Stimmen von Jugendlichen

  15.12.2020 Interview

MIRTA GRUNDISCH IM INTERVIEW

«Auch Artikel, welche als ökologisch vermarktet werden, kurbeln den Konsum an»

Mirta Grundisch, was tun Sie im Alltag, um die Umwelt zu schonen?
Ich mache diverse kleine Sachen. Beispielsweise versuche ich, möglichst wenig Müll zu erzeugen, weshalb ich Nahrungsmittel so oft wie möglich unverpackt und auch regional in Hofläden einkaufe. Diesbezüglich bin ich aber etwas kritisch, denn der meiste Müll wird in der Industrie produziert – deshalb versuche ich, mit politischem Engagement etwas Veränderung zu bewirken. Beispielsweise informiere ich mich selbstständig und unterschreibe diverse Petitionen. Ausserdem bin ich Mitglied bei Amnesty International, denn Umweltschutz ist ein Menschenrecht – momentan reicht aber leider die Zeit nicht für grösseren politischen Einsatz. Ein weiterer Aspekt, welchen ich von meinen Eltern übernommen habe, ist, dass ich mich warm ankleide und so weniger heizen muss. Zudem versuche ich mir anzugewöhnen, schneller und kalt oder zumindest kühler zu duschen. Statt Google benutze ich wenn möglich Ecosia, denn bei der Nutzung dieser Suchmaschine wird bei jeder 45. Suchanfrage ein Baum gepflanzt. Das bringt mich auch zu Netflix und YouTube: Die Energie ihrer Server wird nicht aus nachhaltigen Quellen bezogen – doch obwohl mich mir dessen bewusst bin, nutze ich deren Angebote weiterhin und überlasse die Verantwortung in diesem Punkt der Politik. Ausserdem finde ich: Geld regiert die Welt. Darum habe ich mich für eine Bank entschieden, der ich zutraue, dass mein Geld grün investiert wird.

Wie sind Sie unterwegs?
Ich gehe häufig zu Fuss nach Hause nach der Arbeit – das dauert zwar eine bis anderthalb Stunden, doch das tut mir extrem gut, es entspannt. Auf diese Weise müssen meine Eltern mich nicht mit dem Auto abholen, was umwelttechnisch mehr Sinn macht. Zudem haben wir einen Gruppenchat von Chalberhöni-Bewohnern: Wenn jemand ohnehin nach Saanen fährt, werde ich freundlicherweise meist mitgenommen. Und für grössere Distanzen nehme ich meistens den öffentlichen Verkehr. Doch ich bin ehrlich: Bei guten Strassenverhältnissen fahre ich Mofa. Mir sind die Auswirkungen eines Zweitaktmotors auf das Klima durchaus bewusst, aber es ist eine alte Angewohnheit von mir. Vorerst geniesse ich diesen Luxus noch – denn die Batterien eines E-Bikes sind auch nicht perfekt umweltfreundlich. Ausserdem reicht meine Kondition leider nicht dafür, in unserer Berglandschaft mit einem normalen Fahrrad klarzukommen.

Wie steht es mit Engagement in kleinerem Rahmen, wie Recycling, geringem Fleischkonsum, nicht fliegen etc.?
Natürlich! Ich fliege nicht, sondern bin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, einer Mitfahrgelegenheit oder zu Fuss unterwegs. Den Abfall zu trennen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ausserdem ernähre ich mich vegetarisch aufgrund meines starken persönlichen Bezugs zu den Nutztieren, den ich als Bauerntochter entwickelte. Ansonsten bin ich der Meinung, dass insbesondere in unserer Vegetationszone ein bewusster Fleischkonsum aus umwelttechnischer Sicht vertretbar ist. Im Bad benutze ich eine Zahnbürste mit Griff aus Schweizer Holz, einen Shampoo-Seifenblock sowie gewöhnliche Seife, aber auch eine Deocreme, die keinen Verpackungsmüll erzeugt. Mehr Kosmetik brauche ich im Alltag nicht. Zudem benutze ich wiederverwendbare Behälter, weshalb ich so gut wie nie PET-Flaschen kaufe. Wenn ich keine Zeit habe, mein Essen selbst zu machen, bringe ich mein eigenes Geschirr mit an den Take-away-Stand, um auf Einwegbehälter zu verzichten.

