Vom Comeback zur nächsten Herausforderung
05.05.2025 SportC-Kader-Athletin Chiara Lanz kämpfte sich nach einer Knieverletzung eindrucksvoll zurück und feiert eine erfolgreiche Saison. Nun steht sie aber erneut vor einem Neustart: Sie erlitt im April eine neue Knieverletzung. Ein Gespräch über Höhen und Tiefen, ...
C-Kader-Athletin Chiara Lanz kämpfte sich nach einer Knieverletzung eindrucksvoll zurück und feiert eine erfolgreiche Saison. Nun steht sie aber erneut vor einem Neustart: Sie erlitt im April eine neue Knieverletzung. Ein Gespräch über Höhen und Tiefen, therapeutisches Skifahren und die Ästhetik ihres Fahrstils.
JOCELYNE PAGE
Tränen auf dem Sessellift. Nicht aus Schmerz, sondern aus Erleichterung und Freude. Chiara Lanz hatte es geschafft: Bei ihrem Comebackrennen in Chamonix im Januar stand sie gleich zweimal auf dem Podest – zweimal Bronze. Und das nur ein Jahr, nachdem sie sich am rechten Knie Kreuzband und Meniskus gerissen hatte. «Die Freude, wieder auf den Ski zu sein, überwältigte mich. Auf dem Lift sind mir dann die Tränen gekommen», erinnert sich Lanz und lacht: «Ich bin sonst nicht der emotionale Typ. Aber es kam einfach alles zusammen, Erleichterung, Dankbarkeit und Glück.»
Wenig Ästhetik, viel Direktheit
Es folgte eine starke Saison: Die Swiss-Ski-C-Kader-Athletin fuhr bei den FIS-Rennen fast immer in die Top 15. Im Slalom holte sie fünf Siege in Serie. «Ich bin kein eigentliches Talent. Ich muss viel trainieren, um solche Resultate zu erreichen», sagt die 20-jährige Nachwuchsfahrerin vom Skiclub Schönried.
Auch ihr Fahrstil sei besonders. «Ein Trainer meinte mal, ich hätte ein Gefühl weniger als eine ‹Küderschuufle›», sagt sie lachend. Lanz fährt direkt, kompromisslos – und risikoreich. «Mit Ästhetik hat mein Fahrstil wenig zu tun. Ich fahre stets direkt auf das Tor. Das macht mich schnell, aber es ist auch riskant.» Daran will sie arbeiten. «Der Wille ist da, aber was sich einmal eingebürgert hat, ist schwer zu ändern.»
Auch eine Rückkehr in die Speeddisziplinen kann sie sich vorstellen. «Das hohe Tempo gefällt mir sehr!» Nach der langen Verletzungspause entschied sie sich jedoch für den Aufbau über Riesenslalom und Slalom – mit Erfolg.
Therapeutische Schwünge für die Heilung
Ihr Knie liess sie in der Hirslanden-Klinik in Zürich operieren, dem medizinischen Partner von Swiss-Ski. «Sie sind enorm effizient und professionell», sagt Lanz. Neben Kraft- und Physiotraining absolvierte sie auch mentales Training. «Früher setzte ich mich stark unter Druck. Jetzt bin ich gelassener – aber ehrgeizig geblieben.» Und der Ehrgeiz war nötig: Monatelang trainierte sie allein im Kraftraum, um ihre alte Form wiederzufinden. Das erforderte viel Selbstdisziplin.
Im Herbst folgte der erste Schneekontakt – ein besonderer Moment. «Ich musste mit therapeutischem Skifahren beginnen. Zwei Stunden pro Tag, nur Pflugoder Rutschschwünge.» Ein Trainer war stets dabei. «Zum Glück. Er musste mich ein paar Mal zurückpfeifen. Der Reiz, auf die Kante zu gehen oder es ziehen zu lassen, war riesig», sagt sie und schmunzelt.
Der neue Rückschlag
Ende April dann die Ernüchterung: Kreuzband- und Meniskusriss – diesmal am linken Knie. Es geschah im Slalomtraining in Davos. «Ich wurde nach hinten gedrückt und hörte gleich, dass etwas kaputt war. Ich hatte fast eine Panikattacke, weil ich das gleiche Gefühl verspürte wie damals bei meiner ersten Knieverletzung.»
Lanz kennt das Prozedere: Operation, Reha, Aufbau, Geduld. «Ich dachte beim ersten Mal, nach sechs Monaten bin ich wieder voll da. Ich irrte mich.» Unterstützung erhält sie von Familie und Freunden – und von Vorbildern wie Aline Danioth, die sich nach vier Kreuzbandrissen zurückkämpfte. «Bei der zweiten Verletzung war es emotional am Anfang nicht ganz einfach. Mein Umfeld ist mir aber eine enorme Stütze, dafür bin ich sehr dankbar.»
Lockerheit als Schlüssel
Chiara Lanz wirkt offen, herzlich und hat einen ausgeprägten Sinn für Humor. Sie spricht am Start gerne mit sich selbst. «Komm, gib ein bisschen Gas!», sagt sie dann oder kommentiert die Aussicht. «Ich fahre am besten, wenn ich locker bin und Freude habe.» Nach dem zweiten Kreuzbandriss hilft ihr genau das: eine neue Perspektive, mehr Dankbarkeit. «Ich weiss, wie lang der Weg ist. Aber ich bin dankbar, ihn nochmals gehen zu dürfen.»
