Erfolgreiches Brückenbauen über den Röstigraben
16.03.2023 GstaadDiese Woche geht eine weitere Runde des bilingualen Projektes «Deux im Schnee» zu Ende. Wir blicken gemeinsam mit den Organisatoren zurück.
NICOLAS GEISSBÜHLER
Was ist Deux im Schnee genau?
Deux im Schnee ist ein Projekt, das zweisprachige Schneesportlager organisiert. Dabei kommen jeweils Klassen aus der französischsprachigen Schweiz mit Deutschschweizer Klassen im Saanenland zu einem einwöchigen Lager zusammen. Die Jugendlichen sind zwischen dreizehn und vierzehn Jahren alt und übernachten jeweils in der Jugendherberge Saanen. Dort haben sie vormittags von acht bis zehn Uhr «Schulunterricht», bei dem die Kinder in zweisprachigen Tandems Aufgaben und Projekte bewältigen müssen. Danach geht es vom Klassenzimmer auf die Skipiste, begleitet werden sie von Skilehrer:innen. Die Woche wird jeweils mit einem Skirennen abgeschlossen.
Wie entstand das Projekt?
Die Idee zu einem zweisprachigen Skilager entstand 2014, als einige Deutschschweizer Kantone entschieden haben, den Französischunterricht zugunsten eines früheren Englischunterrichts weiter nach hinten zu schieben. Cathrine Sonino, kantonale Austauschverantwortliche des Kantons Genf, sah Bedarf, etwas für den nationalen Zusammenhalt über die Sprachgrenzen hinaus zu organisieren. Sie kam gemeinsam mit ihrem Berner Kollegen Thomas Raaflaub auf die Idee, ein Schneesportlager zu organisieren, das Deutschschweizer mit Romands zusammenbringt.
Der Standort Gstaad habe sich laut Sonino durch die Zusammenarbeit mit Raaflaub, der aus Feutersoey stammt, ergeben und sich als optimal erwiesen: «Uns war es wichtig, dass das Lager im Berner Oberland und damit im Kanton der Bundeshauptstadt stattfinden kann. Gstaad ist zentral gelegen und direkt an der Sprachgrenze», sagt Sonino auf Anfrage. 2016 fand die erste Ausgabe statt. Mittlerweile hat sich Deux im Schnee zu einem nationalen Projekt entwickelt, im letzten Jahr nahmen mehr als 230 Kinder an den Lagern teil. Wegen der grossen Nachfrage wurden auch Lager in Grindelwald veranstaltet.
Wie viele Schüler:innen haben dieses Jahr teilgenommen?
Nachdem im letzten Jahr klar wurde, dass mit über hundert Kindern pro Woche die Kapazitätsgrenzen erreicht oder teils gar überschritten wurden, wurde das Lager ausgeweitet: Statt zwei Wochen wurden in diesem Jahr – wie bereits vor der Pandemie – fünf angeboten: drei im Januar und zwei im März, jeweils in der touristenärmeren Nebensaison.
In diesem Jahr nahmen alleine in der Region Gstaad 20 Schulklassen mit gut 370 Kindern und 44 Betreuern teil. Hinzu kommen noch 14 Klassen in Grindelwald mit etwa 240 Kindern.
Die Kinder kamen aus den Kantonen Genf (sieben Klassen), Bern (sechs Klassen), Basel Stadt (drei Klassen), Luzern, Nidwalden und St. Gallen sowie dem Fürstentum Liechtenstein.
Wie wird das Projekt finanziert?
Deux im Schnee hat zahlreiche Unterstützer: Movetia, Schneesportinitiative Schweiz, die Stiftung Freude herrscht, sowie die Gemeinden Saanen und Lauenen unterstützen das Projekt finanziell. Dazu freuen sich die Organisatoren laut eigenen Angaben über den Support der Dorforganisation Gstaad und des Frauenvereins Saanen. Alle zusammen kommen für etwa 40 Prozent der Kosten auf. Zudem übernehmen die Herkunftskantone 60 Franken pro Kind. Am Ende verbleiben für die Eltern oder die Schule Kosten von maximal 300 Franken.
Laut Caroline Ogi, Präsidentin der Stiftung Freude herrscht und Tochter von Adolf Ogi, sei Deux im Schnee genau das richtige Projekt für ihre Stiftung: «Es geht darum, die Kinder aus den Städten, weg von den Bildschirmen und raus in die Natur zu holen. Die Kinder bewegen sich und haben ein tolles Erlebnis, deswegen sind wir eingestiegen. Der Sprachaustausch ist ein grosser Bonus», erklärt Ogi.
Auch die Bergbahnen Destination Gstaad leisten mit Spezialpreisen für Lifttickets, sowie mit Räumlichkeiten und Rennpisten einen Beitrag.
Was bedeutet Deux im Schnee für die Region?
Für das Projekt werden verschiedenste regionale Akteure mit eingebunden. Übernachtet wird in der Jugendherberge Saanen, dort können alleine durch Deux im Schnee etwa 1600 Übernachtungen generiert werden. Zudem wird die Jugendherberge nicht vollständig ausgelastet, sodass es auch noch für andere Gäste Platz hat. «Die Hemmschwelle, sich schlecht zu benehmen, ist wesentlich höher, wenn die Kinder nicht alleine in der Jugi sind», erklärt Jan Brand, der bereits seit einigen Jahren bei der Organisation dabei ist.
