Vor 30 Jahren crashte die Spar- und Leihkasse Thun

  19.11.2021 Gstaad

Über 220 Millionen Franken Privat- und Geschäftsvermögen gingen verloren, als die Spar- und Leihkasse Thun (SLT) 1991 die Türen schliessen musste. Für die Bankenbranche und die Anleger ein Schock.

BLANCA BURRI
Am 3. Oktober 1991 gab die Spar- und Leihkasse Thun (SLT) bekannt, dass sie in «vorübergehenden Engpässen» stecke. Daraufhin stürmten Kleinanleger und Geschäftskunden die Bank, doch die Schalter waren bereits geschlossen und die Gelder eingefroren. In Thun kam es zu tumultartigen Szenen der wütenden Menge. Am 10. Oktober 1991 wurden die Schalter wieder geöffnet. Die Kunden konnten je 500 Franken abheben. Das darauf folgende Liquidationsverfahren dauerte Jahre. Mehr als 6300 Kunden verloren mehr als einen Drittel ihres Vermögens.

Filiale in Gstaad geschlossen
Urs Zumbrunnen arbeitete bereits auf der Saanen Bank, als die Filiale der Spar- und Leihkasse Thun in Gstaad geschlossen wurde. Er war 20 Jahre alt, hatte gerade die Banklehre abgeschlossen und war am 3. Oktober alleine mit zwei Lernenden in der Filiale in Gstaad: «Als ich von der Schliessung erfuhr, konnte ich es erst gar nicht glauben. Als Nächstes rief ich meinen Chef, der ferienhalber abwesend war, an.» Urs Zumbrunnen wollte wissen, welche Auswirkungen die Schliessung der SLT auf die Saanen Bank hat und wie er reagieren solle. Der Vorgesetzte zeigte sich auch überrascht. «Wir dachten alle, die Krise erledige sich innerhalb von zwei, drei Tagen und die Bank werde wohl übernommen und öffne danach wieder unter einem neuen Namen.» Der Saaner erinnert sich, dass die SLT zwar viel früher schon einmal gerettet werden musste, sie aber im Saanenland als seriös galt. «Viele Bürger aus dem Saanenland hatten Sparguthaben auf der SLT angelegt», sagt der Banker. «Die SLT war nicht die grösste Bank im Saanenland, jedoch die älteste», erinnert er sich. Auch Bankleiter Fred Steiner und sein Stellvertreter Willi Mösching seien im Saanenland verankert gewesen. Deshalb ist nicht erstaunlich, dass sich viele mit der Bank verbunden fühlten oder dort ein Konto hatten. Als die Nachricht der Schliessung die Runde machte, hatte auch die Saanen Bank alle Hände voll zu tun: «Wir haben den lieben langen Tag die vielen verunsicherten Kunden am Bankschalter beruhigt und nach individuellen Lösungen gesucht.» Als der Spar- und Leihkasse Thun die Banklizenz bereits kurze Zeit später entzogen wurde, war die Bevölkerung schockiert, verunsichert und hatte Angst um ihr Vermögen und vor der Zukunft.

Sofort reagiert
Weil viele Kunden der SLT plötzlich wegen dem Ereignis keine Liquidität und kein Bargeld mehr hatten, sah sich die Saanen Bank zum Reagieren veranlasst. «Der Verwaltungsrat der Saanen Bank beschloss, dass sofort grosszügige Kredite an betroffene Kunden vergeben werden konnten.» Jeder Person, die auf der SLT ein Guthaben nachweisen konnte, bekam bei der Saanen Bank einen zinslosen Kredit in der Höhe von maximal 10’000 Franken. Damit konnten die Kunden die laufenden Rechnungen begleichen und Lebensmittel einkaufen.

Schwieriger wurde es für die Hypothekarkunden. In den wirtschaftlich florierenden 1990er-Jahren waren die Gelder für Ausleihungen knapp und die Zinsen hoch. Die Banken verfügten über zu wenig flüssige Mittel, um alle Anfragen für neue Hypotheken von neuen Kunden zu finanzieren. «Das war eine grosse Herausforderung für alle, besonders für uns Kleinbanken», so Zumbrunnen. Die Grossbanken hätten ein wenig mehr Spielraum gehabt. Sie konnten darum die neuen Hypothekarkunden besser bedienen. Wegen der Schliessung der Spar- und Leihkasse Thun hatten die Kleinanleger damals in die Grossbanken mehr Vertrauen.

Schlechte Stimmung
Die schlechte Stimmung breitete sich überall aus. «Viele hatten Angst, dass auch die Saanen Bank den ‹Guggerstütz› macht und wollten ihr Geld deshalb beziehen», beschreibt Zumbrunnen die Atmosphäre. Die Schalterangestellten hatten alle Hände voll damit zu tun, zu erklären, was eine Bank macht, nämlich mit Spargeldern Hypotheken finanzieren. Ebenfalls klärten sie die Schalterkunden über die Folgen auf, wenn das Geld vom Konto abgehoben wird und in einem Schliessfach verschwindet. «Wenn alle ihr Geld in den Tresor legen, müssen wir dir oder deinem Nachbarn die Hypothek kündigen, weil wir sie sonst nicht mehr finanzieren können.» Diesen Satz habe er zigmal wiederholt.

Mühsam Erspartes verloren
Viele Kunden haben mit der SLT Geld verloren, das sie sich vom Mund abgespart hatten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie noch heute mit Bitterkeit an die Schliessung zurückdenken. Die Gläubiger organisierten sich teilweise und prozessierten gegen die SLT. Den Verantwortlichen wurde vorgeworfen, dass sie schon länger von der finanziell schlimmen Situation gewusst und ihre privaten Schäfchen vor der Schliessung noch ins Trockene gebracht hatten. Auch wurde gemunkelt, die Bank habe bei den Übernahmeverhandlungen mit einer möglichen grösseren Bank zu hoch gepokert. Fakt ist, dass die Bankenwelt aus diesem Desaster gelernt hat.

Vorschriften um 180 Grad anders
Der Reputationsschaden war im In- wie im Ausland so gross, dass die Eidgenössische Bankenkommission (heute FINMA) die Regulatorien massiv verschärfte. «Die Anforderung an die Eigenmittel, die Liquiditätsvorschriften, das Aktienrecht und auch die Verantwortung des Verwaltungsrates wurden seither massiv verschärft», sagt Bankenexperte Christoph Käppeli. Er war bis zu seiner Pension Partner beim Wirtschaftsprüfer PWC und verantwortlich für den Raum Bern. «Nach der Schliessung der SLT fand sofort ein Umdenken statt», bestätigt Urs Zumbrunnen. Man habe sofort bemerkt, dass die Banken globalen Schaden genommen hatten. Auf dem Bankenplatz Schweiz wurden die Kleinbanken bereinigt. Es gab zahlreiche Fusionen und Übernahmen. Dass eine Bank heute noch aus Liquiditätsgründen geschlossen werden könnte, glaubt Christoph Käppeli nicht: «Zwar ist der Immobilienmarkt im Moment etwas überhitzt, aber die Banken haben aus den 1990er-Jahren gelernt! Es gibt ein Gleichgewicht zwischen Spareinlagen, Hypotheken und Eigenmitteln.»


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