«Rilke ist der Inbegriff eines Dichters»

  10.12.2021 Interview

Der Autor und Wahlsaaner Farrol Kahn hat diesen Sommer einen eindrücklichen biografischen Roman über den Dichter Rainer Maria Rilke herausgegeben (in Englisch). Rilke hatte eine Liebschaft mit Elisabeth Klossowska, der Mutter des Malers Balthus. Im nachfolgenden Interview mit dem «Anzeiger von Saaen» gibt Farrol Kahn einen Einblick in sein Buch und in das Wesen des mystischen Dichters.

Farrol Kahn, können Sie uns eine kurze Zusammenfassung des Buches über Rilke geben, welches Sie geschrieben haben?
Das Buch ist die Geschichte einer tragischen Liebesbeziehung. Rilke, der sein ganzes Leben dem Dichterdasein gewidmet hat, gerät in eine kreative Blockade. Er ist verzweifelt und kurz davor, die Schweiz zu verlassen, als er 1920 Elisabeth Klossowska kennenlernt. Sie wird seine Geliebte und Muse und findet für ihn einen «Turm», in dem er seine grossen Gedichte vollenden kann. Sechs Jahre später, 1926, stirbt er im Alter von 51 Jahren an Leukämie. Übrigens: Rilke half Balthus, seine ersten Zeichnungen in Tusche über die Katze Mitsou zu lancieren und zu veröffentlichen. Er war eine väterliche Figur für Balthus und er schrieb eine Einleitung zum Buch «Mitsou».

Warum haben Sie ein Buch über Rilke geschrieben?
Was mich an Rilke reizte, war, dass er der Inbegriff eines Dichters ist. Ein englischer Dichter sagte einmal, wenn er sich beim Rasieren schneidet, würde er Gedichte verfassen. Zu Beginn seiner Ehe, nach der Geburt seiner Tochter Ruth, wandte sich Rilke an seine Frau Clara und sagte: «Ich bin an einem Scheideweg in meinem Leben angelangt. Ich bin weder ein guter Ehemann noch ein guter Vater, aber ich will ein guter Dichter werden. Ciao!» Was ihn durchhalten liess, bis er seine beiden Meisterwerke, die «Duineser Elegien» und die «Sonette für Orpheus», vollendete, war sein Mantra: «Immer ein Anfänger zu sein! Immer ein Anfänger zu sein!» Durch seine bescheidene Entschlossenheit, immer wieder neu anzufangen, hatte er Erfolg.

Was ist Ihr Ansatz für dieses Buch?
Es ging darum herauszufinden, warum Rilke wie ein Philosoph und Guru behandelt wurde. Der Grund dafür war, dass seine Frau ihm nie verziehen hatte, dass er sie verliess, und als sie nach seinem Tod die literarische Nachlassverwalterin wurde, zensierte sie seine Briefe und liess nur spirituelle oder philosophische Bezüge drin.

Was ist anders als bei anderen Büchern über Rilke?
Mein Buch unterscheidet sich von anderen Büchern, weil ich Rilke lebendig gemacht habe.

Haben Sie viel recherchiert?
Ich habe in den zehn Jahren, in denen ich das Buch geschrieben habe, viel recherchiert: Biografien von Menschen gelesen, die ihn kannten, Material aus Bibliotheken wie der Bodleian-Bibliothek der Universität Oxford, der Bodmeriana in Genf und anderen studiert. Ich sprach mit Menschen, die seine Geliebte Elisabeth Klossowska und ihren Sohn, den Maler Balthus, mit dem Rilke befreundet war, gekannt hatten, sowie mit anderen Forschern, die Rilkes Tochter und seine Frau getroffen hatten. Für diejenigen, die ihn kennenlernten, war er unbefangen, nicht arrogant, mit einem leichten Auftreten und immer höflich. Er war leicht gebaut, eher klein, hatte einen grossen Kopf und grosse blaue Augen.