Als Leiter:innen auf der Piste werden pro Woche etwa zehn Ski- und Snowboardlehrer:innen von den Schneesportschulen der Destination benötigt. So werden etwa 50 Schneesportlehrer während einer ganzen Woche beschäftigt.
Auch das lokale Gewerbe, wie beispielsweise die Schneesportgeschäfte oder die Pistenrestaurants, wird eingebunden.
Wie funktioniert das mit der Zweisprachigkeit?
Laut einem beteiligten Klassenlehrer aus Genf muss man die Kinder etwas zum Fremdsprachengebrauch zwingen: «Die Kinder zwischen dreizehn und vierzehn sind meist in einer Identitätsfindung und mehr mit sich selbst beschäftigt. Durchmischungen beim Essen zum Beispiel gibt es kaum. Allerdings funktioniert es dann sehr gut, wenn sie müssen, zum Beispiel für ein gemeinsames Projekt.» Ihm sei der Austausch zwischen den Kulturen und das Kennenlernen der anderssprachigen Landsleute ohnehin wichtiger gewesen und das habe hervorragend funktioniert.
Auch Katrin Espiasse, Sport- und Freizeitkoordinatorin bei Gstaad Saanenland Tourismus und Hauptverantwortliche für Deux im Schnee, sagt, der sprachliche Lerneffekt sei in einer Woche beschränkt. «Es geht vielmehr darum, dass die Kinder ihre Angst verlieren, die Fremdsprache zu sprechen und sehen, dass auch wir Erwachsenen Fehler machen und das völlig okay ist», erklärt sie. «Die Kinder lernen bis Ende Woche, dass man Wörter auch umschreiben kann, wenn man sie nicht kennt. Zudem finde ich Englisch als Zwischensprache auch akzeptabel.»
Dennoch: Gerade für Kinder aus Genf, der Ostschweiz oder aus Liechtenstein, die den Röstigraben höchstens vom Hörensagen kennen, ist es je nachdem das erste Mal, dass sie die Fremdsprache, die sie über die letzten Jahre gelernt haben, anwenden können.
Was sagen die Lehrpersonen zum Lager?
Das Feedback sei durchaus positiv, sagt Espiasse. «Laut unseren Umfragen würden mehr als 85 Prozent der Lehrer wieder an einem Skilager von Deux im Schnee teilnehmen. Der Aufwand für die Lehrer ist auch sehr überschaubar, das meiste wird von den Organisatoren organisiert.» Das sei gerade für Lehrer, die die Herausforderungen eines Skilagers eher abschrecken, eine grosse Chance.
Dem pflichtet auch der Klassenlehrer aus Genf bei: «Ich war selber Skilehrer und wäre gerne mit meinen Schüler:innen auf die Piste gegangen. Für Lehrer, die aber nicht Skifahren, ist es toll, denn so können sie trotzdem ein Skilager organisieren. Und die Skilehrer:innen sind wirklich super, behalten einen kühlen Kopf bei den knapp hundert Kindern und vermitteln viel Spass am Schneesport.»
Was meinen die Schüler:innen nach einer Woche Zweisprachigkeit?
Laurent sagt, alle seine Schüler hätten grossen Spass. «Der interkulturelle Austausch hat sicher stattgefunden, beide Seiten konnten die andere kennenlernen. Meine Schüler haben so einen Einblick in die deutschsprachige Schweiz erhalten», sagt er.
Auch Katrin Espiasse sagt, das Feedback der Kinder sei überwältigend: «Einige konnte man am Schluss des Tages kaum mehr von den Skiern oder dem Snowboard holen, besonders einige der Anfänger.»
Wie sieht der Blick in die Zukunft aus?
Das Lager soll noch wachsen. So erklärt Cathrine Sonino mit einem Augenzwinkern, dass sie sich ein Ziel gesetzt habe, welches sie bis zu ihrer Pensionierung in acht Jahren erreicht haben will: «Alle 26 Kantone der Schweiz sollen bis dahin mitmachen und sich der Möglichkeit bewusst sein.»
Allerdings kann das Lager in der Region kaum grösser werden. Katrin Espiasse, die von Seiten Gstaad Saanenland Tourismus für das Projekt verantwortlich ist, erklärt, dass nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr Kinder pro Woche teilnehmen können als dieses Jahr. «Die drei Wochen im Januar können nicht geschoben werden, denn danach beginnt die Hochsaison. Auch im März wollen wir nicht noch eine Woche mehr anhängen, weil da die Schneesituation unsicher wird.»
Gewisse Änderungen seien dennoch geplant. So soll in Zukunft zum Beispiel ein Gepäcktransport von der SBB direkt von den Schulen ins Saanenland erfolgen, um den logistischen Aufwand zu reduzieren. Ausserdem denkt Espiasse darüber nach, ein Pendant zu Deux im Schnee im Sommer anzubieten: «Ein Lager im Mai, Juni oder September mit Wanderungen, Badi- oder Seilparkbesuchen wäre eine Idee.»











