«Wer ein Nein in die Urne legt, um die Grossen zu ‹bestrafen›, trifft leider die Kleinen!»

  01.02.2022 Interview

Die Abstimmung über das Massnahmenpaket zugunsten der Medien steht vor der Tür. Das Volk entscheidet am 13. Februar über das Referendum. Frank Müller ist nicht nur Verleger des «Anzeigers von Saanen», sondern auch Präsident des Bernischen Zeitungsverlegervereins. Das neue Mediengesetz sehe vor, dass ein namhafter Teil der Bundesgelder in die kleinen Zeitungen fliesse, betont er.

BLANCA BURRI

Frank Müller, nehmen Sie das Medienförderungsgesetz am 13. Februar an?
Ja, absolut.

Weshalb ist die Annahme so wichtig?
Die Abo- und die Werbeerträge in den Printmedien gehen seit Jahren vor allem bei regionalen und überregionalen Zeitungen stetig zurück. Die Werbeerträge fliessen zu Google und zu anderen digitalen Anbietern wie Facebook, Twitter oder Instagram. Damit muss die Branche lernen zu leben. Grosse Zeitungsverbunde haben in den vergangenen Jahren neue Geschäftsmodelle entwickelt und sich breiter aufgestellt. Sie erwirtschaften ihren Umsatz inzwischen nicht nur mit Printabos und Werbung, sondern auch mit digitalen Angeboten wie ImmoScout24, Ticketcorner, Doodle oder Ricardo. Die kleinen Zeitungen kommen in diesem Bereich immer mehr unter Druck und sollten – um erfolgreich zu bleiben – immer mehr in die digitale Entwicklung investieren können. Das braucht Geld und Knowhow.

Weshalb wurde dies nicht bereits getan?
Die kleinen Zeitungen sind längst auf dem Weg. Hier einige Beispiele: Der «Anzeiger von Saanen» erscheint nicht nur auf Papier, sondern auch als E-Paper auf der Website und auf der App. Wir sind mit Informationen, Fotos und Videos auf den sozialen Medien und Bildschirmen in der Region präsent. Aber es braucht noch mehr, um neue Einnahmequellen zu generieren. Wir müssen uns viel mehr diversifizieren, also neue Produkte schaffen wie die grossen Verlagshäuser. Das heisst, wir müssen neue Einnahmequellen im digitalen Bereich erfolgreich installieren. Im Moment entwickelt unser Verlag deshalb eigens für die Region adaptierte Ideen und Konzepte.

Können Sie mehr dazu sagen?
Nein, es ist noch nicht spruchreif.

In den vergangenen Jahren ist die Hälfte des Werbebudgets zu den Internetriesen abgewandert. Um wie viel Prozent sind die Werbeeinnahmen beim «Anzeiger von Saanen» konkret eingebrochen?
Wir haben in den vergangenen drei Jahren circa acht Prozent Publikationserlös verloren. Das ist auch zum grossen Teil der Pandemie geschuldet, weil viele Anlässe nicht stattfanden und deshalb die Werbung fehlte.

Also ist die Lage beim «Anzeiger von Saanen» nicht so dramatisch?
Ja, sie ist nicht dramatisch. Aber sie kann es über einen längeren Zeitraum hinweg werden. In den letzten Jahren sind die Aboerlöse wie bei den meisten Zeitungen auch bei uns leicht zurückgegangen. Im laufenden Jahr wurde zudem das Papier um 80 Prozent teurer. Damit nicht genug: Die Post erhöht in den kommenden drei Jahren die Portopreise. Wir haben also weniger Erlös und eine frappante Kostensteigerung sowie einen grossen Investitionsbedarf.

Wie reagieren Sie darauf?
Wir mussten die Abopreise auf den ersten Januar erhöhen. Die Inseratepreise hingegen liegen seit fünf Jahren auf konstantem Niveau. Durch den Kostendruck und die Mindereinnahmen wird der finanzielle Spielraum für uns aber kleiner. Gleichzeitig sollten wir wie gesagt in die digitale Entwicklung investieren.

Sollte das Mediengesetz angenommen werden, mit wie viel Geld pro Jahr würde der «Anzeiger von Saanen» unterstützt werden?
Wir würden in den kommenden sieben Jahren geschätzt mit jährlich über 100’000 Franken unterstützt. Zum einen erfolgt dies über verbilligte Postzustellungskosten. Zum andern gibt es für Onlineabonnemente direkte Zahlungen – dies aber ohne jeglichen Leistungsauftrag.