Skifahren ist ihre Leidenschaft. Trotzdem bereitet sie sich auf die Zukunft vor. Im Herbst beginnt sie das Studium zur Primarlehrerin an der Pädagogischen Hochschule. «Ich arbeite sehr gerne mit Kindern.»
Perspektive trotz Pause
Trotz Verletzung wurde sie ins Elite-Team EC 4 unter Fabio Becchimanzi aufgenommen. «Genau in dieses Team wollte ich. Das war ein grosser Aufsteller für mich.» Ob sie kommende Saison Rennen fährt, ist offen. Sie hat Verletztenstatus für acht Starts – doch Lanz bleibt vorsichtig. «Ich bin nicht jemand, der zurückkommt, bevor er bereit ist. Das bringt nichts.»
Am Ende ist ihre Motivation ungebrochen. «Ich liebe es zu reisen, jeden Tag an einem anderen Ort zu sein, dies alles mit einem Team zu erleben. Es macht mir nichts aus, aus dem Koffer zu leben.» Und ihr Ziel? «Wenn ich eines Tages vom Skifahren leben kann, wäre das natürlich perfekt.»
«Ich brauche stets Bewegung – ohne werde ich unausstehlich»
Skirennfahrerin Chiara Lanz über ihre Leidenschaft für Musik, ihre Vorbilder und warum ihre Teamkolleginnen ihr Dinge nachtragen müssen.
JOCELYNE PAGE
Wie verbringen Sie einen idealen Tag ohne Ski?
Ich brauche stets Bewegung – ohne werde ich unausstehlich. Am liebsten bin ich mit Freunden oder der Familie draussen unterwegs, sei es beim Biken, Klettern oder einfach in der Natur. Abends mag ich Musikproben oder Konzerte. Am Ende muss die Beschäftigung aktiv, draussen und mit Leuten sein – gerne auch mal etwas Abenteuerliches wie Biwakieren.
Sie spielen Musik. Welche Rolle spielt sie in Ihrem Leben?
Ich spiele Kornett in der Musikgesellschaft Gstaad. Zusätzlich singe ich gerne oder begleite mich mit etwas Gitarre oder Klavier. Das hilft mir auch mental – gerade, wenn es im Sport mal nicht so läuft.
Haben Sie sportliche oder persönliche Vorbilder?
Ich bin grosser Fan von Aleksander Aamodt Kilde. Und früher war ich sehr beeindruckt von Anna Veith. Ihre Karriere und ihre Ausstrahlung haben mich fasziniert. Heute bewundere ich vor allem Athletinnen wie Aline Danioth, Eliane Christen oder Aline Höpli. Sie haben sich nach schweren Verletzungen zurückgekämpft. Ihr Durchhaltewille ist beeindruckend.
Was war Ihr schönster Moment in der vergangenen Saison?
Definitiv das Europacuprennen in Norwegen, auch wenn ich dort ausgeschieden bin. Für mich war es ein riesiger Traum, einmal für das Skifahren nach Norwegen zu reisen. Als ich oben am Start stand, dachte ich nur: Wow, wie schön ist es hier! Das allein war schon ein Erfolgserlebnis für mich. Und ich habe die Nordlichter gesehen, sie sind einfach wahnsinnig schön!
Sie sind die älteste von drei Schwestern. Wie erleben Sie diese Rolle?
Meine Schwestern kommen gut ohne mich zurecht, aber wir haben ein gutes Verhältnis. Wir sind halt drei Schwestern, da gibt es auch mal Reibungen. Früher sind sie auch Ski gefahren, haben aber bei mir gesehen, wie viel Einsatz das braucht. Heute jassen wir oft gemeinsam. Beim Schieber muss ich ihnen aber noch etwas Nachhilfe geben! (lacht)
Gibt es eine Eigenschaft, auf die Sie verzichten könnten?
Definitiv meine Tollpatschigkeit. Ich verliere ständig Dinge – manchmal fast täglich. Mein Team muss oft hinter mir herlaufen und Sachen aufsammeln. Ich habe sogar mal meinen Pass vergessen, als ich nach England reisen wollte.
Und welche persönlichen Stärken zeichnen Sie aus?
Ich bin sehr optimistisch. Auch wenn mal ein Rennen nicht gut läuft, ist das nach zehn Minuten abgehakt. Ich kann gut loslassen und neu fokussieren. Ausserdem bin ich flexibel, spontan und finde auch in schwierigen Momenten schnell wieder Boden unter den Füssen.
Haben Sie eine Lieblingsstrecke oder einen bevorzugten Trainingsort?
Ich mag das Wallis sehr, zum Beispiel Zinal oder Veysonnaz. Auch das Südtirol gefällt mir extrem gut. Wenn ich einmal zu viel Geld habe, weiss ich, wo ich Ferien machen werde. Und natürlich Graubünden, beispielsweise St. Moritz – weit, aber lohnenswert.