RANDNOTIZ
26.01.2024 KolumneBitte nehmen Sie mein Geld!
KEREM S. MAURER
Eine nach ihren Angaben kinderlose, gläubige Christin mit Krebs im Endstadium – die Ärzte hatten sie gerade aufgegeben – kontaktierte mich auf einem sozialen Netzwerk. Sie sei Schweizerin, lebe in ...
Bitte nehmen Sie mein Geld!
KEREM S. MAURER
Eine nach ihren Angaben kinderlose, gläubige Christin mit Krebs im Endstadium – die Ärzte hatten sie gerade aufgegeben – kontaktierte mich auf einem sozialen Netzwerk. Sie sei Schweizerin, lebe in Frankreich und jetzt bleibe ihr leider nichts mehr anderes übrig, als umgehend zu sterben und mir eine Menge Geld zu vererben. Letzteres unter der Voraussetzung, dieses zumindest teilweise karitativ einzusetzen.
Normalerweise lösche ich solche Posts umgehend und sperre den Absender. Doch mich packte der «Gwunder» und ich wollte herausfinden, wie solche Geschichten ablaufen. Neugierig schrieb ich zurück, wie leid mir ihre Geschichte täte und gelobte, ihr Erbe in ihrem Sinne zu verwenden.
Sofort wurde mir via Whatsapp ein Anwalt angegeben, dem ich meine persönlichen Daten bekannt geben sollte, damit er die Erbschaft abwickeln könnte. Doch Daten wollte ich partout keine bekannt geben, genauso wenig wie irgendwelche PDFs herunterladen. Ich riet ihm, alles auszudrucken und mir per Post zu senden, damit ich die Verträge ausfüllen und zurückschicken könne. Die Kosten dafür dürfe er selbstverständlich von meiner Erbschaft abziehen. Weil dies der Anwalt aber unter keinen Umständen tun wollte, empfahl ich der todkranken Dame, den bockigen Anwalt unverzüglich zu entlassen. Er sei unflexibel, stur und nicht lösungsorientiert, schrieb ich ihr.
Als deswegen das Erbschaftsprojekt zu scheitern drohte, bot ich an, die Dame – die, wie sie schrieb mittlerweile zu schwach geworden war, um mir noch zu schreiben – zu treffen, um die Angelegenheit im direkten Kontakt abzuwickeln. Persönlich, sympathisch. Schliesslich hätte ich noch einige Ferientage und würde diese gern für Ihre Erbschaft aufbringen. Doch unvermittelt musste die Dame in eine Pariser Klinik. Als ich sagte, ich würde sie in Paris besuchen, musste sie plötzlich nach Rennes, dann sogar nach Auckland in Neuseeland und schliesslich nach Australien. Immer, um irgendwelche Experten aufzusuchen oder spezielle Therapien zu machen. Ich freute mich für sie, denn offenbar gab es auf der ganzen Welt doch noch zahlreiche Spezialisten, die sie entgegen ihrer anfänglich so trostlosen Lage noch nicht aufgegeben haben.
Das ganze Hinundher hat sich erstaunlich lange – weit über ein halbes Jahr – hingezogen. Hin und wieder schreibt sie mir sogar heute noch und bittet mich, endlich meine persönlichen Daten bekanntzugeben, da sie unbedingt mir ihr Geld vererben wolle, schliesslich sei ich ihr einziger potenzieller Erbe. Dann frage ich sie jedesmal, wie es ihr inzwischen gehe und wo sie gerade sei. Doch diese Fragen beantwortet sie mir genauso wenig wie ich ihr meine persönlichen Daten übermittle.
Nun weiss ich, wie solche Geschichten ablaufen und werde in Zukunft solche Anfragen wieder umgehend löschen und die Absender sperren.
kerem.maurer@anzeigervonsaanen.ch