Advent – Zeit des Wartens, Zeit des Neubeginns, Zeit der Hoffnung?

  27.11.2020 Kirche

Zeit des Feierns
Wenn Menschen feiern, dann steckt darin eine ganz besondere Kraft. Oder anders ausgedrückt: Festzeiten sind Zeiten, die über uns einzelne Menschen hinausweisen. Wir spüren bewusst oder unbewusst: «Echte Feste haben eine heilige Dimension. In ihnen verknüpfen wir uns mit den himmlischen Sphären.»

Passenderweise hiessen Festtage bei den Griechen darum auch «Chronos hieros», also «heilige Zeit». Als Feiertag wurde also ursprünglich ein Tag verstanden, an dem ich mich von den alltäglichen Pflichten und Herausforderungen löse und mich den existenziellen Fragen des Daseins zuwende. Natürlich kann und darf man an einem Feiertag auch einfach ausgelassen sein und seine Zeit entspannt geniessen – der eigentliche Reiz besteht aber darin, sich für die lebensrelevanten Themen zu öffnen, die in dem jeweiligen Anlass mitschwingen.

Ja, Feiertage sind die Einladung, dem Dasein auf die Spur zu kommen und herauszufinden, «was die Welt im Innersten zusammenhält» – um es mit den Worten von Johann Wolfgang von Goethe auszudrücken.

Advent – Zeit des Wartens
Das offizielle Kirchenjahr beginnt nicht mit dem 1. Januar, sondern mit dem 1. Advent! Es beginnt mit der Vorfreude und dem Warten auf die Geburt eines Kindes – wie im echten Leben. So wie sich die werdende Mutter schon während ihrer Schwangerschaft unfassbar auf das Baby freut, eröffnet die Christenheit ihr Festjahr mit der Einstimmung und dem Warten auf das grösste Wunder der Menschheit: Gott wird Mensch und kommt zur Welt.

Das heisst, im Advent warten wir darauf, an Weihnachten den «Ursprung des Lebens» zu feiern. Und das gleich auf mehreren Ebenen: Einerseits feiern wir grundsätzlich die Schwangerschaft, die Geburt und die Ankunft eines neuen Erdenmenschen. Andererseits ist Weihnachten der Auftakt des geistlichen Lebens – die Ankunft Jesu Christi, der uns zeigt, wie wir mit Gott persönlich in Kontakt kommen können.

Weihnachten ist ein Fest des Anfangs – da beginnt etwas Neues. Der Name «Advent» ist die Verkürzung des kirchlichen Ausrufs «Adventus Domini» und bedeutet: Ankunft des Herrn. Gott macht sich erfahrbar und die Menschen sollen und dürfen sich auf dieses Abenteuer in Ruhe einstellen. Advent ist also die Zeit des Wartens. Diese vorweihnachtliche Wartezeit hat zwei Motive: Erstens warten die Juden seit Jahrtausenden auf die Ankunft des Messias. Zweitens erzählt das Neue Testament von Johannes dem Täufer – einem zotteligen Wüstenpropheten –, der die Glaubenden eindringlich auffordert, sich auf die Ankunft des Retters intensiv vorzubereiten. So hat sich die noch junge Christenheit mit der Zeit angewöhnt, sich diese Wartezeit jedes Jahr aufs Neue zu gönnen. Man muss jedoch gestehen: Die adventliche Einstimmung hatte dann viele Jahrhunderte lang vor allem mit Fasten und Beten zu tun – und nur wenig mit buntem Brauchtum oder Plätzchenbacken.

Tatsächlich sind die meisten unserer heutigen Bräuche relativ jung (der Weihnachtsbaum setzt sich erst im 18. Jahrhundert richtig durch, der Adventskalender und Adventskranz sogar erst im 19. bzw. 20. Jahrhundert). Mit verschiedenen Ritualen wurde versucht, den ungeduldigen Kindern zu zeigen, wie lange es noch bis Heiligabend geht.

In all diesen Ritualen steckt eine entscheidende Botschaft: Warten ist wichtig! Was zugleich heisst: Vorfreude braucht ihren Raum. Je mehr wir uns innerlich auf ein Ereignis einstellen, desto bewusster können wir es später auch feiern. Das heisst aber auch: Wenn Menschen heute gelegentlich klagen, dass ihnen das Weihnachtsfest zu kommerzialisiert und zu sinnentleert erscheint, dann könnte das auch daran liegen, dass sie sich keine intensive Adventszeit mehr gönnen.

Zeit des Mutes und der Hoffnung
Aber was bedeutet für uns das Warten im Jahr 2020? Eigentlich haben wir doch heuer wirklich schon genug gewartet – in diesem Jahr des Wartens … Wir haben darauf gewartet, dass es wieder so wird, wie es war. Normal. Dass die Kinder wieder in die Schule gehen, dass Ferien geplant werden können, dass die Infektionszahlen sinken und wir uns maskenlos in die Arme nehmen können – oder zumindest ordentlich die Hand schütteln.

Und jetzt sollen wir wieder warten – auf Weihnachten … Weihnachten 2020 wird sich ganz bestimmt auch genau so anders anfühlen, wie alles andere in Zeiten von Corona … Die organisatorische Logistik der sozial distanzierten Weihnachtsfeste reissen uns den letzten vorweihnachtlichen Nerv aus! Nichts geht und funktioniert wie sonst – auch in der Kirche nicht.
In den Zeiten des Wartens wegen Corona fällt es zunehmend schwer, optimistisch zu bleiben. Und genau darum ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig Mut machen. Mut, nach alldem, was wir schon anders machen mussten, noch einmal etwas anders zu machen an diesem Weihnachtsfest. Mut, etwas anderes zu planen, als das, was jetzt nicht möglich ist. Mut, eine neue Idee einzubringen – den Mut, nicht den Humor zu verlieren.

Liebe Leserin, lieber Leser, ich bin davon überzeugt, dass die Verbundenheit in unseren Familien- und Freundeskreisen nicht nur in unseren geliebten Weihnachtstraditionen steckt. Nein! Sie ist immer da. Besinnen wir uns darauf. Um uns gegenseitig Mut zu machen. Um trotz sozialer Distanz miteinander zu warten und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass es zwar «anders» wird – aber trotz allem Weihnachten.

Ich wünsche Ihnen eine ganz anders gute, mutige und hoffnungsvolle Advents- und Weihnachtszeit.

MARIANNE AEGERTER


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