Wie die Zweitwohnungs initiative den Berggemeinden geschadet hat

  27.10.2020 Wirtschaft

Im März 2012 wurde die Zweitwohnungsinitiative angenommen. Eine Untersuchung legt nun nahe, dass die Vorlage den touristisch geprägten Berggemeinden vor allem Nachteile gebracht hat. Mehr noch: Die Initiative habe die ungleiche Verteilung des Wohlstands verstärkt.

MARK POLLMEIER
Am 27. September wurde das Jagdgesetz relativ knapp abgelehnt, 51,9 Prozent sagten Nein. Kaum hatten die Befürworter den ersten Schock verdaut, begann die Suche nach den Schuldigen. Und es dauerte nicht lange, da waren sie gefunden: Die «Unterländer» waren für die Niederlage verantwortlich. «Die Solidarität zwischen Berg und Tal spielt nicht mehr», befand resigniert Bauernpräsident und Nationalrat Markus Ritter. Und Thomas Egger, ebenfalls Nationalrat und Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete, fühlte sich an eine andere bittere Niederlage erinnert. «Es ist genau dasselbe Muster wie am 11. März 2012», so Egger. Damals war die Zweitwohnungsinitiative äusserst knapp mit 50,6 Prozent angenommen worden. Die meisten Befürworter wohnten in der Westschweiz, im Mittelland und im Nordosten des Landes – also dort, wo die Schweiz eher städtisch geprägt ist.

Das Berggebiet dagegen stimmte – von Ausnahmen abgesehen – fast geschlossen mit Nein. Einerseits ging es dabei um Grundsätzliches. «Wir wollen selber über unsere künftige Entwicklung bestimmen können», hat es Berggebiet-Lobbyist Thomas Egger einmal zusammengefasst. «Ohne von aussen in eine Rolle gedrängt zu werden, die wir nicht anstreben.» Man kann es auch etwas rustikaler formulieren: Warum sollen die Städter, die die Berge nur als Feriengebiet kennen, bestimmen dürfen, was dort möglich ist und was nicht? Egger greift in diesem Zusammenhang gern zu einem anschaulichen Vergleich: Wie die Zürcher es wohl fänden, wenn man ihnen sagte, sie dürften ab sofort nur noch fünf Prozent Bankangestellte haben?

Zweitwohnungen als Entwicklungsfaktor
Zum anderen war mit der Zweitwohnungsinitiative auch die wirtschaftliche Entwicklung des Berggebiets betroffen. An warnenden Stimmen hatte es vor der Abstimmung nicht gemangelt. Zweitwohnungen und ihre häufig standorttreuen Besitzer seien für Tourismusorte ein stabilisierender Faktor, hiess es. Doch es ging nicht einfach um Ferienunterkünfte. Ökonomen wiesen darauf hin, dass die Entwicklung einer Destination mancherorts stark von den Zweitwohnungen abhänge. In der Schweiz, so die Argumentation, könnten Hotelsanierungen oder -neubauten oft nur noch über den Verkauf solcher Immobilien finanziert werden. Werde diese Möglichkeit stark beschnitten, leide schliesslich die komplette Wertschöpfung eines Ortes – und darunter litten vor allem die Einheimischen.

In einer Untersuchung weisen die Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Christian Hilber und Olivier Schöni nun nach, dass die befürchteten Negativeffekte tatsächlich eingetreten sind. Anhand der ausgewerteten Daten stellen die beiden Forscher fest, dass die Zweitwohnungsinitiative in den betroffenen Orten die Arbeitslosigkeit erhöht und die Preise für Erstwohnungen habe sinken lassen. Die Zweitwohnungen, deren Verfügbarkeit sich verknappt habe, seien dagegen im Wert gestiegen, wenn auch unterschiedlich stark. Mit dieser Entwicklung werde letztlich die Ungleichheit gefördert, so die Schlussfolgerung. Die meist ohnehin relativ wohlhabenden Besitzer von Zweitwohnungen hätten profitiert, die einheimische Bevölkerung dagegen vor allem Nachteile erfahren.

Plädoyer für die Chaletsteuer
Generell halten die Wirtschaftswissenschaftler nichts von einem starren Verbot, wie die Zweitwohnungssteuer es gebracht hat. Sie plädieren stattdessen für lokale jährliche Steuern auf den Wert von Grundstücken oder auf die Zweitwohnungen – nicht zusätzlich, sondern als mögliche Alternative zur aktuellen Zweitwohnungsregelung. Die Vorteile einer solchen Massnahme: Die Steuereinnahmen einer Gemeinde würden sich verbessern, zudem werde der nachhaltige Tourismus gefördert, weil Zweitwohnungen als reine Kapitalanlage unattraktiver würden. Auf diesem Weg könnte das Ziel der Zweitwohnungsinitiative – den Landverschleiss einzudämmen – erreicht werden, ohne dabei die betroffene Bevölkerung zu benachteiligen.

Der Vorschlag einer Zweitwohnungsoder «Chaletsteuer» ist nicht neu. Vor allem, wenn die Eigenmietwertbesteuerung dereinst wegfallen sollte, würden viele Gemeinden wohl umgehend darauf zurückgreifen – schon um die wegfallenden Einnahmen zu kompensieren. Nebenbei verspricht man sich davon zudem eine Lenkungswirkung, Stichwort «kalte Betten».

«Modernes Raubrittertum»
Einen ganz anderen Blick auf das Instrument haben naturgemäss die Zweitwohnungsbesitzer. Heinrich Summermatter, Präsident der Allianz Zweitwohnungen Schweiz, spricht im Zusammenhang mit der Chaletsteuer schon mal von modernem Raubrittertum oder Geiselhaft. Seine Überzeugung: Mit ihrem Konsum, mit ihren Aufträgen an die lokalen Handwerker, den aktuellen Steuern und Abgaben würden Zweitwohnungsbesitzer schon sehr viel für ihre Wahlheimat tun. Die Gemeinden sollten das an sich gute Verhältnis zu den «Zweitheimischen» nicht über Gebühr strapazieren.

Die im Artikel genannte Untersuchung der Wirtschaftswissenschaftler (engl.) sowie die Argumente der Allianz Zweitwohnungen Schweiz finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html


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