Therapeutin auf vier Pfoten

  23.03.2021 Interview

Zwei Beine und vier Pfoten schenken Zeit und spenden Lebensfreude. Verena Hauswirth begann mit ihrer Hündin Nala, einem Labrador-Golden-Retriever-Mischling, vor einem Jahr die Ausbildung zum Therapiehund. Aufgrund von Corona können sie das Training nur etappenweise absolvieren. Doch neben spielerischen Lernmethoden muss die Hündin auch einige Strapazen auf sich nehmen, wie Verena Hauswirth im Interview erzählt.

SOPHIA GRASSER

In welchen medizinischen Bereichen werden Therapiehunde eingesetzt?
Therapiehunde werden nicht zu medizinischen Zwecken eingesetzt! Ein Therapiehund ist eigentlich ein Besuchshund. Nala und ich arbeiten im sozialen Sinn und möchten das mentale Wohlbefinden der Patienten und Patientinnen respektive der Bewohner und Bewohnerinnen erhalten und fördern. Eben: Der Begriff «Patient» ist in diesem Zusammenhang nicht korrekt – schliesslich haben wir keinen medizinischen Auftrag.

Welche Erfolge lassen sich erzielen?
Wir möchten Gesellschaft leisten, Aufmerksamkeit schenken und Freude bereiten – das kann sowohl für den Betroffenen als auch für das Tier sehr wertvoll sein. Manchmal ist eine demente Person sehr verschlossen und in sich gekehrt. Wenn der Hund nur seine Pfote auf den Schoss oder seinen Kopf in die Hand des Bewohners legt, beginnt derjenige plötzlich mit dem Tier zu interagieren – er öffnet sich dem Hund gegenüber, er lacht oder spricht eventuell mit ihm. Es scheint mir wie ein Wunder. Wir heilen keine Krankheiten, aber wir machen sie möglicherweise erträglicher.

Wo soll Nala später eingesetzt werden?
Wo Nala später «arbeitet», steht noch nicht fest. Es bieten sich beispielsweise Kranken- und Pflegeheime an. Auch (heilpädagogische) Schulen oder Kindergärten sind eine Option. Oder wir besuchen eine Institution mit geistig und psychisch beeinträchtigen Menschen. Nala besucht jeden, der sich nach Zuwendung, Aufmerksamkeit und einer kleinen Aufmunterung sehnt.

Welche Voraussetzungen muss ein Hund erfüllen, um ein Therapiehund werden zu können?
Er muss einen einwandfreien Charakter besitzen.

Welche Charaktereigenschaften sind vonnöten?
Der Hund sollte menschen- wie tierfreundlich sein. Er sollte lieb, geduldig und intelligent sein und darf selbstverständlich nicht beissen. Bezüglich der Rasse gelten allerdings keine Einschränkungen. Natürlich: Insbesondere Labradore und Golden Retriever erweisen sich aufgrund ihres meist treuen und feinfühligen Charakters als geeignet. Doch die Ausbildung absolvieren mit Nala zusammen unter anderem auch ein Schnauzer, eine Dogge oder ein Trüffelschnüffelhund – und die machen das tipptopp.

Wie läuft die Ausbildung ab?
Nala wurde zunächst einer Aufnahmeprüfung unterzogen, um zu testen, ob sie überhaupt als Therapiehund infrage kommt. Das war gar nicht mal so leicht. Die Experten und Expertinnen schlugen Pfannendeckel aufeinander oder liessen einen Stapel Bücher auf den Boden fallen. Auf diese Weise wurde beobachtet, wie Nala auf Lärm oder unkontrollierte Bewegungen reagiert. Denn das Verhalten eines Menschen mit Behinderung ist nicht immer vorhersehbar. Nala sollte standhalten, den Lärm aushalten können.

Wie hat sich Nala geschlagen?
Ich merkte, dass sie angespannt war. Sie hat leise gezittert. Für einen kurzen Moment hatte ich Bedenken, ob sie die Prüfung meistern wird. Doch ich habe ihr leise zugeredet und dann hat es geklappt. Ich bin sehr stolz auf sie.

