Will, kann oder muss man sich die Spitallösung der GSS leisten?

  11.08.2023 Region

Kann oder will sich die Region Obersimmental-Saanen ein Ja zur Spitallösung der Gesundheit Simme Saane AG (GSS) leisten, und was würde man bei einem Nein verlieren? Am Infoanlass herrschte eine spürbare Unsicherheit, gekoppelt an eine unterschwellige Angst, eine Chance auf ein eigenes Akutspital zu verpassen, durchmischt mit einer Portion Misstrauen der GSS AG und der STS AG gegenüber.

KEREM S. MAURER
Der Informationsanlass zur Gesundheitsversorgung in der Bergregion Obersimmental-Saanenland, zu der die Bergregion unter dem Co-Präsidium von Saanens Gemeindepräsident Toni von Grünigen und St. Stephans Gemeindepräsident Albin Buchs am Dienstag in der Simmental Arena in Zweisimmen eingeladen hatte, war bis auf den letzten Platz besetzt. Das Interesse war gross, die Ausgangslage ist so spannend wie ungewiss. Es ging um die Abstimmung an den Gemeindeversammlungen, die alle sieben Gemeinden der Bergregion zeitgleich am 25. August durchführen. Soll einem ab dem Jahr 2025 jährlich wiederkehrenden Beitrag in der Höhe von 1,5 Millionen Franken (Betriebszuschüsse) und einem Aufbau- und Entwicklungskredit von jährlich insgesamt 300’000 Franken für die Zeitperiode von 2024 bis 2028 zugestimmt werden? Oder soll man, wie es die Gemeinden Gsteig und Boltigen ihren Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern nahelegen, das Projekt ablehnen, weil es von Gesetzes wegen Sache des Kantons ist, ein Spital zu finanzieren, und nicht die Aufgabe der Gemeinden (siehe Kasten)?

«Es braucht ein Bekenntnis der Bevölkerung!»
Seit Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, Direktor der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern, im Amt sei, strebe der Kanton für eine hiesige Spitalversorgung unter grossem Einsatz eine gemeinsame Lösung mit der STS AG und den Gemeinden an, sagte Toni von Grünigen in seiner Eröffnungsrede.

Und er zog Parallelen zu Münsingen, wo die Insel-Gruppe per 30. Juni 2023 das Spital geschlossen hat. Man könne unsere Region nicht in jeder Hinsicht mit Münsingen vergleichen, aber: «Im Gegensatz zu Münsingen können wir mitentscheiden», sagte er und betonte, bei einer Zustimmung am 25. August habe man eine Chance, in Zweisimmen auch weiterhin ein Akutspital zu haben. Stephan Hill, Verwaltungsratspräsident der Gesundheit Simme Saane AG (GSS), sprach über die Vorteile einer Gesundheitsversorgung mit wohnortsnahem Spital, bevor Alexander Gäumann, Leiter der GSS-Geschäftsstelle, die Vorteile einer Koordination aus einer Hand unterstrich. Jean-François Andrey, Verwaltungsrat der GSS, informierte anschliessend ausführlich über den Businessplan, der unter www.gssag. ch öffentlich einsehbar ist. Regierungsrat Pierre Alain Schnegg forderte in seiner Ansprache: «Es braucht jetzt ein klares Bekenntnis der Bevölkerung!»

