Kinder sollen Musik erleben, ohne sie verstehen zu müssen

  13.07.2021 Interview

Razia Chaudhry ist das neue Gesicht bei Discovery, dem Musikvermittlungsprogramm des Gstaad Menuhin Festival. Wer sie ist, warum sie mit klassischer Musik zu tun hat und was sie sich von Discovery verspricht, verrät sie im Interview.

JENNY STERCHI

Razia Chaudhry, Sie haben neu die Leitung der Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche innerhalb des Gstaad Menuhin Festival übernommen. Was wird sich mit Ihnen am Discovery verändern?
Das Grundkonzept und die Idee bleiben gleich. Es geht nach wie vor darum, Kinder und Jugendliche auf leichte Art in Kontakt mit klassischer Musik zu bringen. In der Umsetzung fliessen nun einfach meine Ideen ein.

In diesem Fall konnten Sie auch vorhandene Kontakte ausgehend von den Festivalorganisatoren und Ihrer Vorgängerin nutzen?
Ja, da durfte ich auf Vorhandenes zurückgreifen. Andere Verbindungen konnte ich aus meinem eigenen Netzwerk heraus aktivieren.

Razia Chaudhry – der Name klingt besonders. Zusammen mit Ihrer Luzerner Mundart verwirrt es vermutlich nicht nur mich. Wo sind Ihre Wurzeln?
Die liegen in Pakistan. Mein Vater stammt von dort. Ich bin jedoch in Luzern geboren und aufgewachsen und kenne Pakistan nur als Besucherin.

Und nun kommen Sie ins Saanenland?
Im Moment pendle ich noch. Aber während des Festivals werde ich im Saanenland daheim sein. Darauf freue ich mich, denn ich kannte die Region bis dahin noch nicht.

Mit der Musik sind Sie hingegen vermutlich schon länger verbunden. Wie wollen Sie die Musikvermittlung im Gstaad Menuhin Festival realisieren?
Kinder sollen Musik erleben, ohne die Anforderung von Verständnis. Sie sollen sich begleitet von Musik eigene Bilder machen. Jede einzelne Vorstellung, die sich Kinder machen, ist sehr individuell und kann unmöglich falsch sein.

Haben Sie als Kind auch über Musikvermittlung den Weg zur klassischen Musik gefunden oder lag die Musikalität in der Familie?
Meine Familie hatte keinen grossen Zugang zu klassischer Musik. Aber wir hatten eine Nachbarin, die Klavier spielte. Ich konnte ihr stundenlang zuhören. Als ich meine Eltern bat, mir Klavierunterricht erteilen zu lassen, meinten sie, ich solle erst mal mit der Blockflöte starten.

Und diesen Kompromiss sind Sie eingegangen?
Ja, klar. Ich wollte unbedingt Musik machen. Und auch die Blöckflöte und ihr Klang packten mich recht schnell. Ich übte und übte, spielte klassische Stücke, die vielleicht nicht immer für Blockflöte vorgesehen waren. Aber ich hatte grösste Freude daran. Und dann erhielt ich über unsere Musikschule die Möglichkeit, im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) ein Konzert zu besuchen.

Was hat Sie bei diesem Erlebnis besonders fasziniert?
Als ich das Orchester – insbesondere die Bratschen – sah und hörte, war es um mich geschehen. Die Blockflöte trat in den Hintergrund. Ich lernte, Bratsche zu spielen und wurde Teil eines Orchesters.

Dann war die Berufswahl also gesetzt?
Es musste ganz sicher mit Musik zu tun haben. Ich habe gerade mein Studium in Musik und Bewegung als Bachelor abgeschlossen. Und weil ich rückblickend sehr dankbar bin, dass mir als Kind so viele musikalische Entdeckungen ermöglicht wurden, möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass andere Kinder genau diese Erfahrungen auch machen können.

Und welche Einstiegsmöglichkeiten bieten sich nun den Kindern im Saanenland in diesem Sommer?
Es gibt einmal mehr vielfältige Angebote, die wir nach Altersklassen gestaffelt haben. Und dabei richten wir uns auch gern an die Kinder und Jugendlichen aus dem Simmental und dem Paysd’Enhaut. Zum Beispiel empfangen wir die Jüngsten im Atelier Gwunderkind. Dieses zweisprachige Angebot (auf Deutsch und Englisch) richtet sich an Kinder zwischen vier und sechs Jahren. Für sie wird es eine Begegnung mit Paddington geben. Ich habe sehr gute Kindheitserinnerungen an die Geschichten von Paddington. Und sie passen bestens zum Festivalmotto «London». Auch das Weltall und die Ritter der Tafelrunde werden im Atelier Gwunderkind eine Rolle spielen.