Kann der «Anzeiger von Saanen» überleben, wenn das Medienförderungsgesetz abgelehnt wird?
Ja, der «Anzeiger von Saanen» kann überleben! Wir haben es bisher ohne dieses Geld geschafft und werden es auch in Zukunft schaffen. Aber die Herausforderung wäre grösser.

Wo würden Sie Einsparungen machen? Bei der Redaktion?
Um die Qualität unserer Lokalzeitung zu erhalten, wollen wir die Redaktion nicht verkleinern, wie dies leider in vielen überregionalen Zeitungen getan wurde. Unsere Kernaufgabe ist die redaktionelle Berichterstattung über das lokale Geschehen. Diese wollen wir mit allen Mitteln erhalten und dazu braucht  es Journalisten und Freie Mitarbeiter:innen. Wir würden eher die Abound Inseratepreise erhöhen, um die Diversifizierung voranzutreiben und versuchen, mittels Automatisierung in der Herstellung Kosten zu sparen.

Ist bei einer Annahme die unabhängige Berichterstattung der Medien gefährdet, wie die Gegner des Gesetzes argumentieren?
Nein. Die Redaktionen bleiben unabhängig. Die Förderung ist indirekt und das bereits seit über 100 Jahren. Und bei der direkten Onlineförderung gibt es keine Leistungsvereinbarung. Der Bund hat in der Vergangenheit nie Einfluss genommen. Durch die indirekte Presseförderung wird das Abonnement für Zeitungsleser günstiger. So fördert der Bund die vielfältige Information der Bürger. Bei einem Nein an der Urne könnte es durchaus sein, dass – wie das heute schon der Fall ist – vermehrt Mäzene oder Investoren ins Zeitungsbusiness einsteigen. Das hätte meiner Meinung nach schlimmere Auswirkungen auf die unabhängige, objektive Berichterstattung. Da sehe ich die grössere Gefahr, dass einzelne Personen oder Populisten Einfluss nehmen würden.

Die Aussagen von Ringier-CEO Marc Walder lassen aufhorchen. Er hat vor einem Jahr bei einem vertraulichen Meeting dazu aufgerufen, die amtliche Coronapolitik medial zu unterstützen, statt einen Graben aufzureissen zwischen Regierung und Volk. Was sagen Sie dazu?
Diese Aussage war ungeschickt formuliert. Als er sie machte, war das Zerwürfnis zwischen den Behörden und den Massnahmengegnern gross und es war wichtig, dass der Graben nicht grösser wird. Deshalb war seine Aufforderung ehrenhaft. Und es ist ihm als Verleger und Mitbesitzer eines Medienhauses klar, dass die kritische und neutrale Berichterstattung im Vordergrund stehen muss. Ich glaube, dass in den Redaktionen des Hauses Ringier trotz seines Aufrufes die kritische Berichterstattung immer gelebt wurde.

Geht es im Gesetz nur um die Förderung und Unterstützung von Zeitungen?
Nein. 10 Millionen Franken sind für die Mitgliedschaftspresse vorgesehen. Damit werden beispielsweise die Bauernzeitung, Kirchenblätter oder das Rega-Magazin unterstützt. Und auch reine Onlinemedien und Radiostationen würden von der Unterstützung profitieren. Zusätzlich fliesst ein hoher Betrag in die Ausbildung. Von gut ausgebildeten und kritischen Journalisten profitieren alle Medien, TV-Stationen ebenso wie Printmedien oder Radio. Ein gutes Handwerk ist die Grundvoraussetzung für unabhängigen Journalismus.

Wie sieht es für Onlinemedien aus?
Es werden nur jene Onlinemedien unterstützt, die bezahlte Inhalte zur Verfügung stellen. Diese Unterstützung fordert und motiviert uns als «Anzeiger von Saanen», unsere bezahlten Onlineangebote auszubauen.

Ist der «Anzeiger von Saanen» im Gesamtsystem Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Berner Oberland überhaupt wichtig?
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Stimmbeteiligung und das Interesse am Geschehen in jenen Regionen grösser ist, wo eine Lokalzeitung gut verankert ist. Und deshalb ja. Kleine Medienhäuser mit ihren Lokalzeitungen, die nahe am Bürger sind und über das lokale Geschehen berichten, sind demokratierelevant.

Lokalmedien berichten über das, was den Bürger interessiert, über Events, aber auch über Vereine und das Gemeindeleben. Die Lokalzeitung kann die Bevölkerung verbinden.

