Es ist und bleibt eine Herausforderung

  06.08.2021 Schule

Die Pädagogischen Hochschulen verzeichnen Rekordzahlen an Studierenden und doch mehren sich die Nachrichten über fehlende Lehrpersonen – ein Problem, das im Saanenland keine Neuheit ist. Jahr für Jahr kämpfen die Schulleitungen für neue Lehrpersonen. Das neue Schuljahr steht vor der Tür und wir fragen: Sind alle Stellen besetzt? Was hat sich verändert und was muss noch getan werden?

KERSTIN BÜTSCHI
Gemäss Mitteilung vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) am 9. Juli ist die Lage im Kanton Bern besonders angespannt. Gut einen Monat später sind noch 23 Stellen inklusive Stellvertretungen unbesetzt. Der Mangel ist insbesondere durch die geburtenstarken Jahrgänge und die Pensionierungen vieler Lehrpersonen aus der Babyboomer-Generation zu erklären. «Das Problem ist aber auch, dass zu wenig Personen in den Lehrberuf einsteigen und darin auch langfristig verbleiben wollen», informiert Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des LCH. Sorgen macht ihr aber auch der qualitative Lehrpersonenmangel: «Unterrichten ist ein höchst anspruchsvoller Job, der unbedingt entsprechend ausgebildetes Personal benötigt.» Der Schulerfolg der Kinder gehe direkt mit der Qualität der Lehrpersonen einher.

Die grosse Freude bleibt aus
Prekär ist die Situation an der Volksschule Lauenen. «Wir haben keine reguläre Lehrperson gefunden für die offene Stelle der 3. bis 5. Klasse», sagt Peter Boss, Schulleiter in Lauenen. Bis auf zwei Lektionen sei nun dank dem Programm des Kantons Bern für verwaiste Stellen und dem Interesse von zwei Studierenden die Stundentafel gedeckt. Doch die grosse Freude bleibt aus: «Wie es im zweiten Semester aussieht, steht noch in den Sternen.» Er könne nicht mehr als die Stellenprozente auf der offiziellen Seite des Kantons Bern ausschreiben und das persönliche Netzwerk aktivieren. Auch an der IBEM Rütti (Integration und besondere Massnahmen) ist die Situation angespannt, nicht alle Pensen sind gedeckt. Hans Peter Schwenter, Präsident der Bildungskommission Saanen, erklärt: «Es fehlen nach wie vor Fachleute mit der Zusatzausbildung in Heilpädagogik, Psychomotorik und Logopädie und in der aktuellen Zeit ist der Unterstützungsbedarf gestiegen.»

Entspannter in den Gemeinden Saanen und Gsteig
Gelassen in das neue Schuljahr startet Simon Graa, Schulkommissionspräsident Gsteig. In der Gemeinde Gsteig sind alle Stellen besetzt. «Das verdanken wir einem sehr guten Kollegium, welches oftmals bereit ist, einzuspringen oder aufzustocken.» Martin Stähli, Schulleiter des Oberstufenzentrums Ebnit–Gstaad, kämpfte im vergangenen Jahr für Lehrpersonen, vorübergehend wurde mit Vertretungen gearbeitet und die intern bereits hohen Pensen nochmals erhöht. Jetzt die erfreuliche Nachricht: Fürs neue Schuljahr sind alle Stellen besetzt. «Wir mussten Lehrpersonen einstellen, die mit dem schweizerischen und bernischen Schulsystem nicht vertraut sind», informiert Stähli. Eva Frautschi von der Primarschule Saanen konnte auch aufatmen: «Wir hatten zwei Stellen ausgeschrieben und haben je nur eine Bewerbung erhalten – zum Glück gute!» Auch Christine Oberli, Schulleitung Rütti, startet ruhiger als auch schon ins neue Schuljahr: Alle Lektionen sind durch qualifizierte Lehrpersonen gedeckt. «Dem Schuljahr 2022/23 schaue ich jetzt bereits mit einem mulmigen Gefühl entgegen, denn an der Schule Rütti muss dann eine Klassenlehrperson für die Basisstufe ersetzt werden, erklärt Oberli. Es sei immer schwieriger, qualifizierte und motivierte Lehrpersonen zu finden, die bereit sind, von Bern und dem dort aufgebauten Freundeskreis ins Saanenland zu wechseln und dort für weniger Lohn als in vielen Nachbarkantonen zu arbeiten.

