Einstimmung auf die Nationalratswahlen: politische runde Tische mit angeregten Gesprächen
06.10.2023 PolitikGLP, EVP, SP und Die Mitte: Von jeder Partei stellte sich ein Oberländer Nationalrats- bzw. Ständeratskandidat den Fragen interessierter Stimmbürger. Nach einer kurzen Vorstellungs- und Interviewrunde war die Neugier gross, noch mehr aus den Politikern herauszukitzeln. Auch ...
GLP, EVP, SP und Die Mitte: Von jeder Partei stellte sich ein Oberländer Nationalrats- bzw. Ständeratskandidat den Fragen interessierter Stimmbürger. Nach einer kurzen Vorstellungs- und Interviewrunde war die Neugier gross, noch mehr aus den Politikern herauszukitzeln. Auch Nationalratskandidierende aus dem Saanenland waren anwesend und diskutierten motiviert mit. Ein Blick auf den überparteilichen Wahlabend, der am Dienstag im Landhaussaal über 30 Interessierte anzog.
BERICHT: JOCELYNE PAGE
Nationalratskandidat Matthias Matti (die Mitte) aus Zweisimmen Grossrat Dipl. Betriebsökonom
Interviewfrage: «Die Lebenshaltungskosten steigen kontinuierlich. In welchen Bereichen sehen Sie die Möglichkeit, die hohen Kosten auszugleichen?»
Er habe sich über die Erhöhung der Krankenkassenprämien geärgert. «Die Krankenkassenprämien sind in den letzten Jahren über das Dreifache gestiegen», sagte Matti. Heute habe die Schweiz rund 160 Versicherungen weniger, weshalb pro Versicherung mehr Versicherte seien. Zudem hätten die heutigen Versicherungen mehr Reserven angehäuft – das Risiko pro Versicherter sei für die Unternehmen gesunken. «Es ist ein politisches Thema und das müssen wir angehen.» Deshalb habe die Mitte die Kostenbremse-Initiative lanciert, die bereits in der letzten Session diskutiert wurde: Sie verlangt, dass Bundesrat, Bundesversammlung und Kantone eingreifen müssen, wenn die Gesundheitskosten, im Vergleich zu der Lohnentwicklung zu stark steigen. Es sei ein Gegenvorschlag eingereicht worden, der das Thema auch angehe, aber noch zu wenig Verbindlichkeiten beinhalte. «Meine Krankenkassenprämie wird gegenüber dem Vorjahr um 22 Prozent steigen, dies beim gleichen Versicherungsmodell. So kann es nicht weitergehen», forderte Matti.
Nationalratskandidatin Ursula Zybach (SP) aus Spiez Grossrätin Dipl. Lebensmittelingenieurin ETH
Interviewfrage: «Was bedeutet für Sie, in Würde zu altern?»
«Sein eigenes Leben selbstbestimmt im Alter weiterführen können», antwortete Zybach. Darunter verstehe sie, dass man die Miete und die damit zusammenhängenden Nebenkosten bezahlen sowie am sozialen Leben teilnehmen könne. «Es muss drinliegen, mal einen Kaffee auswärts zu trinken oder auch mal einen Ausflug zu unternehmen», erklärte Zybach. Dies sei aber immer schwieriger zu erreichen. «Es beelendet mich, sehen zu müssen, dass vermehrt Rentnerinnen und Rentner nicht mehr von ihrer AHV oder Pensionskasse leben können.» Schwierig sei es auch für Paare, die Kinder hätten und sich scheiden liessen – im Alter sei das Risiko grösser, dass die Armutsfalle zuschnappe. «Wir müssen schauen, dass ältere Menschen nicht zu Ergänzungsleistungsbezügern werden.» Beim Thema Wohnungsmieten äusserte Zybach noch ihren Unmut, dass viele Vermieter:innen unverzüglich die Mieten erhöht hätten, als der Referenzzinssatz gestiegen ist. «Dies ist für mich unerklärlich. Gewisse Vermieterinnen und Vermieter könnten damit etwas fairer umgehen.
Nationalrats- und Ständeratskandidat Jürg Grossen (GLP) aus Frutigen/aufgewachsen in Saanen Nationalrat und Präsident GLP Schweiz Elektroplaner/Unternehmer
Interviewfrage: «Das Parlament hat dem Energie-Mantelerlass zugestimmt und damit das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien beschlossen. Welches sind die grössten erreichten Erfolge?»
Beim Mantelerlass können ausnahmsweise mehrere Erlasse in einem zusammengefasst werden. Dies geschah bei der Revision des Energiegesetzes, indem das Schweizer Parlament mehrere Gesetze in einem Geschäft beraten und beschlossen hat. «Es ist ein historisches Gesetz, denn alle Parteien haben ihm zugestimmt», sagte Grossen. Dies sei möglich gewesen, weil man sich innerhalb der Kommission entgegengekommen sei und sich alle zusammengerauft hätten. Aus seiner Sicht sei es revolutionär, denn das Gesetz ermögliche den Zubau von erneuerbaren Energien – ausserhalb der Wasserkraft – von 45 Terawattstunden bis 2050, davon 35 Terawattstunden bis 2035. Zum Vergleich: Die Schweiz braucht heute 60 Terawattstunden pro Jahr. «Dieser Zubau ist gigantisch.» Aber man habe auch Massnahmen beschlossen, beispielsweise beim Netz oder der Speicherung des Stroms – auch um die Preise zu schützen. Man habe zusätzlich 16 grosse Wasserkraftprojekte priorisiert. Zudem gebe es ein Effizienzteil im Gesetz: Die Verteilnetzbetreiber und Energieversorger seien angehalten, Programme zu erstellen, damit die Nutzenden sorgfältiger mit Energien umgehen.
Nationalratskandidat Markus Wenger (EVP) aus Spiez Grossrat Unternehmer SIU
Interviewfrage: «Wie bemerken Sie den Fachkräftemangel in Ihrem Alltag und welche Ansätze gäbe es, um dem entgegenzuwirken?»
Wengers Familie führt die Wenger Fenster AG, die den Fachkräftemangel spürt. «Wir haben zurzeit rund sechs unbesetzte Stellen», gab der Nationalratskandidat an. Als Spiezer Kirchgemeinderat sei er auch glücklich, dass man einen Pfarrer aus Deutschland gefunden habe. «Wir sind auf die Personenfreizügigkeit angewiesen.» Dass gewisse Politiker:innen die Personenfreizügigkeit für ihre populistischen Meinungen nutzen würden, ergebe keinen Sinn. Denn es würden nur die Menschen eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, die auch einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen hätten. In der Digitalisierung und dem durchlässigen Bildungssystem der Schweiz schöpft er Hoffnung. Ersteres ermögliche neue Arbeitsmodelle, das Zweite eine Umverteilung. «Die Automobilbranche spricht von rund 1000 Mechanikern, die durch die Elektromobilität in Zukunft einer anderen Arbeit nachgehen müssen. Die sehe ich beispielsweise in der Solarbranche. Mit ihrem Fundament haben sie grosses Potenzial dafür.» Auch im Bankenwesen gehe man von 30’000 Arbeitsplätzen weniger aus, die seiner Meinung nach in der Verwaltung wertvoll wären. «In der Schweiz muss man nicht 50 Jahre auf seinem erlernten Beruf bleiben, sondern kann in eine andere Branche quereinsteigen.» Dies sei unsere Stärke.