Ein klangvolles Handwerk

  01.04.2021 Tradition

Fred Wehren führt die jahrhundertealte Tradition des Glockengiessens fort. Seine Produkte geniessen hohes Ansehen: Neben einheimischen Kunden zählt Wehren auch französische Connaisseurs zu seinen Auftraggebern. Während der Experte die Präzision des kunst- und klangvollen Handwerks ausführlich schildert, bleibt die einzigartige Bronzemischung ein Geheimnis.

SOPHIA GRASSER
Die Faszination für die melodischen Glocken lag in der Familie: Fred Wehren und sein Vater befassten sich jahrzehntelang mit dem Schweizer Handwerk des Glockengiessens. So scheint es wenig verwunderlich, dass bald der Wunsch aufkam, selbst eine Glocke anfertigen zu wollen – schier unmöglich ohne die entsprechenden Utensilien. Im Jahr 2009 ergriff Fred Wehren seine Chance und kaufte das Inventar des verstorbenen Giessers René Rime. Insbesondere Rimes 13er-Modell war von Rang und Namen. Im Besitz der erforderlichen Instrumente fehlte Wehren das nötige Know-how. Der Landwirt wusste: Würde er zu einem einfachen Kuhglockengiesser gehen, um das Handwerk zu erlernen, würde er aus Konkurrenzgründen wohl keine Auskunft erhalten. Aus diesem Grund wandte er sich an die bereits etablierte Kirchenglockengiesserei Rüetschi in Aarau. «Ich habe ihnen von meinem Vorhaben erzählt. Sie waren zunächst skeptisch – das Glockengiessen versteht sich als wahre Kunst –, doch schliesslich überwog die Überzeugung, die uralte Tradition am Leben erhalten zu wollen.»


ZUR PERSON

Fred Wehren und seine Frau Anita haben eine Tochter und zwei Söhne und besitzen eine kleine Landwirtschaft. Sie bieten einen Melkmaschinenservice für die umliegenden Bauern an, im Winter arbeiten sie zusätzlich als Skilehrer. Neben dem Glockengiessen zählt Fred Wehren seit zwei Jahren das E-Bike-Fahren zu seinen Hobbys. In Zukunft möchte er sich mehr Zeit für ausgiebige Touren in den Bergen nehmen.


1. «Präzision ist das A und O»
Der Prozess der Glockenherstellung bedarf mehrerer Schritte und vor allem: sauberster Arbeit. Die Entscheidung fällt zunächst auf ein bestimmtes Glockenmodell. Um die Glocke herzustellen, nimmt man den einen Teil des sogenannten Giesskastens zur Hand, stellt das Glockenmodell (rechts) hinein und stampft so zunächst die Aussenseite mit Sand ein. Man verwendet hierfür einen sehr wertvollen Quarzsand. Der Giesskasten wird anschliessend mitsamt dem Modell umgedreht. Um auch die Innenseite der Glocke einzustampfen, setzt man den Aufsatz (links) auf das Konstrukt. «Der Sand muss sehr fest gestampft sein, sonst hält er nicht zusammen», erklärt Wehren. Sobald die Glocke geformt ist, werden die Eingusskanäle gebohrt – dieser Arbeitsschritt garantiert, dass das Metall später fliessen kann. Nachdem der zweiteilige Giesskasten auseinandergenommen und das Modell entfernt wurde, folgt das Prägen. «Präzision ist das A und O. Denn jede zunächst belanglose Schluderei kommt beim Giessen viel stärker zur Geltung», betont der Landwirt. Mithilfe von Metall- oder Holzstempeln werden also vorsichtig Präge in die Aussenseite der Sandform gedrückt. Sobald beide Bestandteile der Glocke wie gewünscht geformt sind, werden sie erneut zusammengeschraubt, sodass ein Hohlraum entsteht. Nächster Schritt: das Giessen.

2. Das Geheimnis der Bronzemischung
«Die Glockenspeise besteht unter anderem aus dem weltweit reinsten Zinn», betont Wehren. Der einzigartige Klang seiner Glocken sei speziellen Kupferdrähten zu verdanken. Wehren fand heraus, dass insbesondere jene Kupferdrähte einen zarten, feinen Ton erzeugen, die früher bei Leitungen von Zügen verwendet wurden. Der Bronzemischung werden weitere Zutaten hinzugegeben, die der Experte selbstverständlich für sich behält.

3. Achtung heiss!
Im Ofen wird gefeuert, bis man eine Temperatur von circa 1200 Grad Celsius erreicht – das dauere in etwa vier Stunden. Der eigentliche Giessvorgang ereignet sich hingegen innerhalb weniger Sekunden. «Am besten funktioniert es deshalb, wenn man zu dritt ist. Auf diese Weise können alle Komponenten zu ihrem richtigen Zeitpunkt hinzugegeben werden.» Auch hier sei höchste Konzentration geboten. Nach jenem Arbeitsschritt ist es an der Zeit, die fertige Glocke aus der Sandform zu lösen. Wehrens Glocken kennzeichnen sich durch ihre Naturbelassenheit – sie werden abschliessend lediglich gebürstet.

4. (Ehemals) familiäres Handwerk
Bis vor ein paar Jahren hat Wehren mit seinen beiden Söhnen bei sich auf dem Hof gegossen. Als seine Kinder auszogen und ihm die tatkräftige Unterstützung fehlte, lagerte er sein Handwerk zu einem Kunstgiesser aus. Mit seiner Unterstützung stellt Wehren nach wie vor die exklusiven Glocken her. Bei günstigen Wetterverhältnissen fertigt Wehren circa 20 bis 25 Glocken jährlich an. «Man mag es kaum glauben, aber die Herstellung der Glocken ist wetterbedingt», erzählt Wehren. Demnach brauche es ein beständiges Hoch, damit das Material besser schmilzt. «Ich habe es auch bei Föhn und bei Bise versucht, aber die Arbeit war umsonst – ich musste alles zerschlagen», liefert Wehren den Beweis. Somit bestätigt sich die Aussage des Glockengiessers Ch. Schopfer circa aus dem Jahr 1875.

5. Musik in den Ohren
Seine Glocken werden nicht nur hierzulande, sondern ebenfalls in Frankreich sehr geschätzt. Sammler, Liebhaber und Connaisseurs geben insbesondere das 13er-Modell in Auftrag. «Manche Leute wünschen ganze Glockenspiele», so Wehren. «Wenn die Kühe auf der Weide ein solches Glockenspiel tragen, ergibt das eine wundervolle Melodie.» Um die einzelnen Spiele einander zuzuordnen, werden sie mit derselben Nummer graviert. Das erster aller Wehren-Glockenspiele ist jedoch dem Schöpfer selbst vorbehalten.Besonders stolz ist Wehren auf sein Mitwirken an der Fête des Vignerons, die er mit 30 seiner Glocken bereichern durfte. «Die meisten Kühe im Saanenland tragen Qualitätsglocken, seien es Schopfer-Glocken oder Glocken von dessen Nachfolger Hannes Moor», so Wehren. Seinen Tieren zieht er natürlich die handgemachten Wehren-Glocken an. Speziell beim Zügeln, wenn er auf die Vorsass gehe, klinge es wie Musik in seinen Ohren. «Es ist ein Handwerk, das wir vor dem Aussterben bewahren wollen. Und es macht mich stolz zu wissen, was für eine Arbeit hinter dem Ganzen steckt.

 

 

 


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