«Der TPI misst die wirtschaftliche Entwicklung in der ganzen Destination»

  16.03.2021 Interview

Zusammen mit der Universität Bern lanciert Gstaad Saanenland Tourismus ein neues Tool zur Wertschöpfungsanalyse. Ziel des Projekts ist es, die Wertschöpfung der Destination auszuwerten. Damit diese gemessen werden kann, sind die Projektentwickler auf Zahlen der Leistungsträger angewiesen. In einer Pilotphase beteiligt sich die Hotellerie mit sechs Betrieben. Ab Sommer soll das Projekt auf alle Branchen ausgeweitet werden.

ANITA MOSER
Das Projekt wurde von Gstaad Saanenland Tourismus in Zusammenarbeit mit der Universität Bern entwickelt. Marcus Roller, Co-Leiter Forschungsstelle Tourismus von der Universität Bern, Patrick Bauer, Leiter Destinationsentwicklung GST, Christof Huber, Präsident des Hoteliervereins Gstaad-Saanenland, sowie Jonas Wanzenried, Präsident des Gewerbevereins Saanenland, geben Auskunft.

Was versteht man unter TPI?
Marcus Roller:
Mit dem Tourismus Performance Index messen wir die Wertschöpfungsentwicklung in der ganzen Destination und möglichst über alle Branchen. Mit der aktuellen Datenlage ist dies nicht möglich.

Welche Zahlen wurden bisher erhoben?
Christof Huber:
Bisher wurden auf lokaler Ebene hauptsächlich die Logiernächte erfasst. Auf nationaler Ebene werden noch die Ankunftsdaten erhoben und die Nationalitäten. Was aber fehlt, sind Angaben zum Output, zum Beispiel wie viel Umsatz man generiert pro Logiernacht. Und bei der Restauration werden noch gar keine Daten erhoben.
Marcus Roller: Im Gewerbeverein gibt es halbjährliche Umfragen, für das Baugewerbe und Einzelhandel separat. Es werden aber nicht Zahlen erfragt, es handelt sich eher um Einschätzungen.

Zusammengefasst: Was ist der Nachteil der bisherigen Methode
Marcus Roller:
Die Datenerhebung ist nicht umfassend. Sie deckt nicht den ganzen Tourismus ab. Dieser besteht eben nicht nur aus der Hotellerie, sondern auch aus dem Gewerbe, den Bergbahnen, der Restauration. Die monetäre Komponente fehlt komplett. Das hat der letzte Sommer gezeigt. Die Corona-Situation hat die Menschen in die Alpen getrieben, aber keiner hat gewusst: Sind es mit niedrigen Preisen erkaufte Frequenzen oder haben sie auch viel Wertschöpfung in die Destination gebracht?

Und was sind die Vorteile der neuen Methode?
Marcus Roller:
Der TPI soll den Tourismus in der Gesamtheit umfassen – die Hotellerie, das Gewerbe, die Restauration, kurzum alle mit einem touristischen Umsatz. Und eben monetär und nicht nur frequenzbasiert. Der TPI basiert auf Umfragen zum Umsatz. Den können wir wiederum zerlegen: Welcher Teil kommt von den Frequenzen, welcher von der Produktivität?
Christof Huber: Die Daten sind aussagekräftiger. Ist der Umsatz in der Destination gestiegen, weil mehr Leute gekommen sind – das wäre bei den Frequenzen –, oder ist er gestiegen, weil ich pro Frequenz mehr verdient habe?
Patrick Bauer: Bis jetzt haben wir vor allem Frequenzen/Logiernächte erhoben. Auch wissen wir, wie viele Skibillette verkauft wurden. Aber das ist nur ein Faktor von der Wertschöpfung, die in der Region generiert wird. Wir haben in unserer Destination einen sehr hohen Ferienwohnungsanteil sowie Chaletgäste, es passiert extrem viel, was nicht in einer Logiernächtestatistik abgebildet wird. Es kommen Leute, Familien in unsere Region, sie bauen ihre Chalets um, kaufen beim lokalen Gewerbe ein. Mehr Zahlen sind einerseits aussagekräftiger, andererseits kann man Zusammenhänge erkennen.

Inwiefern?
Patrick Bauer:
Die Pandemie beispielsweise ist diesbezüglich eine extrem spannende Situation. Viele Chaleteigentümer sind geblieben oder hergekommen, weil sie sich bei uns sicher fühlen, sie haben konsumiert und eingekauft, zum Beispiel in Sportgeschäften. Diese haben im Frühling so viel Umsatz erzielt wie sonst nur über Weihnachten. Wenn wir das systematisch erfassen, Zahlen dazu haben, können wir solche Zusammenhänge besser erkennen und allenfalls auch reagieren, Massnahmen ergreifen.

Wer liefert die Daten?
Patrick Bauer:
Wir erheben die Daten direkt bei den einzelnen Betrieben.

Wie werden die Daten erhoben?
Marcus Roller:
Die Daten werden mittels Onlinetool erhoben.

Wie häufig?
Marcus Roller:
Die Daten werden mehrheitlich monatlich erhoben.
Jonas Wanzenried: Ob eine monatliche Datenerhebung für die Gewerbe Sinn macht, gilt es noch abzuklären.

