Widerstand gegen die Maskenpflicht in der Unterstufe
25.01.2022 RegionDie Maskenpflicht für Kinder ab der ersten Primarklasse sei zum Schutz und Wohl der Kinder sofort aufzuheben, fordern Eltern in einem Brief an die kantonale Bildungsministerin, Regierungsrätin Christine Häsler.
ANITA MOSER
«Wir Eltern und Bürger/innen sind empört über den Entscheid des Regierungsrates, dass nun bereits Kinder ab der ersten Klasse eine Maske tragen müssen», heisst es in dem Schreiben an die Bildungs- und Kulturdirektion. Der Entscheid des Regierungsrates widerspreche der aktuellen Datenlage und der professionellen Einschätzung der Kinderärzte der Schweiz, heisst es unter anderem in dem Brief, den über 600 Personen aus dem Simmental und Saanenland unterschrieben haben. Die Erziehungsdirektion hat den Eingang des Briefes auf Nachfrage bestätigt.
Empört hat sich auch eine Leserin des «Anzeigers von Saanen» und zwar über den Artikel «Keine Probleme mit der Maske bei den Jüngsten». Es sei bei Weitem nicht so unproblematisch, wie von den Schulleitern beschrieben, sagt sie.
Kopfschmerzen, starke Müdigkeit und Konzentrationsprobleme
Sie sei keine Coronamassnahmen-Gegnerin, betont sie im Gespräch mit den «Anzeiger von Saanen». Sie sehe sehr wohl den Grund, weshalb die Erwachsenen Masken tragen sollen. «Das kann ich gut nachvollziehen und vertreten. Aber hier geht es um unsere Kinder», betont die mehrfache Mutter. Kinder bräuchten viel mehr Sauerstoff als Erwachsene, so die Pflegefachfrau. «Dreimal mehr pro Kilogramm Körpergewicht.» Müssten sie die Maske über mehrere Stunden tragen, hätten sie ein erhöhtes Adrenalin im Körper.
«Wir können die Verantwortung für allfällige Folgen – physische und psychische – nicht übernehmen», erklärt sie ihren Widerstand gegen die Maskenpflicht an der Unterstufe. Ihr Kind habe bereits nach wenigen Tagen Symptome gezeigt: Kopfschmerzen, starke Müdigkeit und Konzentrationsprobleme. «Wir wollten ein Attest beantragen», erzählt die besorgte Mutter. Doch das sei nicht so einfach. Sie habe über 15 Ärzte angefragt. Ohne Erfolg. Das Kind habe keine Lungenschädigung, sei nicht psychisch krank. «Ich will mein Kind ja nicht krank reden.»
Anderen Eltern respektive anderen Kindern gehe es genauso. Sie sei mit vielen Eltern im Austausch. Darunter seien Eltern, die grundsätzlich gegen alle Coronamassnahmen seien, aber auch andere wie sie, die nicht per se sämtliche Massnahmen in Frage stellten.
Falsch getragene Masken
«Als Pflegefachfrau weiss ich, wie eine Maske getragen werden muss. Ich sehe viele Erwachsene, die nicht richtig mit den Masken umgehen.» Und bei den Kindern sei das noch viel extremer. «Sie kauen daran, greifen dauernd an die Maske, kratzen sich, berühren wieder die Maske.» Schon allein deshalb setze sie ein grosses Fragezeichen hinter die Maskenpflicht. Ärzte, die sie angefragt habe für ein Attest, hätten ihr sogar deutlich gesagt, dass die Masken bei Kindern nichts nützten, aber das Tragen jetzt halt Pflicht sei. «Man hat mir gesagt: ‹Sagen Sie Ihrem Kind, es soll die Maske immer wieder herunterziehen›». Aber das dürften die Lehrer ja auch nicht tolerieren, was sie ja verstehe, so die Mutter.
Auch beim Sport in der Turnhalle müssen die Kleinen die Maske tragen. Nur draussen sind sie von der Maskenpflicht befreit. «Die Lehrer geben sich grosse Mühe. Sie bauen viele Pausen ein, verlegen den Sport nach draussen», lobt die Saanerin.
