«Eine gesunde Portion Realismus und Robustheit»
22.02.2022 InterviewIm Interview erzählt der Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes, Markus Mader, dass er sich als Teenager nach dem Skifahren im Gstaader Hallenbad aufwärmte und er erklärt, wie er den Spagat zwischen Reich und Arm meistert. Das Gespräch fand vor der Gala statt.
BLANCA BURRI
Markus Mader, welche Beziehung pflegen Sie zu Gstaad?
Ich kenne das Saanenland seit jungen Jahren. Ich verbrachte meine Skiferien mit ein paar Kollegen in einem alten Bauernhaus am Rande von Gstaad. Ich erinnere mich daran, dass es kein fliessendes warmes Wasser gab und das Haus nur mit Holz geheizt werden konnte. Nach langen Tagen auf der Skipiste wärmten wir uns am Abend jeweils im Hallenbad auf, bevor wir ins Chalet gingen. Später habe ich ab und zu die Frühlings- oder Sommerferien mit meinen Kindern in der Region verbracht.
Weshalb gibt es in Gstaad neben St. Moritz neu auch eine Rotkreuz-Gala?
Das SRK führt seit vielen Jahren regelmässig Charity-Anlässe durch, um für die Situation verletzlicher Menschen zu sensibilisieren und Spenden zu sammeln. Am längsten in Genf. Wir waren für andere Anlässe bereits in Gstaad. Einige Mitglieder unseres Organisationskomitees haben gute Beziehungen zu Personen, die viel Zeit in Gstaad verbringen. Deshalb eröffnete sich die Möglichkeit, hier eine Charity-Gala zu organisieren.
Mit welchem Spendenbetrag rechnen Sie?
Da der Anlass zum ersten Mal stattfindet, ist es schwierig abzuschätzen. Aber nach Abzug der Kosten, die wir in der Regel durch den Verkauf der Eintrittskarten und der Sponsorenbeiträge decken, rechne ich mit 500’000 Franken, die durch die Auktionen zusammenkommen (Anm. der Red.: gespendet wurden total 780‘000 Franken). Doch wie gesagt, geht es nicht nur um den Spendenbetrag, sondern auch darum, dass die Gäste etwas über die Weltsituation und unsere Projekte erfahren. Wir möchten den Teilnehmenden ein gutes Gefühl vermitteln und sie an uns binden, damit sie uns auch später wieder unterstützen als Ansprechpartner oder mit Spenden.
An sozialen Anlässen werden politische und andere Probleme informell gelöst. Auch in Gstaad?
Uns ist jede Art von Unterstützung wichtig: die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unsere Projekte mit Freiwilligeneinsätzen, Blutspenden oder einem adäquaten Betrag von jährlich 20 Franken unterstützen. Ebenso der Support, der sich aus Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern oder mit dem Bund ergeben. Wir pflegen diese Beziehungen auf allen Seiten. In Gstaad geht es darum, Sponsorenpartner zu pflegen, aber auch neue potenzielle Sponsoren kennenzulernen und sie für die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt zu sensibilisieren. Wenn man sich bereits kennt, kann man bei einem späteren Anliegen einfacher auf die Personen zugehen.
Sie setzen sich für die ärmsten und versehrtesten Menschen dieser Welt ein, sammeln aber bei den Reichsten. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um?
Das gehört bei uns zum Tagesgeschäft. Auch als ich noch für das Internationale Rote Kreuz im Ausland im Einsatz war, hatten wir es mit dem Militär und der Regierung zu tun und auf der anderen Seite mit den ärmsten und verletzlichsten Menschen dieser Welt. Es gehört zur Arbeit des Roten Kreuzes. Auch in Bern. Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Extremen eine Solidaritätsbrücke zu bauen. Das erreichen wir mit Sensibilisierungskampagnen. Wir zeigen auf, was auf der Welt passiert. Wir bieten zudem Möglichkeiten, sich solidarisch zu zeigen: Über uns kann man die betroffenen Menschen vor Ort unterstützen. Ja, es ist ein Spagat – aber es gehört zu unserem Auftrag.
Wie verarbeiten Sie den Spagat zwischen Reich und Arm emotional?
Uns wird nachgesagt, wir seien idealistisch. Um das alles zu verarbeiten, braucht man eine gesunde Portion Realismus und Robustheit, denn wir sind in der Tat mit sehr viel Leid konfrontiert. Auch in der Schweiz. Viele Menschen haben in der Pandemie gelitten. 8,5 Prozent sind arm, also jede zwölfte Person in der Schweiz, nochmals fast so viele sind armutsgefährdet, obwohl sie mehrheitlich arbeiten. Deshalb gilt es, emphatisch zu sein und gut organisiert, damit wir wirksam und effizient helfen können.
ZUR PERSON
Der 58-jährige Markus Mader studierte Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften an der Universität St. Gallen und war anschliessend Delegierter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Markus Mader beteiligte sich in einer Projektfachgruppe an der Erarbeitung des «Swiss NPO-Code» – Corporate Governance-Richtlinien zur Steuerung und Führung von Nonprofit-Organisationen in der Schweiz. Seit Juli 2008 ist er Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK und hat Einsitz in den Stiftungsräten der Humanitären Stiftung SRK und in der Glückskette. Zudem ist er Mitglied der Beratenden Kommission des Bundesrates für Internationale Zusammenarbeit und des Advisory Boards des Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel. Markus Mader ist Vater von zwei erwachsenen Adoptivkindern aus Äthiopien und lebt mit seiner Partnerin in Bern.