Wer wertet die Daten aus?
Marcus Roller:
Die Uni Bern sammelt die Daten und wertet sie aus. Wir stellen die aggregierten Resultate den teilnehmenden Unternehmungen und GST zur Verfügung. Die einzelnen Unternehmensdaten verbleiben bei der Uni Bern. Geplant ist ein monatlicher Kurzreport sowie quartalsweise ein ausführlicher Report zuhanden von GST.

Christof Huber, wie gross ist die Bereitschaft für dieses Projekt in der Hotellerie?
Christof Huber:
In der Pilotphase beteiligen sich die sechs Vorstandsbetriebe. Wenn das Projekt erfolgreich ist und wir einen Nutzen sehen – wovon wir ausgehen –, werden wir probieren, es auf alle Hotelbetriebe auszuweiten, die mitmachen wollen.

Was sind die Vorteile für die Hotellerie?
Christof Huber:
Es ist ein Benchmark-Tool, man kann als Betrieb besser einschätzen, wo man im Vergleich zu anderen Destinationen steht. Für uns wäre es am interessantesten, wenn die Daten schweizweit erhoben würden, damit wir uns mit anderen Destinationen vergleichen könnten. Erhoben werden auch die Kennzahlen für die Restauration in den Hotels. Erstaunlicherweise messen die meisten Hotels bereits jetzt die Frequenz, das heisst, die Gedecke pro Monat. Zusammen mit dem Umsatz und der Frequenz lässt sich die Performance pro Restaurant berechnen.

In der Destination gibt es ja auch zahlreiche Restaurationsbetriebe ohne Hotel. Wie erreicht man diese Betriebe?
Patrick Bauer:
Das ist eine der Herausforderungen und zugleich haben wir da noch Potenzial.
Christof Huber: Wir müssen diese Betriebe mit ins Boot holen. Seit es im Saanenland keine Sektion von Gastro-Suisse mehr gibt, hat der Kontakt untereinander gelitten. Man müsste ein neues Gefäss finden oder alle paar Monate eine lose Versammlung abhalten.

Sind die Ferienwohnungen auch Teil des Projekts?
Patrick Bauer:
Nicht direkt. Einen grossen Teil der Wertschöpfung aus der Vermietung von Ferienwohnungen können wir indirekt abdecken, ohne dass wir die Ferienwohnungsbesitzer direkt anschreiben. Denn der grösste Teil der Wertschöpfung entsteht im Gewerbe. Ferienwohnungsgäste kaufen hier ein, deshalb ist es wichtig, dass der Einzelhandel mitmacht.

Wie interessiert ist das Gewerbe?
Jonas Wanzenried:
Das Bedürfnis ist vorhanden. Der Gewerbeverein hat bisher zweimal im Jahr solche Umfragen gemacht, manchmal haben 40 Betriebe mitgemacht, manchmal weniger. Aber das Interesse ist da. Einerseits haben wir Branchenvergleiche, andererseits schadet es auch nicht, über den Tellerrand hinauszuschauen. Geht es der Hotellerie gut, könnte das beispielsweise durchaus auch positiven Einfluss auf das Baugewerbe haben. Die Bedürfnisse sind aber nicht über alle Branchen dieselben. Die Baubranche hat eher langfristige, teilweise mehrjährige Projekte. Der Detailhandel arbeitet hingegen ähnlicher wie die Hotellerie mit Tages- oder Monatsumsätzen. Die Gesamtschau über alle Firmen ist daher sicher ein Knackpunkt.

Wie aufwendig ist die Datenerhebung für die Leistungsträger?
Marcus Roller:
Der Aufwand ist gering. Erhoben werden pro Monat und Betrieb circa drei Kennzahlen.

Wer hat das System entwickelt?
Marcus Roller:
Das Projekt ist von der Universität Bern im Austausch mit GST entwickelt worden.

Hat man schon Erfahrung mit diesem System der Datenerhebung oder ist es explizit für die Destination Gstaad entwickelt worden?
Marcus Roller:
In dieser – monetären – Form kommt es noch nirgends zum Einsatz. Die Grundidee dafür ist relativ alt, sie basiert auf einer Dissertation von 2004. Aber niemand hat es bisher geschafft, das System zu implementieren und so umzusetzen. Es erfordert doch eine sehr hohe Bereitschaft von den Unternehmen, a) die Zahlen herauszugeben und b) am Ball zu bleiben. Das ist ganz entscheidend.

Ist eine Expansion geplant?
Marcus Roller:
Die Destination Gstaad – das heisst die vier Gemeinden Saanen, Gsteig, Lauenen und Zweisimmen – ist bis 2022 die Pilotdestination. Ideal wäre natürlich, wenn wir das System irgendwann schweizweit anwenden können.


DAS KONZEPT

Der TPI misst die Wertschöpfungsentwicklung in der ganzen Destination.
Der TPI kann durch mehr Frequenzen oder höhere Produktivität gesteigert werden.
Der TPI basiert auf den Daten aller Leistungsträger und liefert so ein umfassendes Bild.
Der TPI liefert zeitnahe Informationen.
Die Branchenindizes (BPI) enthalten dieselbe Information pro Branche und erlauben so Rückschlüsse auf die Treiber des Wachstums.


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