafür sind etwa das Gstaad Palace oder das Eisenbahnviadukt in Gstaad. Erhaltenswerte Baudenkmäler sollen wegen ihrer ansprechenden architektonischen Qualität oder ihrer charakteristischen Eigenschaften geschont werden. Ein Beispiel hierfür ist das Ciné-Theater in Gstaad. In der Kategorie der schützenswerten Baudenkmäler ist die Reduktionsmöglichkeit klein, da es sich hier um die bedeutendsten Objekte des baukulturellen Erbes und oft um orts- oder landschaftsprägende Bauten handelt. Die Reduktion konzentriert sich deshalb auf die erhaltenswerten Inventarobjekte.

Kein Grund zur Sorge
Da die wirklich ausserordentlichen Bauwerke von der Umstrukturierung nicht angetastet werden, ist es für Raumplaner Walter Matti-Zbären der Gemeinde Saanen sehr wichtig zu betonen, dass die Revision von aussen her gesehen kaum Auswirkungen haben wird. «Landschaftsverändernd oder landschaftsprägend ist diese Revision nicht. Die schützenwerten, wirklich prägenden Elemente bleiben bestehen.» Dementsprechend sei nicht mit einem Aufschrei der Bevölkerung zu rechnen. Hansueli Maurer, Abteilungsleiter Bauinspektorat, Raumplanung und Infrastruktur der Gemeinde Saanen, unterstreicht dies zusätzlich. «Das ist mir sehr wichtig, zu betonen. Wir denken, dass diese Revision für alle Beteiligten eher eine Erleichterung als eine Verschärfung mit sich bringt.» Für Eigentümer/innen sei es nämlich oft sehr aufwendig, sich an die Auflagen zu halten. Durch die Revision gewännen sie wieder ein Stück Gestaltungsfreiheit an ihrem Eigentum zurück. Dass diese Freiheit jedoch ganz plötzlich ausgenutzt werde und ehemals erhaltenswerte Bauwerke sich stark veränderten, sei dennoch unwahrscheinlich, so Walter Matti-Zbären. «Ich denke, vorerst ändert sich nichts. Der Eigentümer oder die Eigentümerin müsste hierfür den Wunsch haben, umzubauen. Bei vielen wird dies nicht der Fall sein, und selbst wenn, ist nicht gesagt, dass der Umbau eine sichtbare Änderung nach sich zieht.» Gerade für das Saanenland habe diese Revision geringfügige Auswirkungen, bestätigt auch Hansueli Maurer: «Die Gemeinde Saanen hat bereits ein relativ striktes Baureglement mit entsprechenden Gestaltungsvorschriften.» Für die Ästhetik des Saanenlandes ist deshalb gesorgt.

Der Stand der Dinge
«Die Revision ist in vollem Gange» so Edith Keller von der kantonalen Denkmalpflege. «Die rechtliche Umsetzung der Baugruppen ist in den meisten Gemeinden bereits abgeschlossen, diejenige der Inventarobjekte beginnt 2021.» Das Saanenland sei eine der letzten Regionen, in denen die Baugruppen überarbeitet würden, dafür würden gleichzeitig auch bereits die Inventarobjekte umgesetzt: «Die Gemeinde Saanen ist eine von rund dreissig Gemeinden, bei denen die Revision der Baugruppen und der erhaltenswerten Baudenkmäler zusammengefasst wurde.» Es handelt sich dabei um Gemeinden mit älteren oder grundeigentümerverbindlich verankerten Bauinventaren.», sagt sie. Diese Gemeinden hätten Ende August den Entwurf des teilrevidierten Inventars erhalten.

Die kantonale Denkmalpflege hat im Rahmen von Workshops alle relevanten Gebäude gesichtet und anschliessend neu bewertet. Aufgrund dessen liess sie der Gemeinde einen Vorschlag zukommen mit jenen erhaltenswerten Bauwerken, welche aus Sicht des Kantons aus dem Bauinventar entlassen werden sollen. Aktuell werden diese Vorschläge von der Gemeinde überprüft, um dann gegenüber dem Kanton Stellung nehmen zu können: Saanen, Gsteig und Lauenen haben bis zum 9. November Zeit, die Vorschläge des Kantons zu überprüfen und sich dazu zu äussern.

Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird die Denkmalpflege die Rückmeldungen der Gemeinde überarbeiten, um anschliessend den Weg zu einer öffentlichen Einsichtnahme – welche im Amtsanzeiger angekündigt werden wird – zu ebnen. Betroffene Personen können sich in dieser Phase zum Entwurf äussern und vor der endgültigen Inkraftsetzung der Änderungen Anträge stellen.

Für Neugierige
Wie die Entwürfe von Kanton und Gemeinde aussehen, welche und wieviele erhaltenswerte Bauwerke also aus dem Bauinventar entfernt werden, ist momentan noch nicht öffentlich. Erst 2021 wird voraussichtlich die öffentliche Einsichtnahme stattfinden. Dennoch kann man einen Blick darauf werfen, welche Bauten in Bern geschützt, respektive als erhaltens- oder schützenswert eingestuft sind: In der App «denkmappBE» ist der Kategorisierungsstand von vor der Revision festgehalten und im Internet auf www.be.ch/ denkmalpflege unter «Bauinventar online» sind die Inventarobjekte vor der Revision einsehbar


SCHÜTZENSWERT VERSUS ERHALTENSWERT

Der Kategorie «schützenswert» werden Baudenkmäler zugeordnet, welche ungeschmälert weiterbestehen sollen, weil sie historisch und oder kulturell von Bedeutung sind. Die Auflagen zur Genehmigung von Veränderungen an solchen Bauten sind sehr streng, ein Abriss ist kaum möglich. «Erhaltenswert» sind Bauwerke, die zwar hohe Qualität aufweisen, aber auf einfacheren Wegen verändert werden dürfen – beispielsweise ist ein Anbau möglich, wenn auf den bestehenden Bau Rücksicht genommen wird. Häufig ist nur ein Teil von erhaltenswerten Gebäuden wertvoll, beispielsweise die Fassade oder ein gut erhaltener Innenraum. Von der Reduktion des Bauinventars sind nur erhaltenswerte Bauten betroffen.


BAUINVENTAR

Um das historisch-kulturelle Erbe von Baudenkmälern zu bewahren, wird das kantonale Bauinventar geführt. Darin werden sämtliche Baudenkmäler erfasst, bewertet und in Kategorien eingeteilt – die wichtigste Unterscheidung ist dabei jene zwischen schützenswerten und erhaltenswerten Bauten (siehe Kasten Seite 1). Die Aufnahme eines Bauwerks ins Bauinventar ist die grundlegende Voraussetzung für dessen Schutz. Im Rahmen von Baubewilligungsverfahren weist die Denkmalpflege auf diesen Schutz hin und erarbeitet Lösungsvorschläge, welche die Baudenkmäler erhalten: Eine Sanierung beispielsweise kann zum Werterhalt zwar stattfinden, in der Regel aber unter strengen gesetzlichen Vorschriften. Dies zieht auch einen finanziellen Mehraufwand nach sich – beispielsweise sind Doppelglasfenster mit Holzsprossen teurer als ein Standardfenster. Dieser finanzielle Mehraufwand wird von der Denkmalpflege übernommen, da Erhaltung und Pflege von Baudenkmälern im öffentlichen Interesse liegen. Beiträge über 5000 Franken bedingen die formelle Unterschutzstellung eines Baudenkmals durch Vertrag und mit Eintrag ins Grundbuch: Die kantonale Denkmalpflege und der oder die Eigentümer/in verpflichten sich zum Schutz des Baudenkmals. 2019 betrugen die Finanzhilfen der Denkmalpflege und dem kantonalen Lotteriefonds 14,83 Millionen Schweizer Franken. Weitere 1,62 Millionen wurden vom Bundesamt für Kultur beigesteuert.


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