46 Jahre lang kein Schnee von gestern
05.03.2021 Feutersoey, PorträtHanspeter Walker aus Feutersoey präparierte 46 Jahre die Langlaufskipisten anfänglich für den Verkehrsverein Gsteig-Feutersoey, später sukzessive talauswärts im Auftrag von GST. Doch neben Durchhaltevermögen besitzt der leidenschaftliche Sportler auch eine wohltätige Ader.
SOPHIA GRASSER
«Begonnen hat alles im Jahre 1969, als der damalige Posthalter hier in Feutersoey ein Langlaufrennen organisierte.» Als Hanspeter Walker anfing zu erzählen, ahnte ich noch nicht, welch bewundernswerte Persönlichkeit hinter dem ruhigen, bedachtsamen Pensionär steckte. «Die Sportart begeisterte mich. Also besuchte ich J+S-Kurse, machte die Ausbildung zum Langlauflehrer und übernahm schliesslich die Leitung der Langlauf-Jugendorganisation». Als Hilfsarbeiter hatte er zuvor in einer Firma gearbeitet, die schweizweit Seilbahnen baute und montierte. Auch sein späterer Beruf als Lastwagenchauffeur ermöglichte es ihm, während des Winters seinem Hobby nachzugehen und den Einheimischen wie den Gästen Langlaufen beizubringen. «Dass ich die Pisten bald auch präparierte, war eine naheliegende und willkommene Abwechslung. Es fügte sich eins zum anderen.»
Als 22-Jährige interessierte mich natürlich besonders, wie ich mir das Bearbeiten der Loipe zu der damaligen Zeit vorstellen musste. Hanspeter Walker erklärte es mir, indem er das Prinzip mit seinen Fingern auf der Tischplatte veranschaulichte. Der Vordermann zog mit seinen Ski eine breite Führungsspur. Zwei Hintermänner folgten parallel und gaben der Bahn mit ihrem jeweils inneren Ski eine Kontur. Auf diese Weise kennzeichneten sie die sogenannte Stockspur am Rand. Bereits vom Zuhören bekam ich Muskelkater in den Oberarmen. Der Übergang hin zur Arbeit mit den Maschinen sei fliessend gewesen. Ein Feriengast habe dem Dorf einen Occasions-Motorschlitten geschenkt. Mit diesem Ski-Doo habe man dann gute zehn Jahre die Tal- sowie die Wettkampfloipe in Feutersoey präpariert. Zufrieden, aber auch ein bisschen ehrfürchtig erinnerte er sich: «Damals, vor allem in den 70er-Jahren, gab es weitaus grössere Mengen Schnee – ähnlich wie diesen Winter. Und Sie müssen wissen: Mit diesen Motorschlitten konnte man um einiges schneller fahren als mit den heutigen Maschinen. Am Hang war es deshalb nicht immer leicht, das Fahrzeug zu steuern. Das ging ganz schön in den Rücken.»
Ich verabschiedete mich langsam von meiner Vorstellung des bequemen Raupenfahrers, besonders, als mein Gegenüber fortfuhr: «Heute weiss ich die Handheizung zu schätzen. Die Temperaturen betrugen teilweise minus zehn Grad Celsius. Unter diesen Verhältnissen zu arbeiten, war schon ein bisschen mühsam. Aber wenn man jung ist, geht das – es musste gehen.» Er lachte. Er nahm seine Arbeit ernst, die Umstände mit Humor.
Weitere zehn Jahre vergingen, bis die erste moderne Pistenmaschine Einzug fand: eine Meili vom Werk Viktor Meili, wie Hanspeter Walker erzählte. Wurde das Gelände bislang unter den wenigen Verantwortlichen aufgeteilt, war es durch die Neuanschaffung möglich, den Radius auszuweiten. Nicht zuletzt das saubere Ergebnis – die Bahnen seien deutlich breiter und die Pisten nicht mehr so weich – und der höhere Komfort veranlassten den Skiclub und den Verkehrsverein, endgültig auf die massiven Pistenmaschinen umzusteigen. Die Motorschlitten nutze man noch gelegentlich für Transporte in abgelegene Hütten.
