Meister der Tarnung

  15.06.2021 Lauenen

Es sieht die Welt aus seinen beweglichen Kulleraugen, wechselt nach Lust und Laune seine Farben und ist vorwiegend in Afrika beheimatet: das Chamäleon. Doch auch im Saanenland – genauer gesagt bei Peter Boss in Lauenen – fühlen sich die schillernden Reptilien pudelwohl. Die liebevolle Pflege ihres Besitzers förderte nicht zuletzt den Zuchterfolg von 28 Babychamäleons, die nun die Herzen vieler Saanerinnen und Saaner gewinnen.

SOPHIA GRASSER
Mike und Molly nennen sich Peter Boss’ exotische Haustiere, die vor drei Wochen stolze Eltern geworden sind. In der Regel sind Chamäleons in Afrika oder auf der Insel Madagaskar zu Hause, wo sie die Baumkronen des Regenwaldes bewohnen. Doch Peter Boss hat in einem Zimmer seines Wohnhauses in Lauenen die tropischen Lebensbedingungen perfekt nachgebildet: Tagsüber eine Temperatur von 26 Grad Celsius, eine Luftfeuchtigkeit von circa 60 Prozent und selbstverständlich reichlich Klettermöglichkeiten.

Mythos Farbwechsel
Während sich das Männchen durch seine schillernde Farbenpracht hervorhebt, kommt das rosa-bräunliche Weibchen schon eher seinem Ruf als «tierischem Meister der Tarnung» nach. Dabei dienen die Farben respektive der Farbwechsel in erster Linie der Kommunikation zwischen den Artgenossen. Chamäleons bringen auf diese Weise ihre Gefühlslage wie Erregung oder Ärger zum Ausdruck. «Und natürlich passen sie sich auch ein Stück weit an ihre Umgebung an. Allerdings werden sie nicht plötzlich kunterbunt, wie man es aus einigen Filmen kennt», räumt Boss schmunzelnd mit dem Klischee auf.

Alles im Blick
Darüber hinaus kennzeichnen sich die tagaktiven Echsen durch ihre kugelrunden, stark hervorstehenden Augen. Bis zu einem Kilometer weit können sie ihre Umgebung ringsherum und in alle Richtungen scannen. Sie erreichen einen Rundumblick von nahezu 360 Grad, denn ihre Augäpfel lassen sich unabhängig voneinander bewegen. Erst wenn sie etwas Interessantes entdeckt haben, etwa eine leckere Heuschrecke oder eine nette Chamäleondame, richten sie beide Augen auf ihr Ziel.

Bevorzugtes Singledasein
Sind sie nicht in Paarungslaune, leben Männchen und Weibchen getrennt voneinander – Chamäleons gelten als strikte Einzelgänger. Aus diesem Grund hält sie Boss nicht nur in separaten Terrarien, sondern verhindert mithilfe eines Sichtschutzes auch den Blickkontakt zwischen den beiden Reptilien. «Sonst werden sie wütend aufeinander und stehen dauerhaft unter Stress», erklärt der Besitzer. Doch einmal im Jahr – zur Paarungszeit – treffen Männlein und Weiblein in der freien Natur aufeinander. Und vor gut einem halben Jahr nutzte Boss die Chance, die Population der exotischen Winzlinge im Saanenland um ein Vielfaches anzuheben.


PETER BOSS IM INTERVIEW

Peter Boss, woher kommt Ihr Interesse an Chamäleons?
Das ist eine lange Geschichte, die schon bald 30 Jahre zurückreicht. Als meine Frau und ich in den Ferien einmal nach Kanada gereist sind, haben wir dort eine Kunstausstellung besucht. Auch der Künstler selbst war anwesend – und ist mit einem Chamäleon auf der Schulter durch seine Ausstellung spaziert. Ab diesem Zeitpunkt war ich eigentlich mehr an dem exotischen Tier als an den Kunstwerken interessiert. Bald darauf haben wir eine Reise nach Madagaskar gemacht, wo Pantherchamäleons wie Mike und Molly zu Hause sind. Da reifte langsam der Gedanke, ein solches Reptil als Haustier zu halten. Doch dann haben wir Kinder bekommen, sodass ich dieses Projekt erst einmal auf Eis gelegt habe. Als unsere Kinder ausgezogen sind und wir plötzlich freie Zimmer hatten, habe ich die Gelegenheit ergriffen und mich intensiv mit der Anschaffung und Haltung von Chamäleons beschäftigt.

