Lauenen lehnte das Frauenstimmrecht vor 50 Jahren ab

  09.02.2021 Saanenland, Lauenen

Während Saanen bereits vor dem nationalen Entscheid für das Frauenstimmrecht abgestimmt hatte, stiess noch die eidgenössische Vorlage in Lauenen auf klare Ablehnung.

JENNY STERCHI
Breite Zustimmung bei den Herren aus Saanen, Gstaad und Gsteig, als es im Februar 1971 um das Frauenstimmrecht ging (diese Zeitung berichtete). Selbst in Abländschen setzten sich die Befürworter mit acht zu sechs Gegenstimmen durch. Was war da bloss in Lauenen geschehen? Mit 48 Neinstimmen versuchten sich die Lauener an der Nationalen Abstimmung gegen diesen Entscheid zu stemmen, nur 17 Stimmbürger wünschten das politische Mitspracherecht der Frauen.

Gelebtes Patriarchat
Gefragt nach den Gründen für eine so tief sitzende Ablehnung gegenüber dieser Vorlage, weiss die Einheimische und Geschichtsinteressierte Ruth Annen eine Antwort: «In der Lauenen war das Patriarchat in Familie, Gewerbe und Politik sehr ausgeprägt.» Vereinzelt habe es Frauen gegeben, die innerhalb der Familie und eines Unternehmens Verantwortung übernommen hatten. Aber Geschäftsentscheide und Erbangelegenheiten erhielten nur Wirksamkeit, wenn der Mann sie unterschrieb. «Es gab Männer, die haben das, was ihre Frauen über ihre haushälterischen Pflichten hinaus geleistet haben, sehr geschätzt», erklärt Ruth Annen. «Und dann gab es die Männer, denen diese Aktivitäten der Frauen Angst machten.» Von denen habe es offensichtlich viele gegeben, nur so sei das Abstimmungsresultat von vor 50 Jahren zu erklären.

Sie selber habe gehört, wie ein junger Lauener in einem Gespräch zur möglichen Besetzung eines Lauener Gemeinderatamtes durch eine Frau Folgendes zu sagen hatte: «Ich wüsste keine, die es könnte.» Die mangelnde Wertschätzung und die fehlende Bereitschaft, den Frauen eine Mitbestimmung zuzugestehen, sei mit den Jahren zur generationsübergreifenden Norm geworden. «Beginnend mit dem Frauenstimmrecht konnte sie nur langsam aufgeweicht werden», schätzt Ruth Annen ein. Aber der Wandel, der sich in den letzten Jahrzehnten in vielen gesellschaftlichen Bereichen vollzogen hat, habe auch in Lauenen seine Spuren hinterlassen. Lauenerinnen entscheiden heute in politischen Gremien wie Gemeinderat und den verschiedenen Kommissionen neben den Männern.

Eine Frage des Charakters
Noch lange sei sie Männern begegnet, so Annen, die an der politischen Entschlussfähigkeit der Frauen zweifelten. «Frauen können schon in die Politik, aber sie müssen schön sein», war damals die Meinung eines Politikers aus dem Saanenland, mit der er gegenüber Ruth Annen seine Sicht der eventuellen Besetzung politischer Ämter durch Frauen kommentierte.

Das Frauenstimmrecht sei ein wichtiger Schritt für die gesellschaftliche Entwicklung gewesen, ist Annen überzeugt. Aber Gleichstellung möchte sie nicht an geänderten Rechten festmachen. «In einer Partnerschaft sollte jedes – in Ergänzung des anderen – seine Fähigkeiten und Begabungen einsetzen können», äusserte sie einmal an einer Frauenkonferenz und steht bis heute hinter dieser Ansicht. Am Ende sei es eine Frage des Charakters und des gegenseitigen Respektes, die den Umgang miteinander und Zugeständnisse zueinander möglich macht, und nicht der verfassungsrechtliche Artikel von 1971.


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