«Unser Frankreich war in Eglisau!»

  06.10.2020 Gstaad

Die Premiere des Schweizer Films «Eden für jeden» von Regisseur Rolf Lyssy mit dem Gstaader Schauspieler Andreas Matti war ein voller Erfolg. Das kleine, aber feine Ciné-Theater Gstaad brachte Emotionen auf die Grossleinwand und verzauberte ein grosses Publikum.

KEREM S. MAURER
«Ich freue mich, dass so viele Leute heute Abend ins Kino gekommen sind», sagte der Betreiber des Ciné-Theaters Gstaad, Hansjörg Beck, strahlend. Am Donnerstagabend begrüsste er ein überdurchschnittlich zahlreiches Publikum und kündigte die persönliche Anwesenheit von Regisseur Rolf Lyssy und dem einheimischen Schauspieler Andreas Matti an. Gezeigt wurde Lyssy’s neue Schweizer Feelgood-Komödie «Eden für jeden». Im Film geht es um die junge Nelly (Steffi Friis), die durch ihre demente Grossmutter Rosmarie (Heidi Diggelmann) in die kleine Welt eines Schrebergartens eintaucht. Dort treffen Leid auf Freud, Intelligenz auf Einfachheit, Toleranz auf Spiessbürgertum. Kurz: Die Schweiz trifft sich selbst in kleinem Rahmen und auf engstem Raum. Die Tragik der Geschichte wird durch die Leichtigkeit der Lieder von Paolo Cesar (Marc Sway), dem im Schrebergarten wohnenden Schweiz-Brasilianer, wohltuend aufgelockert. Der Film ist beim Publikum, das am Ende spontan applaudierte, sehr gut angekommen.

«Mir hei bschisse!»
Im Anschluss an die Filmvorführung standen der Schauspieler Andreas Matti, der im Film Nellys Vater Albert verkörpert, sowie der Regisseur Rolf Lyssy für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Es gibt einige Szenen im Film, die in Frankreich spielen. Jemand aus dem Publikum wollte wissen, wo diese Szenen gedreht wurden. Rolf Lyssy holte bei der Beantwortung der Fragen weit aus, um letztlich zu sagen: «Nein, unser Frankreich war in Eglisau, am rechten Rheinufer!» Eine andere Person aus dem Publikum wollte wissen, ob Nelly, die im Film von Beruf Busfahrerin ist, für die Dreharbeiten wirklich lernen musste, einen Bus zu fahren. Wieder holte Rolf Lyssy weit aus, erklärte auf interessante und pointierte Weise von vielen verschiedenen Kniffs und Tricks, die bei der Realisierung eines Filmes zur Anwendung kommen, um das Publikum glauben zu lassen, was es letztlich glauben soll. Fazit: Nein, auch sie musste für die Dreharbeiten nie selber einen Bus fahren. Andreas Matti brachte die Antwort kurz, prägnant und für alle klar verständlich auf den Punkt: «Mir hei bschisse!» Der einheimische Schauspieler liess es sich dann auch nicht nehmen, Rolf Lyssy ein Kompliment zu seinem Film zu machen: «Mein grosses Kompliment an die Geschichte, die ohne Tote und Verletzte auskommt!»

Bekannt aus diversen Produktionen
Der in Gstaad aufgewachsene Andreas Matti hat seine Liebe zum Film in Gstaad entdeckt (siehe Kurzinterview). Vor Kurzem wurde der neuste Film, indem er mitspielt – eine Neuverfilmung von Jeremias Gotthelfs «Die schwarze Spinne» –, abgedreht. Matti kündigte an, dass dieser Film voraussichtlich im Herbst 2021 in die Kinos komme. Dann wird der bekannteste Film- und Fernsehexport aus dem Saanenland wieder auf der Leinwand zu sehen sein. Ausserdem spiele er in einer weiteren Staffel von «Wilder» mit, so Matti.


ZUR PERSON

Rolf Lyssy, einer der grössten Schweizer Regisseure, wurde eben vom Zurich Film Festival mit dem Career Achievement Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Sein neuester Film «Nelly for President» ist in der Postproduktion und soll am 8. Oktober in die Kinos kommen. Der 84-jährige Zürcher gehört zu den herausragenden Filmemachern der Schweiz. Sein bekanntestes Werk ist der Film «Die Schweizermacher» aus dem Jahr 1978 mit Emil Steinberger und Walo Lüönd in den Hauptrollen. Dieser Film ist mit über einer Million Kinozuschauern bis heute der erfolgreichste Schweizer Film. Der Artistic Director des Zurich Film Festivals: «Lyssy vermag wie kein Zweiter hierzulande Tragik und Komik miteinander zu verbinden. Obwohl seine Filme leichtfüssig inszeniert sind, setzen sie sich mit den essenziellen Fragen des Lebens auseinander.»

KEREM S. MAURER


SCHAUSPIELER ANDREAS MATTI IM INTERVIEW

«Gaht i ds Chino!»

Im Anschluss an die Gstaader Premiere seines neuen Films gewährte Schauspieler Andreas Matti interessante Einblicke in sein Schaffen.

KEREM S. MAURER

Was bedeutet es für Sie, an einer Filmpremiere wie dieser von «Eden für jeden» als Gstaader Schauspieler in Gstaad mit dabei zu sein?
Das ist für mich immer etwas Besonderes. Als Kind war ich oft hier im Ciné-Theater. Es war für mich wie eine Offenbarung und ich wollte immer selber in das Leben auf der Leinwand eintauchen. Als ich dann tatsächlich Schauspieler geworden bin, habe ich gemerkt, dass es etwas ganz anderes ist.

Wenn Sie das vorher gewusst hätten, wären Sie dann nicht Schauspieler geworden?
Mit dem Wissen, das ich heute habe, weiss ich nicht, ob ich diese Entscheidung noch einmal treffen würde.

Kann man sagen, dass das Ciné-Theater Gstaad Sie zum Film, zur Schauspielerei gebracht hat?
Ja, sicher! Aber auch die Schule mit den Schultheatern, bei denen ich sehr gerne mitgemacht habe.

Wie ist es für Sie, wenn Sie sich selber in einem Film auf der Leinwand sehen?
Das ist für mich ein eigenartiges Gefühl. Ich sehe immer, was ich alles falsch mache. Irgendwie berührt es mich eigenartig, mich selber zu sehen. Aber das ist halt meine Selbstkritik.

Welchen Bezug haben Sie heute noch zum Saanenland?
Ich wohne in Gsteig, wenn ich nicht arbeite. Ich bin oft in Zürich, pendle hin und her. Stimmberechtigt bin ich in Gsteig und da bezahle ich auch meine Steuern. Ich spaziere mit einem besseren Gewissen durch Gsteig, wenn ich hier meine Steuern bezahle. Sagen wir es so: Mit dem Betrag, den ich an Steuern bezahle, können sie in Gsteig mehr anfangen als in Zürich.

Was wollen Sie unseren Leserinnen und Lesern mitgeben?
«Gaht i ds Chino!» Zeigt, dass das Kino in Gstaad seine Berechtigung hat. Gerade heutzutage, wo alle zu Hause bleiben und Netflix schauen – ich habe nichts gegen Netflix! Das Gemeinschaftserlebnis ist so etwas Schönes, wenn man zusammen im Kino sitzen und einen Film anschauen kann. Diese Emotionen auf Grossleinwand schätze ich sehr.

 


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