10 Monate bedingt für Schändung

  23.11.2021 Region

Ein Masseur, der in einem Fünfsternhotel im Saanenland gearbeitet hatte, wurde wegen Schändung an einer Klientin schuldig gesprochen. Die Tat ereignete sich vor rund zwei Jahren.

KEREM S. MAURER
Die Anschuldigungen der Privatklägerin, einer jungen Frau aus Bern, wogen schwer. Sie bezichtigte einen 47-jährigen Masseur, sich während einer Massagestunde am 30. November 2019 mehrfach an ihr sexuell vergangen zu haben. Laut Aussage der Frau soll der Masseur sie intensiv am Gesäss massiert haben. Danach habe sie – aufgrund von Verspannungen im Rücken, die der Masseur festgestellt haben wollte – die Yogaposition des «Herabschauenden Hundes» einnehmen müssen, im Rahmen dessen sie die Lippen des Masseurs an ihrem Intimbereich gespürt habe. Und zum Schluss sei die Klägerin vom Masseur aufgefordert worden, sich auf den Rücken zu legen, worauf er ihre Brüste massiert habe. Die Privatklägerin gab an, völlig wehrlos gewesen zu sein. Es sei ihr nicht möglich gewesen, den ersten Angriff auf ihre geschlechtliche Integrität abzuwehren. Danach sei sie erstarrt und während der gesamten Tathandlungen widerstandsunfähig gewesen.

Kein Yoga während Massagen
Der Masseur, der aufgrund dieses Vorfalls von der Hotelleitung suspendiert wurde und das Saanenland inzwischen wieder verlassen hatte, bestritt sämtliche Tatvorwürfe. Er wiederholte mehrfach, wie eine professionelle Massage abläuft, ohne jedoch auf die konkreten Vorwürfe einzugehen. Die Massage von Frauen sei manchmal heikel, räumte er ein, versicherte aber, die Grenzen zwischen Massage und unsittlichen Berührenungen genau zu kennen. Neben der Privatklägerin belasteten zwei weitere Frauen im Zuge der Ermittlungen den Masseur zusätzlich. Beide sagten aus, sie hätten sich in die Yogaposition des «Herabschauenden Hundes» begeben müssen. Der Beschuldigte, der schon als Yogatrainer für Anfänger wirkte, wehrte ab. Während einer Massage liesse er seine Klientinnen nie Yogapositionen einnehmen. Er beteuerte, seine Arbeit seit zwanzig Jahren korrekt auszuführen.

Aussage gegen Aussage?
Der Anwalt des Beschuldigten rief in Erinnerung, dass während des Tathergangs im Massageraum nur die Privatklägerin und sein Mandant zugegen waren, womit letztlich seine Aussage gegen ihre stünde. Insbesondere zweifelte er die durch Schockstarre bedingte Widerstandsunfähigkeit der Privatklägerin während der gesamten Massage an. Eine Schockstarre, wie sie die Anwältin der Klägerin geltend machte, sei während einer Dauer von über einer halben Stunde kaum glaubwürdig, so der Anwalt. Er hielt dem Beschuldigten zugute, dass er die Aussage nicht verweigert, sondern die Geschehnisse detailliert wiedergegeben habe. Weiter beschrieb der Anwalt die Fassungslosigkeit und das Erstaunen des Beschuldigten als echt, als dieser mit den Vorwürfen konfrontiert worden war. Warum sollte der Masseur mit solchen Handlungen seinen Beruf, den er liebt und gerne ausübt, aufs Spiel setzen, fragte der Anwalt und führte aus, dass sich sein Mandant bei allen Befragungen durch die Strafverfolgungsbehörden konstant geäussert und ausführlich Stellung bezogen habe. In seinen Augen habe der Beschuldigte in seinen Aussagen widerspruchlos, nachvollziehbar und glaubwürdig gewirkt. Der Anwalt des Masseurs stützte sich in seinem Plädoyer auf die Unschuldsvermutung. Bestünden unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, sei für die beschuldigte Person von einer günstigeren Sachlage auszugehen, argumentierte er. «In dubio pro reo» – im Zweifel für den Angeklagten.

Keine Zweifel an Beschuldigungen
Beweise für die Kerngeschehnisse im Massageraum gebe es tatsächlich keine, erkannte auch die Anwältin der Privatklägerin. Aber sie verwies auf den Therapiebericht der Psychologin, welche die Privatklägerin nach dem Vorfall betreut hatte, und der unter anderem besagt, dass die Klägerin bis heute in ihrem Privat- und Sexualleben beeinträchtigt sei. Auch hätte ihre Mandantin viele und genaue deliktspezifische Angaben machen können. Dass sich die junge Frau gegen die Übergriffe nicht habe wehren können, sei für sie absolut nachvollziehbar, ebenso die Schamgefühle des Opfers, das bei den ersten Aussagen geweint und sich nur tröpfchenweise geäussert habe. Bei der Aussage ihrer Mandantin könne sie weder Widersprüchlichkeiten noch ein Motiv für eine Falschbezichtigung ausmachen.

Schuldig wegen Schändung
Die Gerichtspräsidentin des Regionalgerichts Oberland zweifelte nicht an den Aussagen der Privatklägerin. Das Opfer hätte den Tathergang konstant und detailliert geschildert, logisch und nachvollziehbar. Zudem sei die emotionale Betroffenheit der Klägerin heute noch spürbar und sie hätte nicht versucht, den Masseur übermässig zu belasten. Auch die von der Privatklägerin geschilderte Handlungsunfähigkeit sei nachvollziehbar. Zudem schilderten zwei weitere Klientinnen des Masseurs ähnliche Praktiken mit dem «Herabschauenden Hund». Dieser Handlungsablauf sei derart abstrus, dass man sich dies kaum ausgedacht habe, so die Gerichtspräsidentin. Dagegen habe der Masseur seine Massagen sehr allgemein beschrieben und sei kaum auf konkrete Fragen betreffend des Tathergangs eingegangen.

Am Ende der Verhandlung wurde der Angeklagte wegen Schändung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren verurteil. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf ein Tätigkeitsverbot wurde abgewiesen. Der Masseur muss der Privatklägerin eine Genugtuung in der Höhe von 3000 Franken bezahlen, zuzüglich Schadenersatz.


SCHÄNDUNG

Artikel 191 Strafgesetzbuch:
Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähn li chen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Die Schändung unterscheidet sich von sexueller Nötigung und Vergewaltigung hauptsächlich dadurch, dass der Täter ein Opfer missbraucht, das bereits widerstandsunfähig ist. Das Opfer ist grundsätzlich nicht im Stande, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren. Die Täterin oder der Täter nützen bei der Schändung diese Widerstandsunfähigkeit aus.

 


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