Sie konsumieren rundum nachhaltig.
Ja, aber allgemein versuche ich, meinen Konsum zu reduzieren: Auch Artikel, welche als ökologisch vermarktet werden, kurbeln den Konsum an, was im Grunde nicht nachhaltig ist. Das ist längst eine Marketingstrategie geworden – es ist besser, wenig zu konsumieren, als nachhaltig zu konsumieren. Ich habe das Glück, dass wir zu Hause einen ganz kleinen Bauernbetrieb haben: Deshalb gibt es für mich die Möglichkeit, beispielsweise Butter oder Joghurt selber zu machen, wenn ich genügend Zeit habe. Da meine Familienmitglieder handwerklich begabt sind, habe ich auch gelernt, mir Kleider selber zu nähen und Möbel zu schreinern oder zu renovieren. Dementsprechend repariere ich wenn immer möglich, statt zu entsorgen und zu ersetzen.

Das klingt alles in allem nach einem sehr bescheidenen Lebensstil.
Ja, dafür entscheide ich mich bewusst, denn Luxus macht mich nicht glücklich. Ich habe das Gefühl, ich bin ein sehr unkomplizierter Mensch. Ich finde meinen Komfort in anderen Dingen als viele in unserer Gesellschaft: Beispielsweise bereitet es mir grosse Freude, meine Konsumgüter selber zu machen, wenn ich Zeit habe. Aber es macht mir auch Spass, beispielsweise einem Kleidungsstück ein zweites Leben zu geben. Es ist ohnehin produziert und benutzt worden – es geht aus meiner Sicht kaum nachhaltiger, als solchen noch einmal eine Verwendung zu geben. Die regionale Brockenstube ermöglicht mir diesbezüglich viel.

Oft ist jetzt der Faktor Zeit aufgetaucht.
Ja, es braucht Zeit und Willen, um sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Es ist einfacher, etwas in einem Grossverteiler zu kaufen, statt es selbst zu machen – aber die Zeit, die ich dafür investiere, erfüllt mich. Und sobald man in einen Rhythmus gefunden und sich eingerichtet hat, ist es gut machbar. Auch für Recherchen zu Nachhaltigkeit, beispielsweise woher welcher Produzent seine Ressourcen nimmt, investiere ich viel Zeit, denn: Wissen ist Macht.

Sich so viel Zeit zu nehmen, kostet Energie.
Ich habe genügend Energie durch meinen Ehrgeiz. Ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst und wenn ich es schaffe, so zu leben, wie ich es mir wünsche, dann erfüllt mich das total. Ich sehe einen Sinn hinter meinem Lebensstil und habe ein gutes Gewissen.

Gerade bei der Nachhaltigkeit ist es aber schwierig, die eigenen Ansprüche zu erfüllen.
Das stimmt, es ist wichtig, dass ich mir zwischendurch auch mal eine «Sünde»zutraue. Es ist mir einfach wichtig, dass ich mich bewusst entscheide.

Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich all diese Gedanken zu machen?
Eigentlich wäre ich früher gern Polarforscherin geworden, denn ich liebe es, auch nachts und im Schnee draussen zu sein. Aber dann bin ich mit dem Folgenden konfrontiert geworden: Bis ich so weit bin, dass ich forschen kann, wird nicht mehr allzu viel von den Polkappen übrig sein. Natürlich war das kindliches Denken, doch so habe ich begonnen, mich mit dem Thema Umweltschutz auseinanderzusetzen. So habe ich herausgefunden, dass ich etwas bewirken kann, auch wenn es im kleinen Rahmen ist.

Wie würden Sie die Wirkung ihres Handelns beschreiben?
Ich sensibilisiere mein Umfeld durch meinen Lebensstil. Genau auf diese Weise habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Da ich viele soziale Kontakte habe, habe ich einen ziemlich grossen Einfluss: Manchmal bekomme ich die Rückmeldung, dass ich etwas losgetreten oder jemanden inspiriert habe. Es ist sehr schön zu hören, dass ich in den Menschen etwas bewege.


ANNKRISTIN BLUM IM INTERVIEW

«Wir sind uns viel zu wenig darüber im Klaren, was hinter unseren Konsumprodukten steht»

Wie gestalten Sie Ihren Alltag nachhaltig?
Zu Hause habe ich eingeführt, dass wir den Abfall sorgfältig trennen – beispielsweise auch Glas und Plastik. Das Problem ist, dass man letzteren hier nicht gleich um die Ecke entsorgen kann, aber trotzdem finde ich wichtig, dass wir uns den Aufwand machen. Zudem brauche ich wiederverwendbare Trinkflaschen und Behälter, weshalb ich fast nie Pet-Flaschen kaufe. Auf viele Aspekte der Nachhaltigkeit achtet sich jedoch insbesondere meine Mutter: Sie hat meinem Bruder und mir nie Kleider gekauft, die nicht umweltfreundlich produziert worden sind und kauft saisonale Lebensmittel ein. Ansonsten fahren wir oft mit dem Zug in die Ferien, statt das Flugzeug zu nehmen – beispielsweise nach Holland.

Jetzt kaufen Sie Ihre Kleider selbst – achten Sie sich weiterhin auf einen nachhaltigen Ansatz?
Ja – ich kaufe beispielsweise nicht bei Chicorée ein, sondern oft in Secondhandläden oder Popup-Stores wie Veintage Revive. Ausserdem ist es jetzt aufgekommen, dass man über Instagram Kleider kaufen kann: Man kann das Geld für seine Bestellung per Twint überweisen und auch auf diese Weise an Secondhandkleidung kommen. Aus meiner Sicht sind Kleider im Zweitgebrauch die Zukunft: Jeder kennt es, dass er Kleidungsstücke zu Hause hat, die er fast nie trägt, weil sie ihm nicht mehr gefallen. Durch das Prinzip von Secondhand kann noch jemand anderes Freude an diesen finden. Deshalb halte ich das für eine gute Sache, die ich gerne unterstütze – ausserdem ist es für einen Lehrling von Vorteil, dass die Preise für bereits getragene Mode niedriger sind.

Thema Mobilität: Können Sie sich vorstellen, aus Umweltschutzgründen darauf zu verzichten, Autofahren zu lernen?
Nein. Wenn man hier wohnt, ist es kaum möglich, ohne Auto auszukommen – sonst kommt man kaum vorwärts. Im Moment bin ich oft mit dem E-Bike und den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, doch immer wieder bin ich darauf angewiesen, dass meine Eltern mich fahren.

Nun zur Ernährung. Reduzieren Sie Ihren Fleischkonsum für die Umwelt?
Ich esse zwar noch Fleisch, jedoch nicht häufig, aber distanziere mich zunehmend davon. Dies jedoch aus Tierschutz- statt Umweltschutzgründen.

Können Sie sich vorstellen, sich eines Tages politisch für Umweltschutz zu engagieren?
Grundsätzlich schon, doch vom Saanenland aus ist das etwas schwierig, die Wege sind einfach lang. Aber wenn es wirklich eine Möglichkeit gäbe, würde ich diese ergreifen. Als ich in Lausanne mein Zwischenjahr absolvierte, haben Klimastreiks unter den Schülern stattgefunden – aber hier im Saanenland gibt es so etwas Ähnliches einfach nicht.

Das bedeutet, dass es vom Wohnort abhängt, wie nachhaltig sich der Alltag gestalten lässt.
Ja, extrem.

Weshalb ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass wir uns für mehr Umweltschutz engagieren?
Es geht um unsere Zukunft. Man hat allgemein das Gefühl, dass das, was auf uns zukommt, nicht so gut aussieht. Nachhaltigkeit ist wichtig, damit wir weiterleben können: Die Gesellschaft in Europa will alles und kann alles, sie hat extrem viele Möglichkeiten. Doch irgendetwas müssen wir ändern, damit in Zukunft immer noch verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl stehen und unsere Freiheit nicht abrupt endet.

In welchem Bereich von unserem Leben müssen wir uns besonders für eine Veränderung anstrengen?
Im Konsum. Unsere Läden sind vollgestopft mit Unmengen von Konsumprodukten. Die Güter sind da, wir kaufen sie und machen uns meistens kaum Gedanken darüber. Es ist schon schön, dass wir eine derart grosse Auswahl haben, doch das Ganze hat eine Kehrseite. Ich denke, wir sind uns viel zu wenig darüber im Klaren, was hinter diesen Produkten steht: Beispielsweise, wie viele Lebensmittel aus Supermärkten im Müll landen oder dass es nicht gut ist, wenn Läden jeden Monat ihre gesamte Kollektion wechseln. So vieles läuft versteckt und ohne unser Wissen im Hintergrund ab und erst über eine Dokumentation auf YouTube erfährt man, was alles dahintersteht. Hinzu kommt, dass wir nicht nur kaufen, was wir wirklich brauchen, sondern uns beispielsweise alle zwei Jahre ein neues Handy leisten. Ich glaube, unser Konsumdenken ist so stark verankert, dass man kaum etwas dagegen ausrichten kann – auch ich persönlich würde nicht sofort auf alles verzichten wollen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie etwas bewegen mit Ihrer Nachhaltigkeit?
Ja, ich denke, das ist immerhin etwas – ich leiste einen kleinen Beitrag. Ich finde es nicht richtig, zu sagen, dass man als Individuum nichts bewirken kann. Jeder Beitrag ist wichtig und wenn immer mehr Menschen Rücksicht nehmen, können wir etwas verändern.