Was ist bei der Anschaffung und Haltung von Chamäleons zu beachten?
Zuerst absolviert man einen Sachkundekurs. Nach einer kleinen Prüfung erhält man dann einen Ausweis. Das hört sich aufwendiger an, als es letztendlich ist. Man möchte einfach sichergehen, dass der Besitzer um die Bedürfnisse dieser exotischen, anspruchsvollen Wesen weiss. Beispielsweise fressen Chamäleons ausschliesslich Lebendfutter wie Heuschrecken und Grillen. Und noch ein interessanter Fakt, der neben dem Farbwechsel und den scharfen Augen charakteristisch für Chamäleons ist: Sie haben keine Ohren. Man spricht von einem verkümmerten Gehörgang im Gehirn. Eventuell hören sie ein paar dumpfe, tiefe Töne. Im Anschluss an den Sachkundekurs prüft das zuständige Veterinäramt die Bedingungen zu Hause: Ist das Terrarium gross genug? Herrschen gute Lichtverhältnisse? Sind ausreichend Pflanzen, Äste und andere Klettermöglichkeiten vorhanden? Der Herr vom Veterinäramt schien mit meiner Ausstattung sehr zufrieden. Meine Gehege habe ich selbst gebaut, sie sind vermutlich noch etwas grösser als vorgeschrieben. Deshalb schlug er vor, dass ich mir doch gleich zwei Chamäleons kaufen solle. So stünden auch die Chancen besser, dass ich tatsächlich mit einem nach Hause käme. Ich hatte nämlich einen Züchter in Deutschland ins Auge gefasst. Mike, Molly und mir stand also eine lange Reise bevor, die wir allerdings sehr gut überstanden haben. Und so habe ich gleich noch ein zweites Terrarium gebaut, das macht mir Spass.

Weshalb haben Sie die Chamäleons aus Deutschland importiert?
Ich habe lange im Internet gesucht, aber der Schweizer Markt gab nichts her. Schliesslich habe ich in Deutschland, in München, einen Züchter gefunden, der mindestens fünf Pantherchamäleons hatte – und genau zu dieser Zeit auch Jungtiere.

Und zwei Jahre später haben Sie selbst gezüchtet.
Richtig, das war wirklich eine spannende Geschichte. Zur Paarungszeit habe ich Mike und Molly zusammengeführt. Das Weibchen hat wenig später tatsächlich befruchtete Eier abgelegt, die ich ausgegraben und in einem Inkubator untergebracht habe. Normalerweise schlüpft ein Chamäleon nach sechs Monaten, doch der Brutkasten ist nach zwei Monaten kaputt gegangen – die Temperatur ist auf 33 Grad Celsius angestiegen und liess sich nicht mehr regulieren. Das war deutlich zu heiss. Dementsprechend ist mir auch der Zuchtversuch misslungen. Ich wollte es im nächsten Jahr noch einmal versuchen. Vier Monate später sah ich, wie lauter kleine Tierchen in Mollys Terrarium krabbelten. Ich dachte zunächst, es handelt sich um die letzten Überlebenden des Chamäleonfutters. Allerdings füttere ich Mike und Molly einmal wöchentlich und ich kenne meine beiden Chamäleons: Molly müsste an diesem Tag schon längst alle Heuschrecken gefressen haben. Es waren tatsächlich Jungtiere, die sich im Gehege herumgetrieben haben. Das Weibchen muss noch ein weiteres Mal befruchtete Eier abgelegt haben. Die 28 kleinen Chamäleons habe ich natürlich sofort von ihrer Mutter getrennt, sonst hätte Molly sie vermutlich gefressen. Chamäleons besitzen keinen Mutterinstinkt – und fressen eben alles, was sich bewegt.

Sie bieten den Bewohnern des Saanenlands privat die Möglichkeit, die exotischen Winzlinge zu besuchen.
Ja, denn ich weiss, wie es um den «Schweizer Chamäleon-Markt» bestellt ist. Und ich habe mir vorgestellt: Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, Jungtiere zu sehen und auf der Hand zu halten, hätte ich mir das keinesfalls entgehen lassen. Das ist so etwas Schönes. Es geht mir nicht darum, die Chamäleonbabys an den Mann zu bringen. Ich möchte einfach dieses einmalige, exotische Feeling mit anderen Interessierten und Neugierigen des Saanenlands teilen. Das Angebot wird sehr gut wahrgenommen. Bisher besuchen uns vorwiegend Eltern mit ihren Kindern. Die meisten davon kennen uns über irgendwelche Ecken, doch unsere «kleine» Chamäleonfamilie freut sich selbstverständlich auch über ein paar neue Gesichter.

Weitere Besuchszeiten: 19. und 26. Juni, jeweils
10.00 bis 16 Uhr, Anmeldung per Mail an: [email protected]


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