Für alle Organisationen wäre es eine Herausforderung, die Bevölkerung zu informieren, wenn es die Lokalzeitung nicht mehr gäbe. Ich bin überzeugt, dass das Fehlen der kleinen Zeitungen einen direkten Einfluss auf die Demokratie hat. Und diese Gefahr besteht. Denn gemäss Bundesrätin Simonetta Sommaruga sind in den vergangenen 14 Jahren 70 Titel in der Schweiz verschwunden. Auch der «Frutigländer» – der heute dem «Anzeiger von Saanen» gehört – stand auf der Kippe.

Die Befürworter sagen, 80 Prozent der Medienförderung gehe an kleine Verlage, die Gegner sagen, 70 Prozent gehe an Mediengiganten. Was stimmt?
Eigentlich geht es gar nicht darum, wer mehr bekommt, sondern dass ein mehrheitsfähiges Paket vorliegt. Der Gesetzgeber hat versucht, einen Ausgleich zwischen den Kleinen und den Grossen zu schaffen, indem für die grossen und die kleineren Zeitungen verschiedene Prozentualanteile vorgesehen sind, eine sogenannte Degression. Weil die grossen Zeitungen mehr Abonnenten haben, liegt der Schlussbetrag pro Unternehmen wohl höher als bei den Kleinen, obwohl diese pro Abonnent mehr Geld erhalten.

Und was passiert, wenn man «reiche Verlage» mit einem Nein an der Urne «bestrafen» will?
Wer ein Nein in die Urne legt, um die Grossen zu «bestrafen», der trifft leider die Kleinen! Dann kommen die kleinen Zeitungen immer mehr unter Druck. Also eigentlich passiert genau das Gegenteil von dem, was die Kritiker der grossen Verlagsunternehmen wollten: Sie entziehen den Kleinen die Zuschüsse, was diese je nach Situation langfristig zum Aufgeben zwingen könnte. Die Grossen werden mit oder ohne Medienförderung überleben.


ZUR PERSON

Frank Müller ist in Gstaad aufgewachsen. Nach der Volksschule in Gstaad besuchte er das Gymnasium in Bern und die Ingenieurschule der grafischen Industrie in Lausanne. Er war nach dem Studium in einem Verlag und einer Druckerei im Engadin tätig. 1989 kehrte er als Redaktionsleiter und Journalist zum «Anzeiger von Saanen» zurück. Seit 1994 leitet er den Verlag Müller Medien AG und bildete sich zum eidg. dipl. Verlagsmanager weiter. Der 60-Jährige war beim Aufbau des «Frutigländers» federführend; vor zwei Jahren hat er bei der Rettung desselben massgebend mitgeholfen. Heute ist er mit seinem Bruder Richard zusammen Besitzer des «Frutigländers».

Er ist Mitinitiant der Online-Publikationssoftware LocalPoint, die schweizweit in ca. zwölf Verlagen eingesetzt wird. Ebenfalls ist Frank Müller Präsident des Bernischen Zeitungsverlegervereins, Herausgeber und Verleger von «Gstaad My Love», «GstaadLife» und des neu lancierten Magazins «Im Fokus». Er ist strategischer und kreativer Kopf für die Weiterentwicklung sämtlicher Verlagsprodukte. Der Verlag gibt ebenfalls diverse Bücher, Postkarten und Poster heraus. Frank Müller ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.


DAS MEDIENFÖRDERUNGSGESETZ IN KÜRZE

Mit dem Massnahmenpaket setzen Bundesrat und Parlament auf bewährte Instrumente. Dazu gehören die Zustellermässigungen für abonnierte Tages- und Wochenzeitungen sowie für Vereins- und Verbandszeitschriften. Zusätzlich wird die Unterstützung für private Lokalradios und das Regionalfernsehen erhöht. Neu kommen eine Unterstützung der Frühzustellung abonnierter Zeitungen sowie die Förderung von Onlinemedien hinzu.


DIE HAUPTARGUMENTE DER GEGNER

Die Gegner befürchten, dass die Schweizer Medien mit dem Massnahmenpaket vom Staat abhängig gemacht werden und der Staat Einfluss auf die Medien nehmen könnte. Die Medien würden ihre Glaubwürdigkeit und Funktion als vierte Macht verlieren. Ebenfalls kritisieren sie, 70 Prozent der Subventionen flössen zu den grossen Medienkonzernen und deren Aktionären. Und die Behauptung sei falsch, dass das Massnahmenpaket für Kleinverlage überlebenswichtig sei. Den wenigen noch unabhängigen Verlagen gehe es gut. Sie erhielten bereits heute 30 Millionen Franken indirekte Subventionen, was auch bei Ablehnung des Gesetztes so bleibe.


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