Was wünschen Sie sich von den einflussreichen Instanzen, die mehr Reichweite haben als der oder die Einzelne?
Ich wünsche mir, dass man auf die Jugend eingeht und versucht, uns zu verstehen. Ich erlebe oft, dass unser Engagement nicht ernst genommen und abgewinkt wird, weil man uns nicht auf Augenhöhe begegnet. Interessensvertreter unseres Alters gibt es nun einmal nicht an der Macht – dafür sind wir noch zu jung.


KARL LINKE IM INTERVIEW

«Jene, welche die Umwelt am stärksten verschmutzen, sind grosse Unternehmen»

Was unternimmst du in deinem Alltag konkret, um nachhaltig zu leben?
Viele meiner Kleider sind secondhand, beispielsweise aus einer Brocki. Aber ansonsten mache ich nichts Grosses, eher kleine Dinge wie Recycling. Und ich versuche, manchmal auf Plastik zu verzichten.

Achtest du auf die Nachhaltigkeit deiner Ernährung?
Nein, ich schaue beispielsweise nicht bewusst auf Labels oder dergleichen, sondern kaufe oft das Günstigste, weil ich lieber weniger Geld ausgebe.

Reduzierst du deinen Konsum, um die Umwelt zu schonen?
Nein. Ich kaufe mir nicht viele Kleider, aber dies besonders, weil ich Geld sparen möchte. Ich würde aber sagen, dass mein Konsum nicht besonders gross ist, auch ohne diesen zu reduzieren.

Wie sieht es im Bereich der Mobilität aus?
Ich bewege mich eigentlich immer mit dem öffentlichen Verkehr oder dem Velo. Ich möchte gerne Autofahren lernen, fliege aber sehr selten. Wenn ich jedoch Ferien im Ausland machen wollte, würde ich nicht auf das Fliegen verzichten.

Nun gleich ein paar Punkte: Benutzt du wenig Duschwasser, isst du wenig Fleisch, schaltest du das Licht aus, wenn du einen Raum verlässt?
Das alles mache ich nicht unbedingt, ich achte nicht darauf. Aber es wäre ja schon gut – ich bin einfach zu faul. Meine Mutter schimpft dann jeweils mit mir, vor allem, wenn ich das Licht nicht lösche. Beim Fleischkonsum schaue ich nicht darauf, wie viel ich davon esse.

Siehst du eine Wichtigkeit darin, dass die Schweiz ihren ökologischen Fussabdruck reduziert?
Ja, schon. Aber ich bin der Meinung, wenn einzelne Menschen das versuchen, bringt es nicht viel. Jene, welche die Umwelt am stärksten verschmutzen, sind grosse Unternehmen oder beispielsweise Öltanker und Kreuzfahrtschiffe. Nur 100 Unternehmen sind zusammen für 71 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich und die 15 grössten Schiffe stossen gleich viele Schadstoffe aus wie 750’000’000 Autos.

Hast du dementsprechend das Gefühl, dass du nichts verändern kannst?
Doch, aber viel weniger als nötig. Man müsste bei den grossen Dingen beginnen mit der Veränderung.

Grosses kann beispielsweise die Politik bewirken. Kannst du dir vorstellen, dich politisch zu engagieren – beispielsweise, indem du Petitionen unterschreibst oder spendest?
Spenden würde ich nicht, weil man nie weiss, was aus diesem Geld gemacht wird, selbst wenn es ankommt. Aber Petitionen zu unterschreiben kann ich mir schon vorstellen.

In welchem Bereich müssen wir uns am meisten anstrengen, um den ökologischen Fussabdruck schnellstmöglich zu reduzieren?
Unser Plastikverbrauch ist übermässig, den sollten wir herunterfahren – denn Plastik wird ja aus Erdöl hergestellt. Es kann sein, dass wir in dreissig Jahren kein Erdöl mehr haben – was machen wir dann?

Wenn dein Komfort nicht eingeschränkt werden würde durch ein nachhaltiges Leben, würdest du dann mehr darauf achten, die Umwelt zu schonen?
Ja, wenn es keinen Aufwand gäbe und ich dadurch keinen Nachteil hätte, würde ich komplett nachhaltig leben.

Was wünschst du dir von jenen, die grossen Einfluss auf die Nachhaltigkeit haben, beispielsweise von der Politik?
Dass grosse Unternehmen und Fabriken überprüft und kontrolliert werden. Eines der grössten Probleme ist, dass diese ihre Abgase ungefiltert in die Luft entweichen lassen und ihnen die Umwelt komplett egal ist.

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote