Bundesratswahl: Nacht der langen Messer im Landhaus in Saanen
04.03.2025 KulturAls sich die Theaterkommission des Jodlerklubs «Bärgfriede» Gstaad auf den Schwank des Theaterautors Atréju Diener, «Ruedi for President», festlegte, dachte sie wohl kaum daran, dass am 12. März das Parlament die Nachfolge von Bundesrätin ...
Als sich die Theaterkommission des Jodlerklubs «Bärgfriede» Gstaad auf den Schwank des Theaterautors Atréju Diener, «Ruedi for President», festlegte, dachte sie wohl kaum daran, dass am 12. März das Parlament die Nachfolge von Bundesrätin Viola Amherd wählen wird. Die brillanten Regisseurinnen Patricia von Grünigen und Alice Hefti, dem aktuellen Zeitgeschehen vorauseilend, arrangierten mit ihrer Theatergruppe eine pointenreiche Komödie, in der sich alles um die turbulenten Ereignisse rund um die Bundesratswahl von Ruedi Zeller dreht.
EUGEN DORNBIERER-HAUSWIRTH
Im Namen des Jodlerklubs «Bärgfriede» Gstaad begrüsste Benjamin von Grünigen das Premierenpublikum. Die Ansage, die Theatergruppe zeige die rasante Politikkomödie «Ruedi for President», entlockte ihm ein spitzbübisches Lächeln. Dachte er an eine Trompete, als er «for President» sagte? Das heitere Lachen im Saal begleitete die Männer des Jodlerklubs bei der Vorbereitung auf ihren ersten Einsatz. Nach den Liedern «Z’friede sy» aus der Feder ihres Dirigenten Jürg Domke und dem «Bärgblueme Jutz» von Toni Tschanz sowie dem stimmungsvollen Titel «Alpherbst» der «Kummerbuebe Saanenland» erschien vor dem karminroten Vorhang Bundesratskandidat Ruedi Zeller, heldenhaft wie einst einer der Eidgenossen auf der Rütliwiese.
Die Komödie in zwei Akten
Bundesratskandidat Ruedi Zeller (Ruedi Hefti) verbringt den Abend und die Nacht in der Suite eines angesehenen Hotels in Bern. Offenbar wussten weder er noch sein Sekretär, dass das Hotelzimmer wegen Renovationsarbeiten nicht vermietet wird. Überall liegt Staub, Bilder und Möbel sind mit Spinnweben verhangen. Und der Holzsessel sieht auch heruntergekommen aus.
Diese Umgebung irritiert Ruedi Zeller keineswegs. Er ist fokussiert auf seine Wahl in den Bundesrat. Er weiss, dass ihm seine Parteikollegin Stefanie Altherr (Heidi Marmet) gefährlich werden könnte. Bei einem ihrer Besuche stichelt sie: «Du bist bloss Nationalrat und wirst wohl gegen eine Ständerätin, wie ich das bin, nur geringe Wahlchancen haben.» Und weil sie weiss, dass man ihren Kollegen Zeller «Gigolo mit Sahne» nennt, diffamiert sie ihren Gegner, indem sie auf dem Sofa Damenunterwäsche versteckt. Kaum hat Stefanie Altherr das Zimmer verlassen, bittet Dr. Theresa Kreuzberg (Martina Kübli) um Audienz bei Ruedi Zeller. Als Fraktionschefin der Zentrumspartei will sie auch die Ehepartner der Kandidaten kennenlernen. Das kommt Ruedi sehr ungelegen. Kurze Zeit vor dem Eintreffen der konservativen Fraktionschefin streitet er sich mit seiner Frau Tanja (Esther Bütschi) so intensiv, dass diese kurzerhand aus der gemeinsamen Hotelsuite stürmt. Erfinderisch und im Umgang mit fremden Frauen nicht verlegen, telefoniert er mit ehemaligen Freundinnen. Weil er Korb um Korb einsammelt, überredet er das Zimmermädchen Anna-Lena (Eveline Gygax), seine Frau zu spielen. Anna-Lena, die von einer Hollywoodkarriere träumt, willigt ein. Die plötzlich wieder im Hotelzimmer auftauchende Ehefrau Tanja, sein unbeholfener Revisor Jérôme Stücheli (Cédric Yersin) und die hartnäckig nachfragende Journalistin Verena Goldbach (Pamela Bütschi) lassen Ruedi vollends verzweifeln.
Gelingt es Ruedi, diesem Wirrwarr zu entkommen? Wer gewinnt am Ende die Bundesratswahl?
Antworten auf diese Fragen geben die Theatervorstellungen vom Mittwoch (5. März) und Samstag (8. März). Vorstellbar ist, dass Patricia von Grünigen und Alice Hefti die wirklichen Bundesratskandidaten Ritter und Pfister einladen werden, um ihnen ein Bild zu vermitteln, wie es in der Nacht der langen Messer zu und her gehen wird.
Mit dem Naturjodel «Dr Wägbegleiter» von Adrian Ettlin entliess der gastgebende Jodlerklub «Bärgfriede» das sehr zufriedene Premierenpublikum an die Bar oder hinaus in die sternenklare, kalte Winternacht.
