Die Telefonnummer Gottes – 5015

  27.08.2021 Kirche

Liebe Leserin, lieber Leser

Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte:

.... Es war einmal ein Swisscom-Techniker, der in ein Pfarrhaus gerufen wurde, da das Telefon nicht mehr funktionierte. Während er das Telefon repariert, diskutieren im Nebenraum zwei Pfarrer und eine Pfarrerin über die richtige – «die korrekte» – Gebetshaltung.

Der Erste meint, im Knien könne er am besten beten. Und das sei sowieso die einzig richtige Haltung vor Gott.

Der zweite Pfarrer erklärt, dass er am besten im Stehen betet und dazu die Hände flehend zu Gott erhebt. So käme die Sehnsucht und Bedürftigkeit des Betenden am deutlichsten zum Ausdruck.

Die Pfarrerin ist ganz anderer Meinung. Für sie ist die richtige Gebetshaltung, auf dem Boden ausgestreckt vor Gott zu liegen – ganz so, wie es in der Bibel steht, dass Menschen im Gebet vor Gott liegen.

Der Swisscom-Mitarbeiter hat diesen Diskussionen zugehört und mischt sich nun in das Gespräch ein: «Also ich habe am besten gebetet, als ich einmal mit dem Kopf nach unten an einem Telefonmast hing …!»

Beten – Wer betet? Wann beten wir? Warum beten wir? Und bringt Beten irgendetwas?

In der heutigen Zeit eine merkwürdige Frage an einem gewöhnlichen Freitag im «Anzeiger von Saanen».

Beten ist doch für die meisten Menschen eher Privatsache, heimlich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit – höchstens vielleicht in einem Gottesdienst am Sonntagmorgen.

Beten nicht vor allem Menschen, die das nötig haben? Die sich nicht mehr selber helfen können? Also die Schwachen und Schüchternen?

Wohl kaum!
Im Bibeltext (siehe Kasten) spricht Jesus ganz anders vom Beten. Er sagt, dass der Mensch im Beten sich in grosser Zuversicht und stinkfrech einfach so an Gott richtet. Das tönt eher nach Mut, als nach Schwäche. Sich «drfür ha», als kleines, einfaches Menschenkind gegenüber dem grossen, ewigen Gott …

Bitten, wie man einen guten Freund um etwas bittet.

Fragen, wie man einen guten Freund fragt.

Und anklopfen an der Türe von jemandem, von dem man weiss, dass er es gut mit einem meint.

Für mich persönlich hat besonders das Beten im Gottesdienst, wenn wir alle gemeinsam ins «Unser Vater» einstimmen, etwas unglaublich Tiefes und Verbindendes. Diese alten Worte, in die wir all unsere Sorgen und Ängste, aber auch unsere Dankbarkeit und unsere Freude legen können … Einstimmen in einen Chor vieler Stimmen auf der ganzen Welt. Ohne nach eigenen Worten zu suchen – ja, das ist für mich gelebte Spiritualität in Gemeinschaft.

Aber es gibt natürlich auch das ganz private, persönliche Gebet. Ich, Marianne Aegerter, bin da ganz einfach gestrickt: Beten ist für mich etwas ganz Alltägliches. Ich bete, wann und wo es mir gerade danach ist. Stehend, liegend, sitzend, kniend, gehend, laufend, badend, velofahrend ... ja manchmal unbewusst, fast beiläufig – ähnlich, wie ich mein Handy nutze.

Oder ich kann ganz bewusst beten. Wenn ich mich hinsetze, beide Füsse fest auf den Boden stelle, die Hände falte und die Augen schliesse. Weg vom Trubel der Welt. In mich hineinhören, in mich hineinversinken und versuchen, Verbindung mit diesem Unerklärlichen, Unfassbaren aufzunehmen – mit der grossen Liebesmacht, die uns umgibt und der ich «Gott», «himmlischer Vater» oder ganz einfach «Du» sage.

Ich denke, es gibt weder «richtiges» noch «falsches» Beten.