Im Laufe der Jahre gewann der Langlauf in Feutersoey an Popularität und entwickelte sich von einem regionalen zu einem nationalen Anlass. Seit 1996 wurden 18 FIS-Rennen veranstaltet, die Hanspeter Walker begleitete. Neben zahlreichen Langstreckenrennen und Staffelläufen erwähnte der langjährige Langlauflehrer insbesondere die schweizerischen Langlaufmeisterschaften, deren Loipen er präparierte. Doch von all den Grossereignissen, von denen er stolz berichtete, war es letztlich das Alltägliche, das ihn erfüllte: «Das Schönste an meinem Beruf war mit Sicherheit, jedes Mal das Erwachen des Tages zu erleben. Mir ist bewusst, dass mein Job nicht zu den gefragtesten zählt. Man steht ständig Gewehr bei Fuss. Bei wenig Schneefall gab es nichts zu tun und damit auch keinen Lohn. Umgekehrt kam es auch schon vor, dass ich die ganze Nacht durcharbeiten musste. Aber ich habe meinen Beruf geliebt, sonst hätte ich das auch nicht so lange durchgehalten», erzählte er schmunzelnd. «Ausserdem habe ich im Wettkampfbereich einen tollen Nachfolger gefunden. Er modelliert die Bahnen perfekt – er ist ein Genie auf seinem Gebiet.» Ich bin beeindruckt und muss mir eingestehen, dass ich den Beruf bislang unterschätzt habe.
«In 46 Jahren erlebt man natürlich die wildesten Dinge. Vor nicht allzu langer Zeit begegnete ich einer Dame, die ihre Hunde ausführte – sechs an der Zahl. Ich sah bereits von Weitem, dass sie dieser Sache nicht Herr respektive Frau wurde und reduzierte die Geschwindigkeit meines Pistenfahrzeugs. Es dauerte nicht lange, da erhielt ich die Meldung vom Tourismusbüro, eine Frau beschuldige mich, ihre Hunde überfahren zu haben. Einen Tag später rief mich der Vizedirektor an und überbrachte mir die frohe Nachricht, dass alle Hunde wieder zum Leben erwacht seien.» Wir lachten herzlich über diese Anekdote. Hanspeter Walker betonte aber auch, dass er den Austausch mit den Einheimischen und den Gästen immer sehr genossen habe. Als Langlauflehrer kam er unter anderem mit namhaften Persönlichkeiten wie dem damaligen saudi-arabischen Minister der Luftflotte in Kontakt.
Seine beruflichen Abenteuer haben meine Neugier auf sein Privatleben geweckt. Ich fand heraus, dass er für sein Leben gern turnte. «Auch das Hochseetauchen hat es mir angetan. Dadurch habe ich schon viel von der Welt gesehen, wofür ich sehr dankbar bin.» Sein Aufenthalt in Kenia und die dortigen Lebensumstände bewegten den empathischen Hobbytaucher dazu, über ein Dutzend Patenschaften einzugehen und die Kinder in ihrem beruflichen Werdegang zu unterstützen. «Ich selbst habe keine Familie, aber ich bin unheimlich stolz auf meine Patenkinder und sorge mich um sie, als wären sie meine eigenen Nachkommen.»
Nicht zuletzt seine jahrzehntelange Tätigkeit als Samariter löste in mir eine tiefe Bewunderung für den Mann aus, den ich als bescheidenen Loipenpräparator kennenlernte.
ZUR PERSON
Hanspeter Walker präparierte 46 Jahre lang die Skipisten der Region. Doch hinter seiner beruflichen Konsequenz steckt so viel mehr: Der 78-Jährige engagierte sich nicht nur in Sportvereinen, sondern er ist auch gemeinnützig aktiv. Er pflegt über ein Dutzend Patenschaften in Kenia.