Kritische Fragen, positive Voten

Der Tenor im Publikum kann mit zaghaftem Optimismus bezeichnet werden. Darf man jetzt, nachdem schon so viel Geld und Zeit in das Projekt investiert worden ist, überhaupt noch Nein sagen, oder muss man ein Ja in die Urne legen? Ein Hausarzt verglich die Beteiligungen der Gemeinden, sprich den errechneten Pro Kopf-Beitrag (Siehe Grafik), mit einem Abonnement. Wenn er ein Abo lösen könne von rund 100 Franken pro Jahr und dafür eine Gesundheitsgrundversorgung mit Spital à la GSS bekomme, müsse er sich das nicht zweimal überlegen. Auch SVP-Grossrat Thomas Knutti äusserte sich deutlich für ein Ja am 25. August. «Wir brauchen eine gute Führung und nicht noch mehr Diskussionen. Wir dürfen uns jetzt nichts verbauen!» Und SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal sagte, man habe jetzt seit 2019 Vertrauen schaffen können, und: «Jetzt muss man Ja sagen, daran glauben und zusammenarbeiten!» SVP-Grossrätin Anne Speiser fragte, was es denn für die Region bedeute, wenn kein Akutspital mehr da wäre? Ohne ein solches wäre der Fortbestand des Geburtshauses gefährdet. Eine Grundversorgung ohne funktionierendes Akutspital wäre undenkbar, ergänzte ein weiterer Hausarzt aus dem Publikum.

Mit einem Ja ist es noch nicht getan
Die Beitragszahlungen des Kantons kommen erst zustande, wenn a) alle Gemeinden dem Projekt zustimmen, b) der Entscheid des Gesamt-Regierungsrates bezüglich Antrag auf Bürgschaft und Darlehen erfolgt und c) der Grosse Rat des Kantons Bern sowohl der Bürgschaft als auch dem Darlehen zugunsten der GSS zustimmt. Und ob man im Grossen Rat eine Mehrheit für ein Spital im Obersimmental zusammenbekommt, ist nach Angaben eines Zuhörers im Publikum fraglich.

Letztlich müssen sich die Stimmbürger Gedanken darüber machen, ob ihnen ein Gesundheitswesen mit Akutspital in Zweisimmen so viel wert ist, dass ihre Gemeinden bei einer Realisierung jährlich mit einem Pro-Kopf-Beitrag zwischen 50 und 110 Franken belastet werden sollen. Wollen die Stimmberechtigten die Spitalversorgung in ihrer Region selber in die Hand nehmen? Sagt auch nur eine der sieben Gemeinden am 25. August Nein, würde das Gesundheitsnetz Simme Saane mit Akutspital nicht umgesetzt und stattdessen ein ambulantes Gesundheitszentrum durch die Spital STS AG aufgebaut werden.


BOLTIGEN EMPFIEHLT EIN NEIN
Der Gemeinderat Boltigen schreibt in seiner Mitteilung aus dem Gemeinderat und der Verwaltung, dass auch er «grösstes Interesse an einer guten Gesundheitsversorgung hat», dennoch könne er heute den Bürgerinnen und Bürgern nicht mit voller Überzeugung eine Zustimmung empfehlen. Der Verwaltungsrat und der Geschäftsführer der GSS AG hätten unter hohem Zeitdruck grosse Arbeit geleistet und bemerkenswerte Verhandlungsergebnisse erzielt, dennoch blieben einige Fragen unbeantwortet und gegenüber den vorausgesagten Zukunftsprognosen bestehe eine gewisse Skepsis. «Nicht zuletzt auch bezüglich der Haltung der Leitungspersonen im Spital Zweisimmen, dem Fachkräftemangel und dem Umstand, dass sich die bernische Spitallandschaft im Umbruch befindet», heisst es weiter in der Begründung.

Quelle: «Mitteilung aus dem Gemeinderat und der Verwaltung» vom 27. Juli 2023


EINE AUSWAHL AN FRAGEN AUS DEM PUBLIKUM

Es kann doch nicht sein, dass das ganze Projekt bachab geschickt wird, wenn nur eine Gemeinde Nein sagt?
Doch, sagten die Verantwortlichen. Denn wie sollte man mit den Bürger:innen der Neinsager-Gemeinde(n) umgehen? Man könne ihnen im Bedarfsfall schliesslich den Zugang zur medizischen Grundversorgung oder zum Spital nicht verwehren.