Das Weltall? Wie machen Sie da die Verbindung zur Musik?
Es gibt eine Orchestersuite des englischen Komponisten Gustav Holst, die mich inspiriert hat. Sie heisst «Die Planeten» und seine Idee dahinter war die Vertonung der verschiedenen Planeten unseres Sonnensystems. Und an dieser Stelle wollen wir die Kinder dazu bringen, Musik mit einem völlig anderen Thema verbinden zu können.

Und was bietet sich denen, die schon älter als sechs Jahre sind?
Ihnen stehen sechs Veranstaltungen offen. Benannt als Ferienspass ist das unser Musikvermittlungsprogramm für Sieben- bis Zwölfjährige. Wir starten schon am kommenden Samstag mit Mussorgskys Werk «Bilder einer Ausstellung». Die Kinder können die Probe besuchen, dabei die Musik wahrnehmen und ihre Fantasie walten lassen. Sie können in Kontakt mit den Künstlern treten. Das Ziel ist es, sie Musik erleben und ausdrücken zu lassen.

Das startet ja gleich sehr klassisch und sehr spannend. Wie geht es dann für diese Altersgruppe weiter?
Sie können noch andere Proben besuchen und bei «Elgar und das Cello» sogar am ersten Teil des Konzertes mit Sol Gabetta dabei sein. Mit «On the Abbey Road» sind wir wieder sehr nahe an «London», aber auch sehr dicht bei den Beatles. Das «Janoska Ensemble» verspricht einen experimentellen Weg zu dieser Musik. Mit Klängen und Tönen aus der Natur beschäftigen wir uns am musikalischen «Alpenteuer». Das traditionelle Alpkonzert auf der Alp Züneweid bietet uns den Rahmen dafür. Für mich persönlich bietet diese Veranstaltung sehr viel Verbundenheit mit dem Saanenland und präsentiert klassische Musik ganz unkompliziert.

Aber wenn die Kinder dann doch älter als zwölf Jahre, also richtige Teenager und in der «Null-Bock-Phase» sind, wie kann man sie zur Musik bewegen?
Erfahrungsgemäss ist das wirklich das schwierigste Alter, um Kinder, oder besser Jugendliche, mit klassischer Musik in Kontakt zu bringen. Aber auch sie entdecken den Reiz der Musik, wenn sie durch die Auswahl angesprochen werden. Unser Angebot für jene Altersgruppe heisst «Teens go Concert». Der Violinist Daniel Hope versteht es, die Jugend zu begeistern. Darum haben wir neben vier anderen sein Konzert «Daniel Hope & Friends II – Menuhin in London II» für «Teens go Concert» ausgewählt. Auch das Konzert «British Film Music in Concert» könnte das Interesse wecken, denn Filmmusik ist meist nicht so weit weg wie klassische Musik. Die Aufbereitung macht es schliesslich aus und da haben wir mit dem City Light Symphony Orchestra und Kevin Griffiths erfolgversprechende Grössen am Start. Und nach wie vor bieten wir Schulklassen im Rahmen von «Stars im Klassenzimmer» begleitete Proben- und Academybesuche.

Die Frage, die vermutlich immer wieder auftaucht: Wie viel kostet es, ein solches Angebot zu buchen?
Für die Kinder und Jugendlichen aus dem Saanenland, dem Simmental und dem Pays-d’Enhaut halten wir ganz verschiedene Musik- und Konzerterlebnisse bereit, die dank eines überaus grosszügigen Mäzenats die kostenlose Teilnahme ermöglicht. Für die einheimischen Jugendlichen sind auch Konzerttickets im Rahmen des Discovery-Angebotes kostenlos.

Razia Chaudhry, wie würden Sie abschliessend für das Programm Discovery werben?
Um Kinder und Jugendliche für klassische Musik begeistern zu können, müssen sie die Musik erleben dürfen. Ohne dass der Anspruch an sie gestellt wird, die Musik zu verstehen. Sie sollen selber wahrnehmen, ob und was die Musik in ihnen auslöst. Wichtig erscheint mir bei der Musikvermittlung, dass den Kindern und Jugendlichen alle Richtungen offenstehen. Mit fantasieanregenden Anleitungen und spielerischen Erklärungen können wir ihnen vom Rand aus Unterstützung bieten. Erleben dürfen sie selber!

Mehr Informationen und Buchungen unter https://www.gstaadmenuhinfestival.ch/de/ discovery


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