«Wir schaffen mit diesem Projekt einen schweizweiten Präzedenzfall»
08.02.2022 InterviewANITA MOSER
Esther Mottier, wo steht das Projekt heute?
EM: Zurzeit warten wir noch auf eine Antwort einer eidgenössischen Kommission, danach sollte die offizielle Bestätigung der 21 kantonalen Ämter, die im Projekt involviert sind, erfolgen. Anfang Frühling beginnt die Baueingabephase.
Wie behält man die Energie, wenn 21 Ämter involviert sind?
EM (schmunzelt): Zum Glück waren wir zu Beginn noch sehr naiv und wussten nicht, was alles auf uns zu kommt… Wir schaffen mit diesem Projekt einen schweizweiten Präzedenzfall. Das ist sicherlich auch ein Motor. Wir merken: Das Projekt ist so wichtig für unsere Gesellschaft. Wir haben auch viele Leute kennengelernt, die uns unterstützen. Eine Motivationsquelle sind auch die Kinder und die Verbindung zur Natur.
Demnächst soll das Projekt öffentlich aufgelegt werden. Sind Einsprachen zu erwarten?
EM: Wir haben in den letzten Jahren versucht, sehr transparent zu kommunizieren. Wir beantworten Fragen, haben das Projekt der Bevölkerung und Vereinen vorgestellt. Die Gemeinderäte stehen sehr stark hinter dem Projekt. Auf ihre Anregung hin dürfen wir das Projekt während der Baueingabe öffentlich ausstellen. Dort kann man sich umfassend informieren. Gibt es fundierte Einsprachen, hoffen wir, dass wir im Rahmen der Verhandlungen die Wichtigkeit des Projekts so darlegen können, dass die Einsprachen bereinigt und Gerichtsverhandlungen vermieden werden können.
Wann ist der Baustart geplant?
EM: Wenn alles nach Plan geht, diesen Herbst. Gibt es Einsprachen, die aufrechterhalten bleiben, kann es zu Verzögerungen von Monaten, wenn nicht Jahren kommen.
Camille Andres: Ich habe während der Filmarbeiten keine Person gefunden, die ein fundiertes Argument gegen dieses Projekt hat.
EM: Das Projekt wurde in den vergangenen drei Jahren in Zusammenarbeit mit dem Kanton weiterentwickelt. Und weil es sich noch in der Entwicklungsphase befand, waren wir in Absprache mit dem Kanton zurückhaltend mit Bildern. Sobald die noch ausstehende Antwort einer eidgenössischen Kommission vorliegt, werden wir wieder aktiver in der Öffentlichkeit auftreten, damit sich die Bevölkerung basierend auf dem aktuellen Projektstand äussern kann.
Haben Sie einen Plan B, wenn das Projekt nicht realisiert werden kann?
EM: Da wir so oder so neue Stallgebäude bauen müssen, geht es nicht darum, ob wir etwas bauen oder nicht, ob man Wiesen behält oder ein Gebäude erstellt. Die Stallgebäude haben uns die Basis gegeben für die Grundfläche, die wir für das Projekt verplant haben. Falls es Probleme geben würde, die nach den Verhandlungen aufrechterhalten bleiben, ist unser Plan B ein landwirtschaftliches Gebäude in etwa den gleichen Dimensionen, aber in traditioneller Bauweise. Aber davon sind wir noch weit entfernt.
Für das Gebäude «Bovino» muss das Landwirtschaftsland umgezont werden in die Tourismuszone.
EM: Genau, deshalb sind die 21 Ämter involviert. Die Tourismuszone muss sein, weil wir mehr Mitarbeitende haben, die nicht landwirtschaftlich auf diesem Betrieb arbeiten. Auf diese Antwort einer eidgenössischen Kommission warten wir noch. Und danach erfolgt die Baueingabe – für die Umzonung und für die Architektur parallel.
Das Projekt ist nach den Anpassungen, welche mit dem Kanton ausgearbeitet wurden, und den aktuellen Mehrkosten in der Baubranche mit 40 Millionen Franken veranschlagt. Wie weit sind Sie mit der Finanzierung?
EM: Circa 70 Prozent der Finanzierung steht. Wir haben ein gutes Netzwerk aufgebaut und stehen auch mit interessierten Firmen in Kontakt. Jede Firma positioniert sich jetzt bezüglich ihrer Nachhaltigkeit und es ist ein Pilotprojekt, das in der Schweiz einzigartig ist. Deshalb bekommen wir viel Unterstützung. Bis im Sommer sollte die gesamte Finanzierung stehen. Auch die Verhandlungen mit den Banken und privaten Investoren sind am Laufen.
CA: Einige Unternehmen suchen solche innovativen Projekte in dieser Grösse in der Schweiz. Ich bin in Kontakt mit einer grossen Bauunternehmung, die Interesse an einer Partnerschaft hat.
Wer ist Bauherr?
EM: Wir haben eine Stiftung gegründet. Es sind drei Rechtsformen im Projekt involviert. Der Bauernhof ist eine Einzelfirma, eine Stiftung ist Bauherrin und Besitzerin der Gebäude und über eine GmbH laufen alle ausserlandwirtschaftlichen Aktivitäten in diesen Gebäuden.