Die weiterführenden Schulen bleiben verschont
Die weiterführenden Schulen sind vom Lehrpersonenmangel bisher nicht betroffen. Christoph Däpp, Schulleiter der Abteilung Gstaad des Gymnasiums Interlaken, erzählt: «Wir haben zwei Stellen ausgeschrieben und konnten aus einer guten Anzahl Bewerbungen auswählen.» An der Wirtschaftsschule Thun, Abteilung Gstaad, sieht es ähnlich aus, die Stellen für Französischund Englischlektionen konnten intern besetzt werden. «Für Informatik- und Wirtschaftslehrpersonen wird es schwieriger werden», so Marc Matti, Schulleiter an der Abteilung Gstaad. Auf gymnasialer Stufe sind vor allem Mathematik, Physik und Chemie schwierig zu besetzen. «Die Privatwirtschaft bezahlt besser als die Schule», erläutert Däpp.

Auch Randregionen müssen ernst genommen werden
Die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern versucht mit verschiedenen Massnahmen zu unterstützen: So lancierte sie beispielsweise in der Vergangenheit eine Kampagne, um den Lehrberuf attraktiver zu machen oder schaffte auch eine Vermittlungsstelle, die die Schulleitungen in der Stellenbesetzung unterstützt. In enger Zusammenarbeit mit den Hochschulen und dem RAV werden Personen vermittelt, die über eine pädagogische oder akademische Ausbildung verfügen, von Mentoren und Mentorinnen begleitet werden und so Lücken füllen können. Auch die PH Bern reagierte und bietet infolge des Mangels diverse Unterstützungsmöglichkeiten, wie berufsbegleitende Praktika, Teilzeitstudium oder einen studienbegleitenden Berufseinstieg. Doch die Schulleiter/innen im Saanenland sind sich einig: Es reicht nicht. «Erst in den letzten Jahren, nachdem der Lehrpersonenmangel auch die Zentren erreicht hatte, kam in Bern etwas Bewegung auf», meint Martin Stähli. Das sorgt für Unmut. «Es ist sehr belastend für eine Schule und viele arbeiten an der Belastungsgrenze», erklärt Christine Oberli. Steigen diese Lehrkräfte aus gesundheitlichen Gründen aus, sei auch niemandem geholfen. Auch Hans Peter Schwenter äussert Unverständnis: «Viele Lehrpersonen verrichten im letzten Ausbildungsjahr ein Praktikum an einer Schule im Kanton. Wegen der grossen Distanz zu Bern werden uns jedoch keine Praktikantinnen und Praktikanten zugeteilt.»

Es sind Veränderungen gefragt
Der Dachverband für Lehrerinnen und Lehrer erklärt, dass das aktuelle Problem auf drei Ebenen angegangen werden muss: Zuerst in der Gesellschaft, um dem Lehrberuf entsprechende Anerkennung und Wertschätzung zuzusprechen; zweitens in der Politik, dass attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden, beispielsweise mit fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen und schliesslich bei den Schulleitungen, die sich konsequent für qualifiziertes Personal und gute Arbeits- und Anstellungsbedingungen vor Ort einsetzen müssen. Franziska Peterhans vom LCH fordert konkret: «Es braucht Investitionen in die Bildung und damit auch in die Lehrpersonen, um die Qualität der Schule zu sichern.» Bei den Lehrpersonen geht es in eine ähnliche Richtung. So fordert Martin Stähli mehr Praxisbezug in der Ausbildung und entsprechend eine Lockerung der Präsenzpflicht an der PH; oder einen konkurrenzfähigen Lohn, wie Christine Oberli erklärt. Unkonventionellere Ideen hat Peter Boss: «Vielleicht sollte ähnlich wie bei den Krankenkassenprämien die Löhne der Lehrpersonen regional abgestuft und die Randregionen höher entlöhnt, Praktika in Randregionen obligatorisch erklärt oder eine verkürzte Ausbildung für Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen ab 40 Jahren angeboten werden.»

Ein Hoffnungsfunke bleibt
Es ist und bleibt eine Herausforderung, neue Lehrpersonen zu finden, da sind sich die Schulleiterinnen im Saanenland einig. Auch, dass es schnell nachhaltige Lösungen braucht. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt, das sieht auch Christine Oberli: «Da das Thema nun vermehrt in den Medien ist, hoffe ich, dass es wenigstens dazu führt, dass sich mehr junge Leute dazu motivieren lassen, diesen zwar herausfordernden, aber nach wie vor auch wunderbaren Beruf auszuwählen.»


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote