«… den werde ich nicht abweisen!» – ein Bild und Worte zum neuen Jahr

  31.12.2021 Kirche

Die Jahreslosung …
Die Jahreslosung der christlichen Kirchen wird von der «Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen» ausgewählt. Die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation spielt dabei keine Rolle, weil die Auswahl stets vier Jahre im Voraus stattfindet. Wichtige Gesichtspunkte sind dagegen, dass eine zentrale Aussage der Bibel in den Blick kommt, und zwar in einprägsamer und möglichst knapper Formulierung, ein Bibelwort, das in besonderer Weise ermutigen, trösten, Hoffnung wecken oder aufrütteln und provozieren kann.

… für das Jahr 2022
Das Jahr 2022 steht unter dem Leitwort: «Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!» Diese Worte finden sich im Johannesevangelium (6,37).

Die Geschichte der Jahreslosungen
Die Jahreslosung wurde erstmals 1934 publiziert. Initiator war der Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller. Er gehörte, wie Dietrich Bonhoeffer, zur Bekennenden Kirche und wandte sich gegen die Gleichschaltung von Kirche und Staat.

Die Jahreslosung geht zurück auf eine Praxis der Herrnhuter Brüdergemeinde. Diese Gemeinschaft wurde im frühen 18. Jahrhundert gegründet. Im Zuge der Gegenreformation mussten viele evangelische Christen ihre angestammten Gebiete verlassen. Niklaus Ludwig Graf von Zinzendorf bot ihnen auf seinem Gut eine neue Heimat. Die Gemeinschaft stellte sich «unter die Obhut des Herrn Jesus» und nannte sich, in Anlehnung an einen Psalm (84,4), «Herrnhut». Im Jahr 1728, während eines Gottesdienstes, zog Zinzendorf erstmals per Los einen biblischen Vers und gab ihn seiner Gemeinde mit auf den Weg. Das Verfahren hat sich seither nicht geändert: Ein Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeinde «lost» für jeden Tag des Jahres ein Bibelwort. Die so ermittelten Worte werden bis heute als Tageslosungen in einem Sammelband veröffentlicht und sind Richtschnur für den Alltag vieler Christen.

Die Illustration
Die Illustration zur Jahreslosung 2022 stellt drei Teile dar:

Im oberen Bereich findet sich eine hellblaue Fläche. Darunter liegt ein roter Bereich, der sich ganz aus Gesichtern zusammensetzt. Diese sind, abgesehen von der Kopfform, gekennzeichnet durch in Weiss eingezeichnete Augen mit deutlichen Augenbrauen, Nasen und offenen Mündern.

Vor dieser Menge steht eine dunklere menschliche Gestalt. Sie ist in einem Braunton mit hellblauen Flecken und eigenartigen Strukturen darauf gehalten. Die Umrisse und die Form der Figur ist klar vom Hintergrund abgesetzt, aber Einzelheiten wie das Gesicht oder die Haare lassen sich im Bild nicht erkennen. Es ist nicht einmal klar zu sehen, ob die menschliche Gestalt mit dem Rücken oder der Vorderseite zum Betrachter dargestellt ist. Die stehende Figur erhebt die Arme und streckt sie rechtwinklig vom Körper weg. Da die Gestalt aus der Bildmitte heraus fast bis zum linken Bildrand heranrückt, können wir nur einen Arm sehen. Aber wir ahnen durch die angeschnittene Schulterpartie, dass der nicht dargestellte Arm dieselbe Haltung wie der sichtbare hat. Die Hand am gestreckten Arm ist vollständig offen.

Die biblische Geschichte
Die Jahreslosung für das nächste Jahr – «Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!» – stammt aus der Erzählung von der Speisung der 5000. Zuvor berichtet das Johannesevangelium u.a. von der Tempelreinigung und verschiedenen Heilungen. Über Jesus wird geredet und die Nachrichten von ihm gehen von Ort zu Ort. Man erzählt sich über Vorkommnisse und diskutiert sie; die Zeichen und Wunder, welche Jesus vollbringt, werden weitererzählt. Ihm eilt ein Ruf voraus und die Erwartungen an ihn sind hoch.

Viele Menschen strömen zusammen, denn Jesus muss man gesehen und erlebt haben. Man muss dabei gewesen sein. Und so versammelt sich eine grosse Menge von Menschen um Jesus.

Was die Menschen dabei erwarten oder erhoffen, ist unklar. Gewiss sind einige auf Zeichen und Wunder aus, weil sie sensationslüstern sind. Andere hoffen auf Heilung für sich selbst oder ihre Lieben. Dritte sind fasziniert von seinen Reden und Predigten und wollen weitere hören. Vielleicht erkennen einige in Jesus den von Gott gesandten Retter. Doch sie alle sind neugierig und erwarten bestenfalls Abwechslung in einem eintönigen Alltag und Unterhaltung in einer trostlosen Welt. So sind sie alle da. Sie sind gekommen, auch wenn sie vielleicht selbst nicht so genau wissen, weshalb. Und Jesus weist keinen von ihnen ab.

Und nun?
«Komm herein! Du bist herzlich willkommen!» So möchten wir gerne in Empfang genommen werden, wenn wir einen Besuch machen. Aber wie hören sich die Worte an, wenn sie jemand sagt, den ich gar nicht kenne? Vielleicht macht sich Misstrauen breit: Will mich jemand vereinnahmen oder mir ein Geschäft aufschwatzen, mir irgendetwas verkaufen? Vorsicht ist geboten!

Zudem: Die einladenden Worte widersprechen erheblich unseren derzeitigen Erfahrungen. Eine lange Zeit der Pandemie liegt hinter uns. Wir machten und machen Erfahrungen mit verschlossenen Türen und Abgewiesenwerden. Türen öffnen sich nur mit einem gültigen Test, und auch nur dann unter zusätzlichen Erfordernissen. Auch zu Gottesdiensten wurde und werde ich nur unter bestimmten Bedingungen zugelassen, nicht aus Unfreundlichkeit, sondern um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Gewisse Einrichtungen und Tätigkeiten sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich und möglich.

Die Losung für das kommende Jahr steht in grösstmöglichem Widerspruch zu unseren derzeitigen Erfahrungen. Die Worte «Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!» rufen in Erinnerung: Gott ist da – mit offener Tür und einem zugewandten Herzen. Was auch immer ich mitbringe, vorzuweisen, als Schuld oder Mangel zu benennen habe: Er lässt sich auf mich und meine Geschichte ein. Damit lässt sich leben. Auch im neuen Jahr.

BRUNO BADER

Mit Material aus: «Die Jahreslosung 2022 – Ein Arbeitsbuch mit Auslegungen und Impulsen für die Praxis», hrsg. von Martina Walter-Krick und Martin Werth, Neukirchen-Vluyn 2021.


Rollenspiel

Lebendiger Gott, ich spiele so viele Rollen und weiss doch manchmal nicht, wer ich bin.

Ich trage so oft eine Maske und verberge dahinter voller Angst mein Gesicht.

Sieh mich an, im Licht deiner Liebe werde ich schön. So, wie ich bin.
Tina Willms


Wunsch

Dass einer mich findet, wenn ich mich selbst verliere, dass einer meinen Namen bei sich bewahrt.

Dass einer noch weiss, wer ich bin, und neu erzählt, was ich längst vergass.

Dass einer mich birgt im Haus einer Liebe, die weiter reicht als das, was ich ahne von mir.
Tina Willms


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