Die Kinder lernten im Rahmen des Lehrplans 21 beim Thema «Mein Körper gehört mir», Nein zu sagen. Bei der Maskenpflicht werde das einfach übergangen, so die Mutter. Dazu komme der Gruppendruck. «Ein Sechsjähriges kann das nicht einordnen. Es vertraut einem, den Eltern oder den Lehrkräften – was ja schön ist.» Sie mache nicht die Schule für die Situation verantwortlich. «Wir wollen nicht gegen sie arbeiten. Wir haben grundsätzlich eine wohlwollende Haltung gegenüber der Schule.» Aber jetzt gehe es um ihre Kinder und deren Gesundheit. Deshalb hat sich die Familie auch für den Privatunterricht entschieden
Privatunterricht seit gestern Montag
Der Kanton hat die Maskenpflicht für die 1. bis 4. Klasse nicht wie von den Eltern erhofft aufgehoben, sondern bis zum 14. Februar verlängert. Zugleich hat er die «Pandemiebedingte Dispensation mit kurzfristigem Privatunterricht für Kindergarten bis 4. Klasse» erleichtert. «Wir machen von diesem Angebot Gebrauch», erklärt die Familienfrau. Ihr Kind wird seit gestern privat unterrichtet. «Ich bin froh, gibt es diesen Weg – aber ganz begeistert bin ich nicht», betont sie. «Wir können es glücklicherweise einrichten, wenn auch mit sehr viel Aufwand. Aber sie kenne Eltern, die ein grösseres Arbeitspensum hätten als sie und es deshalb nicht so gut einrichten könnten. «Deren Kinder müssen trotzdem in die Schule – Ethik hin oder her», bedauert sie.
Stand Samstag machen gemäss Auskunft der Schulleitungen in der Gemeinde Saanen insgesamt acht Kinder von dem Privatschulangebot Gebrauch. Bei den Schulleitern der Gemeinden Gsteig und Lauenen gingen bis Samstag keine entsprechenden Gesuche ein.
Erschwerte Kommunikation
Aber auch bei der Lehrerschaft gibt es Bedenken. «Ich finde die Maskenpflicht auf dieser Stufe gar nicht gut», betont eine Unterstufenlehrkraft. Einerseits habe sie grundsätzliche Vorbehalte: Bei Brillenträgern beschlage sich die Brille. Und Kinder mit Gehörproblemen oder oft laufender Nase (Allergien) hätten erschwerte Bedingungen. Und die Handhabung der Maske in diesem Alter sei auch nicht ganz einfach.
Schwerer wiege aber, dass die Kommunikation und das Lernen erschwert würden. «In diesem Alter sind die Schülerinnen und Schüler darauf angewiesen, dass sie die Mimik von uns Lehrpersonen sehen, um die Sprache besser verstehen zu können.» Zum Beispiel Erstklässler, die Buchstabeneinführung hätten und die einzelnen Laute hören müssten. Ohne Einbezug der Mimik und wegen der durch die Maske undeutlichere Aussprache sei das viel schwieriger, sagt die Lehrperson.
Bis zum Alter von acht Jahren sei eine ganz wichtige Zeit, um Empathie aufzubauen, was ohne dass man die Mimik sehe, auch schwieriger sei. «Allgemein frage ich mich, welches Bild wir den Kleinen vermitteln. Man weiss ja, dass Bilder mehr als hundert Worte wirken.» Bisher habe man immer die Kinder geschützt. «Und jetzt plötzlich müssen sich die Erwachsenen vor den Kindern schützen? Das hat es bis jetzt noch nie gegeben.» Es gebe auch viele Kinderpsychologen und Kinderärzte, die viele Vorbehalte gegenüber der Maskenpflicht hätten. «Es stimmt mich nachdenklich und ich frage mich: Werden die Kinder in ihrem Urvertrauen erschüttert, ohne dass wir Erwachsenen es bemerken?»
Wenige Rückmeldungen von Eltern
Von den Eltern seien bisher nur wenige Rückmeldungen gekommen. «Eine Mutter hat mir gesagt, ihr Kind klage über Kopfschmerzen.» Und wie tönt es im Kollegium? Da sei man unterschiedlicher Meinung – von «schwierig» bis «sie gewöhnen sich daran». «Wenn sie sich daran gewöhnen, heisst das für mich noch lange nicht, dass es auch für die Kinder gut ist», betont die Lehrkraft. «Uns zuliebe machen sie in dem Alter sehr viel.» Aber auch der soziale Aspekt gehe teilweise verloren, wenn sich die Kinder nur «maskiert» sähen. «Wenn die Maskenpflicht noch länger anhält, frage ich mich, ob ich meinen Beruf noch weiter richtig – das heisst, mit der notwendigen Sorgfaltspflicht – ausüben kann.»