Gody Bütschi mit Baujahr 1954 ist der älteste des Trios. Das Theater «Ruedi for President» unterstützte er im Souffleurkasten. Dank 30-jähriger Erfahrung rund ums «Theäterle» bereitet ihm die anspruchsvolle Flüsterertätigkeit keine Mühe. In früheren Jahren schlüpfte er gerne in Rollen mit fröhlichen Inhalten. Das Theaterspielen ist ihm ein willkommener Ausgleich zu seinem Leben als Bauer und Schlosser.
Michi Bütschi, der Sohn von Gody, erblickte das Licht der Welt im Jahr 1991. Seine Passion ist das Jodeln. Zusätzlich zum Engagement im Jodlerklub «Bärgfriede» schloss er sich den «Kummerbuebe» an. Dort folgt er dem leider zu früh verstorbenen Hermann Romang. Michis Musikalität wird in beiden Formationen sehr geschätzt, sind ihm doch die Stimmen des zweiten Tenors und des zweiten Basses nicht fremd.
Loris Gygax, das Kücken mit Jahrgang 2007, ist ein Enkel von Gody. Obwohl er nicht 100 Prozent fit war, hatte er seinen ersten Auftritt als Jodler. Die blasse Farbe im Gesicht sei nicht etwa dem Lampenfieber geschuldet. Loris ist im zweiten Lehrjahr als Zimmermann. Er schwärmt von diesem schönen Beruf. Nach seinen Zielen gefragt, sagte er, er möchte nach zwei weiteren Lehrjahren einen guten Abschluss hinlegen, eventuell noch eine zweite Lehre anhängen, im Jodlerklub bleiben und sowohl im Beruf als auch im Leben glücklich und zufrieden sein.
DIE SCHAUSPIELERINNEN UND SCHAUSPIELER
Ruedi Hefti (Bundesratskandidat Ruedi Zeller) interpretiert seine Rolle wie ein wirklicher Bundesratskandidat. Er strömt enorme Zuversicht aus, die Wahl gewinnen zu können. Seine Lachsalven, sein Charme und seine Schwindeleien – ohne dabei rot zu werden – zeugen von grosser schauspielerischer Klasse.
Esther Bütschi (Tanja Zeller, Frau des Bundesratskandidaten) spielt die Rolle der gekränkten Ehefrau. Ihre nonverbale Kommunikation und die hängenden Schultern, lassen ihre Verzweiflung gut erkennen. Hervorragend, wie sie in einer verzwickten Situation in österreichischem Dialekt drauflos plappert, als ob sie Knödel gegessen hätte.
Eveline Gygax (Zimmermädchen Anna-Lena) lässt ihre Klasse in der Figur des Zimmermädchens Anna-Lena Blätter aufblitzen. Die von einer Hollywoodkarriere träumende Improvisationskünstlerin besticht mit ihrem Temperament und ihrer Flexibilität. So abgebrüht, so schamlos, so…
Martina Kübli (Dr. Theresa Kreuzberg) wirkt als Fraktionschefin der Zentrumspartei sehr authentisch. Ihr selbstsicheres Auftreten ist ebenso beeindruckend wie ihr beinahe waschechter Ostschweizerdialekt. Ihre Gestik, vor allem jene der linken Hand, ist ein amüsanter Hingucker.
Cédric Yersin (Jérôme Stücheli) sorgt in der Rolle als tollpatschiger Revisor für tausend Lacher. Der Mann mit der braunen Dächlikappe spielt den Verliebten wie ein pubertierender Junge: schüchtern, zittrig, stotternd – aber vor allem sehr rührig. Der im privaten Leben bodenständige Cédric mimt seine Rolle stimmig, weil heiter und fröhlich.
Heidi Marmet (Stefanie Altherr) übernahm mit der Rolle als Ruedis Gegenkandidatin eine eher undankbare Aufgabe. Als ungeliebte Parteikollegin muss sie intrigieren, böse Ränke schmieden oder – salopp ausgedrückt – ihren Kollegen Ruedi zur Weissglut bringen. Die Kunst des Schauspielens besteht auch darin, weniger «herzige» Rollen spielen zu können. Und Heidi kann das prächtig!
Pamela Bütschi (Verena Goldbach) geht in ihrem Part als Journalistin bei «Inside Bundeshaus» auf wie ein Hefegebäck. Mit Glanz und Gloria, neckischen Handzeichen und Bemerkungen spielt sie die Newsjournalistin in bester Boulevardmanier. Weil beim «Anzeiger von Saanen» Boulevard kein Thema ist, geht man im Publikum davon aus, dass sie in der deutschen «Bild»-Zeitung Fake News verbreitet.
Valentin von Grünigen (Linus Bögli) überbringt dem Bundesratskandidaten Ruedi ein T-Shirt. Dieser ist sichtlich überrascht von der Coolness dieses Bürschleins. Linus Bögli, wie sich der T-Shirt-Bote nennt, zollt dem «Alten» wenig Respekt. Erfrischend, wie Valentin seine Rolle interpretiert. Möglicherweise hätte er sein Handy beiseitegelassen, wenn er das Jodellied «Handyfieber» von Heinz Güller, vorgetragen von den «Bärgfriede»- Jodlern, gehört hätte.