Barocke «Folies» in Rougemont

  30.05.2023 Kultur

Wieder war es so weit: Das lange Pfingstwochenende bescherte uns nicht nur langersehnte sommerliche Wärme. Freunde und Liebhaber von Alter Musik durften sich über einen bunten Klängestrauss freuen. Das Festival La Folia sandte zum 23. Mal seine musikalischen Botschaften aus.

ÇETIN KÖKSAL
Für die Eröffnung am Donnerstagabend engagierte die künstlerische Leiterin Capucine Keller das «Ensemble vocal de Lausanne», bestehend aus je vier Sopran-, Alt-, Tenor- und Bassstimmen, unter der Leitung von Daniel Reuss. Zwei Geigen und eine Orgel umrahmten den hochkarätigen Gesangskörper instrumental. Das 16-köpfige Ensemble interpretierte Werke von Claudio Monteverdi (1567–1643) und Heinrich Schütz (1585–1672), beide Repräsentanten des (musikalischen) Frühbarocks, wobei Monteverdi noch den Epochenübergang von der Renaissance zum Barock miterlebte und mitprägte. Schütz gilt als bedeutendster deutscher Komponist dieses frühen Zeitalters, welches mit Johann Sebastian Bach oder Georg Friedrich Händel Anfang des 18. Jahrhunderts seinen musikalischen Höhepunkt erreichte.

Herausstechend unter Gleichen
Das «Ensemble vocal de Lausanne» (EVL) existiert seit 1961. Bestehend aus einem Kern von professionellen Sängern, wird der Kammerchor – je nach Werkbedarf – mit sehr guten Chorsängern ergänzt. Ein breites Repertoire vom 16. bis zum 21. Jahrhundert hält das Ensemble flexibel und lebendig, was der Konzertbesuchende vom ersten bis zum letzten Ton zu hören bekam. Beeindruckend war die stimmige Harmonie, welche die 16 Stimmen ineinanderfliessen und oftmals zu einem einzigen Klangkörper werden liess. «Alle haben sich einstimmig ausgedrückt» durfte in diesem Fall durchaus wörtlich interpretiert werden, wenngleich es innerhalb der Solisten erheblichere Unterschiede gab. Besonders aufgefallen ist die Sopranistin Emma Rieger, welche eine Kontinuität in der Technik und der Präsenz wie auch eine Variabilität im Ausdruck an den Tag legte, die von den anderen Solisten nicht erreicht wurde. Um nicht ungerecht zu sein, könnte man vielleicht sagen, dass sie das generell hohe Niveau immer noch mal ein wenig übertraf.

Organist Benoît Zimmermann passte sehr gut zum EVL und musizierte im Einklang mit den Sängern, was den beiden Geigen nicht im selben Ausmass gelang. Sichtbare Spielfreude kann leider Präzision nicht ersetzen. Alles in allem aber in jedem Fall ein sehr gelungener Festivalauftakt.


CAPUCINE KELLER, KÜNSTLERISCHE LEITERIN LA FOLIA, IM INTERVIEW

«La Folia soll überraschen, verw undern und konstruktiv anregen»

INTERVIEW: ÇETIN KÖKSAL

Einmal mehr präsentieren Sie ein in vielerlei Hinsicht breitgefächertes Festivalprogramm für verschiedene Geschmäcker. Denken Sie, dass es im Bereich Alte Musik einfacher ist, eine nicht gefällige Programmation zu gestalten? Ist das entsprechende Publikum offener für Neues?
Nun, die Zeitspanne von Alter Musik beginnt im Frühmittelalter (ca. 900 n.Chr.) und endet im Spätbarock (ca. 1750). Während dieser langen Zeitspanne entstanden natürlich sehr viele Kompositionen. Uns steht also ein beinahe unendliches «Reservoir» an Werken zur Verfügung, um über eine sehr lange Zeit immer wieder Spannendes, Neues präsentieren zu können. Trotzdem freut sich auch unser Publikum über bekannte «Klassiker» – ich versuche immer einen guten Mix zwischen Neuem und Bekanntem zu finden. Es ist also eine Frage der Verhältnismässigkeit – und innerhalb gewisser Grenzen ist unser Publikum sehr offen für Überraschungen.

Wie ist das Festival eigentlich zu seinem Namen gekommen? Italienisch würde man «la follia» mit zwei l schreiben und das französische Pendant wäre «la folie».
Die Namensgebung geht weit vor meine Zeit zurück, ist aber simpel zu beantworten. «La folia» ist das portugiesische Wort für Heidenspass, Riesenspass.

Die Liebhaber Alter Musik sind seit Jahren treue Festivalbesuchende. Unternehmen Sie auch Anstrengungen, um ein neues Publikum zu begeistern?
Ja, durchaus. Erstmals haben wir dieses Jahr am 28. April der Bevölkerung von Rougemont ein Konzert offerieren können. Damit einher ging ein Kinderprogramm für lokale Schulklassen. Etwa 60 Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren durften handfeste Erfahrungen mit Barockinstrumenten machen, wobei die engagierten Musiker sich mit Freude um das zukünftige Publikum kümmerten. Ein sehr schöner Erfolg!

Wenn Sie völlig entbunden von allen Zwängen wären, welche «folie»/Verrücktheit dürfte man von Ihnen als künstlerischer Leiterin von La Folia erwarten?
Oh, ich fühle mich bereits jetzt ziemlich frei in der Programmgestaltung. Dennoch ist natürlich klar, dass ich den seit Jahren bewährten Rahmen und das Format dieses Festivals nicht hemmungslos sprengen kann – und das ist auch gut so. Für allzu Experimentelles fehlt uns beispielsweise schon nur die passende Räumlichkeit. Was ich in Genf wagen kann, wäre hier in Rougemont schlicht unmöglich. Trotzdem versuche ich jedes Jahr aufs Neue, auch meine verrückten Ideen in La Folia einfliessen zu lassen.

Denken Sie, dass es zukünftig schwieriger oder einfacher sein wird, La Folia zu organisieren, oder ist der Grad der Herausforderungen immer ungefähr derselbe?
Einerseits ist da die Finanzierung, welche es jedes Jahr aufs Neue sicherzustellen gilt. Selbst treue Stiftungen können sich für andere Projekte entscheiden, und zwar nicht, weil sie La Folia nicht mehr für unterstützungswürdig hielten, nein, manchmal wollen oder müssen sie aus stiftungspolitischen Gründen etwas anderes unterstützen. Dann muss Ersatz gefunden werden und in diesen Zeiten ist dies bestimmt nicht einfacher geworden. Andererseits besteht bei einer Veranstaltung mit solch langer Tradition immer die Gefahr einer sich etwas repetitiven Routine. Man weiss, was funktioniert, und läuft Gefahr, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, um das Risiko so klein wie möglich zu halten. In diese Falle versuche ich tunlichst nicht zu geraten, denn La Folia soll immer wieder überraschen, verwundern und konstruktiv anregen.


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