Was sind die faszinierendsten Punkte im Buch?
Das Faszinierendste ist die Tiefe der Beziehung zwischen ihm und Elisabeth, die an das mittelalterliche Liebespaar Abelard und HeloÏse erinnert. Die Schönheit des Wortwechsels zwischen den beiden ist atemberaubend: «Ich gehe, ich schaue, es sieht aus wie ein Hotelzimmer und doch war es mein Haus auf Erden. Mein Garten der Liebe, und nirgends, ausser in der ekstatischen Einsamkeit der Arbeit, ist mein Herz so zufrieden gewesen. In meiner letzten Nacht schlief ich mit deinem Brief am Herzen, ich liebte mit wahrer Liebe die schwache kleine Rose. Ich habe die feuchten schwarzen Weintrauben gegessen. Ich habe die Feigen gestreichelt und den Duft der kleinen Blumen eingeatmet, der jenen kleinen Nestern ähnelt, die du in der Intimität deiner schönen Arme hast, wo du die jungen geflügelten Exaltationen aufziehst, die hoch fliegen, wenn du deine Arme für deinen entzückten Freund öffnest. Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen. Lebe aus unseren unerschöpflichen Schätzen.»

Ist das Buch eher eine Biografie oder Fiktion?
Das Buch ist eine biografische Fiktion oder «Fraktion».

Wer sollte dieses Buch lesen?
Jeder, der wissen möchte, was es heisst, ein Dichter zu sein.

Welche Bücher haben Sie als Nächstes in Planung?
Das nächste Buch, das ich in Planung habe, ist der Roadtrip mit Rilke durch die Schweiz.

Zum Abschluss: Warum haben Sie Saanen eigentlich als Ihr neues Zuhause gewählt?
Ich kam 2009 in die Schweiz und mochte das Land so sehr, dass ich anfing, Kultur- und Reisebücher zu schreiben, um den Tourismus zu fördern. Ich habe überall gelebt, in einem Dorf namens Eischoll im Wallis, in Vevey im Waadtland sowie in Genf. Schliesslich fand ich das Saanenland so magisch, dass ich mich in Saanen niederliess. Es gibt die Legende von der Hand Gottes, die die fünf Täler geschaffen hat. Hier habe ich Ruhe und Inspiration gefunden und das Buch über Rilke geschrieben. Von hier aus reiste ich auf den Spuren Rilkes durch die ganze Schweiz.


Der Autor Farrol Kahn wurde in den 1960er-Jahren in Südafrika geboren. Dort hat er sich ausgebildet und ist zum Journalisten geworden. Er lebte dann die meiste Zeit seines Lebens in London und Oxford. Von 1996 bis 2009 war er Direktor des gemeinnützigen Aviation-Health Institute (AHI) in Oxford, das er gegründet hat, als er sein Buch «Curse of Icarus» (Routledge 1990) schrieb. Das Buch zeigte die Gesundheitsrisiken des Fliegens auf – Krebs durch Sonneneinstrahlung und Blutgerinnsel durch weniger Sauerstoff in der Flugzeugkabine. Sir David Weatherall, der Regius-Professor für Medizin an der Universität Oxford, war von seinem Buch beeindruckt und wurde Mitglied des Beirats. Es folgten drei weitere Bücher über Luft- und Raumfahrtmedizin, die alle bei Amazon erhältlich sind.

Während seiner Amtszeit bei der AHI organisierte Farrol Kahn Veranstaltungen zu gesundem Fliegen auf Flughäfen wie Heathrow, Dublin, Kopenhagen und Malta. Eine 28-jährige sportliche Frau starb nach einem Flug London/Sydney/London. Ihre Lunge war mit Blutgerinnseln gefüllt. Die Menschen waren schockiert darüber, dass auf einem Langstreckenflug eine junge Passagierin sterben konnte. Der Grund dafür ist, dass es keine Warnungen gab, dass die Fluggesellschaften durch das Warschauer Abkommen von 1929, das nicht geändert worden war geschützt waren. Danach hat Farrol Kahn von den Regierungen der EU-Länder und des Vereinigten Königreichs zwei Millionen Pfund für die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführte Erforschung der tiefen Venenthrombose (DVT) erhalten. Dies führte zur Entwicklung von Kompressionsstrümpfen mit einem Quecksilberwert von 14 bis 20 Millimetern für Flugreisende.


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