Beten heisst, sich Gott jetzt gerade zuzuwenden. Ich nehme mir Zeit und konzentriere mich, schenke meine Worte und Gedanken. Ich mache einen kleinen Schritt aus meiner Welt hinaus.

Beten ist keine Kunst. Es ist ein Anerkennen, dass da einer ist, der existiert, obwohl wir ihn weder sehen noch fassen oder festmachen können.

Das Gebet ist die Türe, die uns aus unserer alltäglichen Wirklichkeit hinaus zu Gott führt und dort Resonanz findet.

Beten heisst, mit Gott zu reden, mit ihm das Leben zu teilen. Beten kann man in jeder Position, zu jeder Zeit. Und beten gibt Ruhe ins Herz, wenn es durch die Ereignisse des Alltags aufgescheucht und erschrocken ist.

Beten heisst nicht, einen Bestellschein ans Universum aufzugeben und dann wird Punkt für Punkt geliefert. Gott ist kein praktischer Hausgeist, der in jede Handtasche passt und bei Gelegenheit unsere Forderungen erfüllt.

Gott ist viel grösser, als wir es uns vorstellen können.

Wenn wir beten, meinen wir den Gott, der auf der anderen Seite von jener Türe steht, die der/die Betende aufstösst. Dann wenn er/sie einen Schritt aus seinem Alltag hinaus macht. Durch das Sprechen mit Gott fällt auf unsere eigene kleine Welt ein anderes Licht: Prioriäten werden verstoben und der Blick wird erweitert.

Mit dem Gebet wird der Alltag durchbrochen und der Glaube erhält Raum – oder eben eine Tür – eine Ausrichtung auf diesen Gott, der seinen Menschen entgegenkommt und jeden und jede von uns an- und aufnimmt.

In meiner Jugend hiess es immer, Gott habe eine Telefonnummer: 5015. Das ist die Kurzform für den Psalm 50.15:

«Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.»

Vielen von Ihnen wird es jetzt so vorkommen, als wäre es wirklich viel einfacher, wenn wir Gott einfach anrufen könnten. Wenn er ein Handy hätte oder wenigstens ein Hörgerät.

Aber wissen Sie was? Beten ist noch einfacher als Telefonieren. Wir brauchen keine Hilfsmittel, um uns mit Gott in Verbindung zu setzen. Und auch wenn wir das Gefühl haben, unsere Gebete verhallen ungehört – ich bin sicher, jedes Gebet findet bei Gott Gehör und wird wahrgenommen.

In diesem Sinne lade ich Sie herzlich ein zum Gebet.

MARIANNE E. AEGERTER


LUKAS 11, 5 –13 (NEUES TESTAMENT )

Vom Beten
Und es geschah, nachdem er an einem Ort lange gebetet hatte, dass einer seiner Jünger zu ihm sagte: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Das Brot, das wir nötig haben, gib uns Tag für Tag. Und vergib uns unsere Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. Und führe uns nicht in Versuchung.

Vom Bitten und vom Empfangen
Und er sagte zu ihnen: Stellt euch vor, ihr habt einen Freund und geht mitten in der Nacht zu ihm und sagt: Freund, leih mir drei Brote, denn ein Freund, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen könnte. Und jener drinnen würde antworten: Belästige mich nicht! Die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder liegen bei mir im Bett. Ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch seines unverschämten Bittens wegen aufstehen und ihm geben, so viel er braucht.
Und ich sage euch: Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan.


REFRAIN AUS «GEBÄT» VON PETER REBER

Gib mer Ouge wo chöi luege
I wett meh aus nume gseh
Gib mer Ohre wo chöi lose
Wenn me lost de ghört me meh
Gib mer Flügu wo mi trage
So wiit de Troum eim treit
Un e Stimm wo für au die Wunder
Ab u zue mau danke seit
Gib mer Füess wo chönne loufe
U d Geduld mau bliibe z stah
Gib mer Händ wo chöi begriife
Wä de Chopf nümm nache ma
Gib mer Flügu wo mi trage
So wiit de Troum eim treit
Un e Stimm wo für au die Wunder
Ab u zue mau danke seit
Ab u zue mau danke seit.


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