Mussten Sie ebenfalls eine Prüfung absolvieren?
Ich wurde ebenfalls auf die Probe gestellt. In Form eines Theorietests wurde mein Wissen beispielsweise über die Ernährung, die Gesundheit und die Körpersprache des Hundes abgefragt. Leckt sich der Hund über die Nase, ist er unsicher. Gähnt er, ist das ein Zeichen von Stress. Besonders das Kapitel über das angemessene Verhalten als Besucher/in mit Hund gegenüber Personen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen war für mich neu. Als ehemalige Lehrerin bin auch auf der sozialen und pädagogischen Ebene geschult, aber an das medizinische Fachgebiet musste ich mich zunächst herantasten. Nala und ich wurden auf Herz und Nieren geprüft – wortwörtlich, denn als Therapiehund muss der Vierbeiner kerngesund sein.

Üben Sie bereits in der Praxis?
Wir stehen bereits im Einsatz – wenn auch nur zu Ausbildungszwecken. Vor dem zweiten Lockdown besuchten wir regelmässig ein Altersheim nahe Thun.

Wie sieht ein Einsatz aus?
Vor einer «Therapiestunde» überlege ich mir in der Regel, wie ich beginnen möchte. Vielleicht mit einem kleinen Kunststück, das ich mit Nala eingeübt habe? Häufig bereite ich auch ein Schnüffelspiel vor: Fünf Becher werden mit einem zusammengeknüllten Seidenpapier ausgelegt. In einem der Papiere versteckt der Heimbewohner ein Leckerli, anschliessend stellt er die gefüllten Becher nebeneinander auf den Boden. Auf Kommando durchsucht Nala jeden einzelnen Becher, bis sie das Goodie gefunden hat. Wir integrieren die Bewohner und Bewohnerinnen in unsere Spiele und Kunststücke. Wir nehmen uns Zeit für sie und gehen individuell auf sie ein.

Das klingt nach einer harmonischen Besuchsstunde. Gibt es auch manchmal Herausforderungen?
Der Umgang ist nicht immer einfach – eine solche Stunde kann sehr anstrengend für den Hund sein. Unsere Philosophie lautet deshalb: Tierschutz ist auch Menschenschutz. Wir achten stets auf die Bedürfnisse von Mensch und Tier. Wenn ich also merke, dass Nala unruhig wird, liegt es in meiner Verantwortung, den Besuch abzubrechen und ein anderes Mal fortzusetzen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich einen Hund zuzulegen?
Meine Grossmutter hatte einen Bauernhof und immer einen Hund. Als Stadtkind habe ich mich deshalb besonders gefreut, wenn ich sie besuchen durfte. Stundenlang habe ich mich mit dem Vierbeiner beschäftigt – wir waren ein Herz und eine Seele. Als ich beruflich aufs Land gezogen bin und einen Landwirt geheiratet habe, stand es ausser Frage, dass wir uns einen Hund zulegen.

Welche Rasse(n) bevorzugen Sie?
Ich wünschte mir damals einen Berner Sennenhund, da er in der Regel sehr ruhig und gutmütig ist – perfekt für eine Grossfamilie wie unsere. Wir besassen drei dieser Art hintereinander und hatten grosse Freude an ihnen, doch leider werden sie nicht so alt. Sie sind einfach überzüchtet. Nach dem Tod unseres dritten Berner Sennenhundes überlegten mein Mann und ich uns gut, welche Rasse ausserdem infrage käme.

Weshalb haben Sie sich für eine «Rasse» wie Nala entschieden?
Während uns die Labradore durch ihre Bodenständigkeit überzeugten, beeindruckten uns die Golden Retriever durch ihre Feinfühligkeit. Beide Rassen sind sehr intelligent und lernfreudig. Wir entschieden uns letztlich für einen Mischling – bewusst, da er eine voraussichtlich längere Lebensdauer hat. Und weil nun unsere vier Kinder längst erwachsen und ausgeflogen sind, habe ich mehr Zeit, mich dem Projekt «Therapiehund» zu widmen. Ich mache das auf gemeinnütziger Basis, ich habe grossen Gefallen daran. Und ich freue mich auf meine neue Aufgabe und hoffe, dass Nala und ich bald wieder glückliche Momente bescheren dürfen.


ZUR HÜNDIN
Nala ist viereinhalb Jahre alt, hat schwarzes gewelltes Fell und zehn Geschwister. Aufgrund ihres treuherzigen Blicks verliebten sich Verena Hauswirth und ihr Mann sofort in den Hundewelpen. Die Hündin ist ein Labrador-Golden-Retriever-Mischling. Dieser Mix spiegelt sich laut ihrer Besitzerin auch in ihrem Charakter wider: Nala ist bodenständig, treu und feinfühlig, manchmal aber auch ein bisschen sturköpfig.


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