Werden die Räumlichkeiten, zum Beispiel das Restaurant, vermietet?
EM: Nein, es wird über die GmbH von Mitarbeitenden geführt. Es gibt schon so intern viele Interaktionen, mit noch mehr verschiedenen Rechtsstrukturen würde es zu komplex. Für die Arztpraxen gibt es jedoch die Möglichkeit, dass sich Ärzte einmieten. Da sind die Diskussionen noch am Laufen.
Camille Andres, Sie waren mit der Kamera auch an Sitzungen von Behörden dabei. War es einfach, Zugang zu bekommen?
CA: Ich habe immer zuvor angefragt. Zu der Sitzung des Staatsrates durfte ich jedoch nicht. Für mich persönlich war es eine Herausforderung. Es waren zum Teil schwierige Sitzungen und man weiss nie, wie die Leute reagieren, wenn eine Kamera dabei ist. Sagen sie noch, was sie meinen? Die Vertrauensbasis ist sehr zentral.
Die beiden Kinder Laurent und Alissia kommen im Film sehr oft vor. Ist das so gewollt?
EM: Es ist ihr Leben. Die Kinder machen Homeschooling, sie sind immer da, sie erleben Sitzungen am Familientisch, erleben die Kantonsvertreter. Vor einer Sitzung fragen sie jeweils, um was es geht, was ansteht usw. Ich bin sehr dankbar, dass Camille den Kindern den Platz gegeben hat, der ihnen zusteht.
Das Restaurant ist direkt über dem Stall. Haben Sie keine Angst vor Geruchsimmissionen?
EM: Es ein Bauernhof. Aber ja, wir haben uns viele Gedanken gemacht. Aber erstens ist die Decke zwischen den Bereichen dicht. Und zweitens können die Leute zwar überall die Tiere berühren, aber sie kreuzen nie die Ausläufe der Tiere, welche natürlich schmutzig sind. Denn den Stallgeruch bringt man meistens mit den Schuhen herein. Und man berücksichtigt auch das Klima im Stall. Er ist bepflanzt und es gibt eine Biogasanlage. Im Weiteren sind Kommunikation und Marketing enorm wichtig. Man kann nicht versprechen, es sei ein absoluter Ort der Stille, sondern sagt, es sei ein vitaler Ort, ein Bauernhof, wo das Erlebnis im Vordergrund steht.
Bei Ihnen laufen die Fäden zusammen, Sie haben sich hineingekniet in Gesetze und Paragrafen. Woher nehmen Sie die Motivation?
EM: Bis jetzt haben sich schon rund 500 Personen am Projekt beteiligt. Alles leidenschaftliche Menschen, die für etwas brennen. Und mit solchen Menschen die Köpfe zusammenzustecken spornt mich an. Ich bin ein Brainstorming-Mensch und ich mag den Kontakt mit Menschen. Und auf der anderen Seite gehe ich immer wieder zurück zu den Kindern, zurück zur Natur. Das alltägliche Wunder zu erleben ist für mich ein entscheidender Punkt. Aber natürlich gibt es Tage, da bin ich auch müde, schwach oder traurig.
Und es gibt bestimmt auch Auseinandersetzungen in der Familie und Partnerschaft…
EM: Absolut. Es kommt durchaus auch zu hitzigen Diskussionen. Aber wir versuchen offen und authentisch aufeinander zuzugehen und halt auch mit dem Herzen. Wir haben so viele schöne Sachen erlebt. Ein Beispiel: Als wir vor vier Jahren zum ersten Mal öffentlich die Leute eingeladen haben, uns mit 18-Franken-Beiträgen finanziell zu unterstützen, kam ein Kind mit seinem Sparsäuli in den Laden und hat 18 Franken herausgezählt und gesagt, es wolle auch an seiner Zukunft mitgestalten. Wenn ich eine Krise habe, denke ich an solche Menschen. Das ist ein starker Motor.
Der Bauernhof ist nach der Heiligen Geometrie* konzipiert. Was sagen Sie jenen, die Ihre Idee, ihre Vision als esoterischen Kram abtun?
EM: Am Anfang hat mich das getroffen, weil ich mich nicht verstanden gefühlt habe. Aber nun werden wir von grossen Firmen akzeptiert und unterstützt. Wenn etwa die Hotelfachschule Lausanne betont, es sei einzigartig, was wir realisiert haben und sie stehe mit ihrem Namen dahinter, ist es viel einfacher, mit solcher Kritik umzugehen. Zudem hat sich die Zeit in den letzten Jahren verändert, die Leute sind offener und auch das Bewusstsein nimmt zu. Und schlussendlich hat jeder sein Weltbild. Ich versuche es nicht zu verstecken, sondern wirklich transparent darüber zu reden und mit Beispielen zu erklären. Was sind unsere Motive, warum machen wir Heilige Geometrie, was ist das konkret, wo kommen diese geometrischen Formen im Aufbau der Natur vor und was erzeugen sie für eine Wirkung auf das Nervensystem des Menschen?
*Bekannt ist die Heilige Geometrie vor allem durch ihre Darstellungsformen der Blume des Lebens und des Goldenen Schnittes. Letzterer ist besonders in der Kunstgeschichte von Bedeutung.