Wieder essen ohne Angst vor Regen

  08.06.2021 Saanenland, Hotellerie / Gastronomie

Die Erleichterung ist gross: Die Gastronomen im Saanenland haben ein erfreuliches erstes Wochenende mit geöffneter Innengastronomie erlebt.

SONJA WOLF
«Es ist fast wir vorher, nein, sogar besser!», ist der Grundtenor der Gastronomen im Saanenland. Ob in Gstaad, Saanen, Schönried, Saanenmöser, Lauenen oder Gsteig: Das Bild an diesem ersten Wochenende seit der Wiedereröffnung der Gastro-Innenräume vom 31. Mai war überall das gleiche: zufriedene Gesichter bei Kunden und Gastgebern und auch gut gefüllte Gaststuben.

Ein Hagel an Komplimenten
Sabine Köll vom Rössli in Feutersoey empfindet die Gäste als sehr entspannt. «Einige von den älteren Gästen, die im Winter noch ängstlich waren, sind inzwischen geimpft, die jüngeren sind sowieso meist entspannter.» Sie hat den Eindruck, dass den Menschen unter all den Corona-Restriktionen wohl die Gastronomie am meisten gefehlt hat, denn sie würden nun viel mehr geniessen. Dies merke man an einer grosszügigeren Konsumation und auch an den häufigeren Komplimenten über den gelungenen Abend. «Essengehen ist eben nicht nur die physische Nahrungsaufnahme, sondern auch das gesellige Zusammensitzen und die Kommunikation», so Köll.

Auch Corrado Tomasini von der gleichnamigen Pizzeria in Schönried bemerkt die häufigeren Komplimente: «Nach über fünf Monaten Pizza aus dem Karton freuen sich die Gäste wieder extrem über die schöne Präsentation auf dem Teller und das gemütliche Beisammensitzen.»

Schon lange bewährte Schutzkonzepte
Seit Montag letzter Woche dürfen sechs Personen auf der Terrasse an einem Tisch sitzen, vier Personen am Tisch im Innenraum, bei grösseren Familien selbstverständlich auch mehr.

An den Abständen von 1,5 Metern zwischen den Tischen hat sich nichts geändert, an die Maskenpflicht beim Gang zur Toilette oder zum Tisch haben sich die Kunden auch längst gewöhnt. Alle Restaurants verfügen ja bereits seit Monaten über funktionierende Schutzkonzepte, da brachte der jüngste Öffnungsschritt keine besonderen Herausforderungen für die Gastronomen mit.

Personal gesucht!
Ein grösseres Problem allerdings stellt für viele Betriebe der Fachkräftemangel dar. Fast alle befragten Betriebe haben zwar dank Kurzarbeitsregelung ihr Personal weiter beschäftigen können. Allerdings seien bei einigen Gastrobetrieben Mitarbeiter weggefallen, die sich einen weiteren Lockdown oder eine weitere Kurzarbeitzahlung von 80 Prozent nicht erlauben konnten. Viele hätten sich umorientiert. «Wir bewerben einen Markt , der aktuell nicht vorhanden ist», bringt es Vanessa Schwenter vom Restaurant 16 in Saanen und Geschäftsführerin des Hotels Sun & Soul auf den Punkt. Viele der Gastrobetriebe könnten zwar weiterhin auf ihr Stammpersonal zählen, bemerken aber das Fehlen der Saisonarbeitenden, die (noch) nicht aus dem Ausland kommen können ohne Quarantänebeschränkungen. Und auch auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hätten viele Berufsanfänger aufgrund der monatelangen unsicheren Lage in Hotellerie und Gastronomie gar nicht erst einsteigen wollen, vermutet Michael Ming vom Alpenland in Lauenen.

Vorsichtiger Optimismus für den Sommer
Die Einnahmeeinbussen aus all den Monaten des Lockdowns konnten durch das Take-away-Angebot natürlich nicht wettgemacht werden und können wohl auch künftig nicht ausgeglichen werden, selbst wenn der Sommer noch so schön wird. Aber – und auch darin sind sich alle Befragten einig – es war wichtig, den Kontakt zur Kundschaft zu halten. Die Terrassenöffnungen waren ebenso eher ein symbolischer Schritt als wirtschaftlich bedeutend: «Da das Wetter in weiten Teilen nicht so gut war, kann man nicht wirklich von viel mehr Kundschaft durch die Terrassenöffnungen reden», bemerkt Christian Hoefliger vom Romantik Hotel Hornberg in Saanenmöser.

Dennoch sind alle froh, dass ab jetzt dank der geöffneten Innenräume das «russische Roulette» durch die Wetterkapriolen wegfällt, wie sich Sabine Köll ausdrückt.

Take-away für die Zukunft?
Was bleibt von der Pandemie? Werden die Lokale das Take-away-Prinzip beibehalten? «Wir haben schon immer Take-away angeboten, aber in der Corona-Zeit ist dieser Bereich natürlich stark gewachsen», berichtet Christa Hauswirth vom Charly’s in Gstaad. «Es scheint den Menschen ein Bedürfnis zu sein und wir möchten das Take-away beibehalten.»

Andere wie das Rössli in Feutersoey können aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten neben dem regulären Bedienund Küchenservice das Take-away nicht beibehalten. Und wiederum andere wie das Alpenland oder das Hotel Hornberg möchten den Service nur auf explizite Anfrage weiterführen.

Auswirkungen auf das Nachtleben
Mit der Wiedereröffnung der Innengastronomie ist auch die Sperrstunde weggefallen. Das Bros zum Beispiel darf also wie vor der Pandemie bis 23 Uhr seine Gäste draussen bedienen, danach im Innenbereich bis 0.30 Uhr bzw. 1 Uhr am Wochenende. Auch hier gilt wie bei all den anderen Betrieben: Gefeiert werden darf nur im Sitzen. Doch die jungen und jung gebliebenen Gäste stört das wenig. Die Plätze im Aussenbereich sind immer voll – das war schon vorher so. «Wir hatten als eine der wenigen Café-Bars jeden Tag geöffnet und sehr treue Stammkunden», berichtet Ahmet Bicik. «Und rechtzeitig vor 23 Uhr kommt dann der Run auf die begrenzten Innenplätze.» Der Rest müsse leider mit einem Abschlussgetränk in die Strassen des Dorfes verabschiedet werden.

Treue Kunden
Alles in allem freut sich Ahmet Bicik, dass gerade in Pandemiezeiten klar wurde, wie treu die Stammkundschaft allen Widrigkeiten getrotzt habe und auch bei Kälte und Regen unter aufgestellten Schirmen gut gelaunt war. Auch Corrado Tomasini lobt die Stammgäste, die er inzwischen Freunde nennt und die vor dem letzten Öffnungsschritt selbst bei 6 Grad Aussentemperatur ihre Pizza auf der Terrasse verzehrt haben. Im Vergleich dazu kann es ab jetzt nur noch steil bergauf gehen.


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