Alter, du bist ja komplett «lost»!

  20.07.2021 Gesellschaft

Jugendliche sprechen ihre ganz eigene Sprache. Die Party war «lit», das Wetter ist «nice» und die Eltern sind «cringe». Erwachsene sind da total «lost» − auf gut Deutsch: Sie verstehen nur Bahnhof. Doch wo schnappen Teenager diese Trendwörter auf? Und noch viel wichtiger: Was bedeuten sie denn nun?

SOPHIA GRASSER
«Nice», «lost» und «sheesh» stehen auf der aktuellen Liste von Jugendwörtern ganz weit oben, erzählen die beiden 15-jährigen Freundinnen Olivia Burri und Lara Berchten. Dabei sei die Jugendsprache auf dem Land gar nicht so ausgeprägt. Besonders die kulturelle und sprachliche Vielfalt in den Städten begünstige die Entstehung von Jugendwörtern, vermuten die Schülerinnen. Mit der Zeit würden sich einige Ausdrücke auch auf die ländlichen Regionen ausdehnen. «Das ist wie ein Trend. In unserer Klasse sagt gerade jeder ‹sheesh›», was so viel bedeutet wie «Oh mein Gott!» oder «Du meine Güte!». Aber Lara und Olivia wissen Bescheid: Ein solches Wort kommt auch ganz schnell wieder aus der Mode und wird durch ein anderes ersetzt.

Das Jugendwort des Jahres 2020
Vergangenes Jahr kürte der Verlag Langenscheidt den Ausdruck «lost» zum Jugendwort des Jahres. Die beiden Freundinnen schmunzeln, denn die Bezeichnung gilt auch als fester Bestandteil ihres Wortschatzes. Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt verloren. Er beschreibt eine Person, die ahnungslos und überfordert mit ihrer Situation ist. «Dann ist man einfach ‹lost›», erklärt Lara Berchten wie selbstverständlich.

Brennpunkt Schule
Die beiden Teenager schnappen die Trendwörter häufig in der Schule respektive auf dem Pausenhof auf − «wenn man mit seinen Kollegen unterwegs ist». Eines steht allerdings fest: Von den Eltern stammen diese Ausdrücke nicht. Ausserdem wirft Olivia Burri ein: «Ich übernehme die Wörter erst, nachdem sie mir öfter begegnet sind. Einige Begriffe lehne ich auch ab.» Mit Kraftausdrücken kann sich die 15-Jährige beispielsweise überhaupt nicht anfreunden. «Und über manche Wörter machen wir uns auch einfach lustig, wenn wir sie verwenden − so wie ‹sheesh›. Das meinen wir gar nicht ernst», ergänzt ihre Freundin Lara.

Schon als Kind animiert
Die Anpassung an die jugendliche Sprechweise habe in der Oberstufe begonnen, erinnern sich die Teenager. Auch als Kind würde man bereits einige Begriffe von den Älteren übernehmen und ganz willkürlich verwenden. «Manchmal kannte ich ihre Bedeutung gar nicht und habe sie trotzdem benutzt», lacht Olivia Burri. Man sah eben zu den älteren Jugendlichen auf − da scheint es logisch, gewisse Verhaltens- und Sprechmuster zu imitieren.

Und heute?
Heute gebrauchen die Mädchen die Jugendwörter ausschliesslich in Gesprächen mit Gleichaltrigen – zu Hause und gegenüber Erwachsenen finden sie ihren Slang unangebracht. Die Jugendsprache hat einen negativen Beigeschmack. «Wir wissen, dass unsere Ausdrucksweise manchmal ein bisschen salopp tönt, vielleicht sogar ein bisschen frech», sind sich Lara und Olivia bewusst. Selbst unter Freunden variiert der Sprachstil. «Ich habe eine Kollegin aus Lauenen, die keine Jugendwörter verwendet. Dann mache ich das auch nicht», erklärt Lara das einfache Prinzip. Laut Olivia Burri funktioniere die Jugendsprache wie ein Dialekt. Wenn sie ihre Familie in Luzern besucht, nehme sie sofort die Luzerner Mundart auf. Genau so schnell legt sie die Schülerin auch wieder ab, sobald sie in das Saanenland zurückkehrt. Kurzum: Man passt sich an die Ausdrucksweise des Gesprächspartners an. Im Chat wie beispielsweise auf Whatsapp verzichten die Mädchen auf derartige Trendwörter. Hier spielen dagegen Abkürzungen eine grosse Rolle: «Gn» statt «Gute Nacht», «k» statt «OK» oder «Ka» statt «Keine Ahnung».

Kurz und knapp bewertet
Bei den meisten Modewörtern handelt es sich um kurze Kommentare respektive um eine Bewertung. Sie drücken die Einstellung des Sprechers zu einer Situation oder einem Gegenstand aus. «Hey, dein Outfit ist mega nice!», demonstriert Olivia den Gebrauch der Jugendwörter. Begriffe der Standardsprache wie «schön», «grossartig» oder «toll» werden durch «nice», «lit» oder «fresh» ersetzt. In flüssigen Unterhaltungen hingegen fänden die Ausdrücke weniger Verwendung.

Verhaltene Reaktionen aufseiten der Eltern
Und wie reagieren nun die Eltern auf die Jugendsprache? «Meine Mutter fragt manchmal nach der Bedeutung der Ausdrücke. Anschliessend will sie wissen, warum wir nicht einfach das geläufige Wort verwenden», erklärt Olivia. Erwachsene hinterfragen den Zweck dieser neuartigen Synonyme. Die Schülerin ergänzt: «Aber das ist ja der Sinn dahinter, dass es für Erwachsene eben keinen Sinn macht!» Lara Berchten stellt fest, dass es Erwachsenen hauptsächlich um das Verständnis geht. «Meine Eltern sind zwar nicht begeistert, aber solange sie verstehen, was meine Schwester und ich meinen, ist es in Ordnung», erläutert sie.

Worst-Case-Szenario
Zu Hause stossen die Teenagerinnen weitestgehend auf Akzeptanz. Das Worst-Case-Szenario möchten sie sich aber trotzdem nicht vorstellen: Eltern, welche die Jugendwörter übernehmen. «Ich musste lachen, als meine Mutter einmal ein solches Wort verwendet hat. Es tönt einfach ungewohnt», erzählt Olivia. Die Mädchen möchten ihre Sprechweise für sich behalten und nicht mit der vorherigen Generation teilen. «Meine Grossmutter verwendet auch teilweise Ausdrücke, die ich nicht kenne. Möglicherweise war das ihre damalige Jugendsprache», nimmt Lara an. Viele aktuelle Begriffe stammen darüber hinaus aus dem Englischen. «Einige Erwachsene sprechen die Wörter dann ganz komisch aus», lacht Lara. Und ihre Freundin Olivia bringt es auf den Punkt: «Wenn Erwachsene die Jugendsprache sprechen, ist das einfach ‹cringe›.»


VOKABELTEST
Kennen Sie die Bedeutung der folgenden Jugendwörter? Ordnen Sie sie zu.

1) lit/nice/fresh
2) cringe
3) lost
4) wyld
5) sheesh
6) no front
7) jemanden triggern
8) safe
9) no joke

a) jemanden aufregen, aufwühlen
b) nicht verletzend oder beleidigend gemeint
c) wirklich, ernsthaft, kein Witz
d) gut, schön, toll, grossartig
e) sicherlich
f) ahnungslos, unsicher, überfordert
g) Oh mein Gott! Du meine Güte!
h) unangenehm, peinlich
i) heftig, krass

Lösung:1d,2h,3f,4i,5g,6b,7a,8e,9c


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