Warum müssen wir als Randregion mitfinanzieren, wenn der Kanton immer sagt, er unterstütze Randregionen?
Pierre Alain Schnegg verwies auf die zwei Millionen, die der Kanton jährlich zur Gesundheitsversorgung beisteuern würde und betonte, der Kanton würde sich auch dann noch engagieren, wenn die Gemeinden am 25. August Nein sagen würden.

Was passiert mit dem Alterswohnen und den dort Beschäftigten?
Diesen Punkt nehme die GSS sehr ernst, erklärten die Verantwortlichen, allerdings sei diese Diskussion noch nicht abgeschlossen. Man gab zu, dass das Alterswohnen ein schwieriges Thema im Gesamtkonzept der GSS ist.

Was stört am Konzept, dass Gsteig und Boltigen nicht dahinterstehen können?
Diese Frage konnte nicht beantwortet werden, weil sich weder jemand von Gsteig noch von Boltigen offiziell dieser Frage stellte. Zur Stellungnahme der beiden Gemeinden siehe Kasten.

Sollte der Grosse Rat dereinst die zwei Millionen nicht mehr sprechen, was geschieht dann, wer springt ein?
Diese zwei Millionen Franken würden jährlich vom Grossen Rat im Rahmen der Rahmenkredite gesprochen, antwortete SVP-Grossrat Thomas Knutti. «Mir ist nicht bekannt, dass einmal bewilligte Rahmenkredite schon jemals nicht gesprochen worden wären.»

Muss das alte Spital für vier Millionen Franken wirklich zurückgebaut werden oder könnte man es umnutzen?
Nein, das Haus könne nicht mehr genutzt werden, antwortete Albin Buchs. Es sei zu alt, eine Sanierung käme viel zu teuer, und eine Umnutzung wäre nicht zonenkonform.

Wenn das Vertrauen in die STS AG so stark beschädigt ist, warum arbeitet man nicht mit der FMI (Spitäler Frutigen, Meiringen, Interlaken) zusammen?
Das sei versucht worden, antworteten die Verantwortlichen. Aber die FMI habe kein Interesse an einem Engagement im Obersimmental und Saanenland.

KEREM S. MAURER

Wer noch weitere Fragen hat, kann diese per Mail an [email protected] richten.


EMPFIEHLT ABLEHNUNG

Der Gemeinderat von Gsteig empfiehlt in seiner Infobroschüre den Stimmbürger:innen, die Bewilligung der beantragten Gelder abzulehnen. Obschon der Gemeinderat ein vollständig funktionierendes Akutspital grundsätzlich begrüssen würde. Aber: «Es gehört nicht zu den Aufgaben einer Gemeinde, ein Spital zu führen und zu finanzieren», heisst es in der Broschüre, dies sei von Gesetzes wegen Aufgabe des Kantons Bern. Finanziert werde dies über die Steuereinnahmen und Krankenkassenprämien. Das Versorgungsmodell der GSS AG sei vielversprechend und schüre die Hoffnung auf eine langfristige Sicherung eines Akutspitals in der Region. Für den Gemeinderat seien etliche Annahmen und Berechnungen zu optimistisch. Auch lägen dem Gemeinderat Informationen vor, wonach ein Teil des heutigen Spitalpersonals dem vorliegenden Projekt skeptisch gegenüberstehe und sich eine Zusammenarbeit mit der GSS nicht vorstellen könne. «Die Stellungnahme der STS AG für eine in Zukunft weiterhin gute medizinische Grundversorgung mit dem heutigen Akutspital Zweisimmen und auch bei einer allfälligen Umwandlung zu einem ambulanten Gesundheitszentrum überzeugt den Gemeinderat», heisst es weiter. Deshalb finde er, dass die Bürgerinnen und Bürger nebst den Steuern und Krankenkassenprämien das Gesundheitswesen nicht noch ein drittes Mal mitfinanzieren sollten.

Quelle: Informationsbroschüre des Gemeinderates von Gsteig für die Stimmberechtigten


 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote