«Dicke Post» für Regierungsrätin Beatrice Simon

  28.08.2020 Saanenland

1950 Unterschriften sind zur allgemeinen Neubewertung bisher zusammengekommen. Eine Delegation aus dem Saanenland hat die Petition am vergangenen Dienstag Regierungsrätin Beatrice Simon überreicht. Die Finanzdirektorin des Kantons Bern machte den Gästen aus dem Oberland jedoch wenig Hoffnung. Versprochen hat sie hingegen, dass alle Einsprachen ernst genommen würden.

ANITA MOSER
«Dicke Post für die Liegenschaftsbesitzer». So titelte der «Anzeiger von Saanen» am 15. Mai. «Wir bringen einen Teil der dicken Post wieder zurück», betonte Hansueli Reichenbach und übergab Regierungsrätin Beatrice Simon am vergangenen Dienstag in Bern ein Paket mit insgesamt 1950 Unterschriften. Dies sei nur ein erster Teil, so Reichenbach, er rechne mit einer zweiten Welle, denn die Liegenschaftsbesitzerinnen und -besitzer in Saanen erhielten die Eröffnung erst im September.

Mietwertkategorie und Landrichtwerte stehen im Fokus
Die Petition ist auf Privatinitiative von Martina und Hansueli Reichenbach aus der Lauenen zustande gekommen. Sie wird unterstützt von allen drei Gemeinden, vom Gewerbeverein Saanenland und auch von Grossrat Hans Schär. «Das Saanenland ist mit der allgemeinen Neubewertung 2020 nicht einverstanden», sagte Hansueli Reichenbach und erklärte Finanzdirektorin Beatrice Simon seine Kritikgründe aufgrund ihrer eigenen Situation – das Ehepaar besitzt eine Haushälfte auf 1400 Metern über Meer. Es könne von den einzelnen Grundstücksbesitzern nicht verlangt werden, dass sie sich durch die komplizierten Bewertungsakten wühlten, «wenn derart fehlerhafte und unlogische Bewertungsnormen angewandt werden», zitierte er aus seiner Einsprache. Die Forderung: «Wir verlangen, dass auch auf Einsprachen eingegangen wird, die nur ‹allgemeine Gründe› enthalten. Zudem muss die kantonale Schatzungskommission nochmals über die Bücher, insbesondere bei der willkürlich festgesetzten Mietwertkategorie und der wenig aussagekräftigen Handänderungsstatistik.» Und direkt an Beatrice Simon gerichtet: «Wir sind der Meinung, dass Sie es als Exekutivmitglied der Berner Regierung in der Hand haben, dass die vom Regierungsrat eingesetzte Schatzungskommission nochmals über die Bücher muss, namentlich bei der Mietwertkategorie und den Landrichtwerten. Zur Erinnerung: In Saanen gilt ein Landrichtwert von Fr. 2000.–/m2, in Lauenen sind es 860 Franken und in Gsteig 1390 Franken. Zum Vergleich: Thun und Spiez haben einen Landrichtwert von Fr. 800.–, die Stadt Bern Fr. 1670.–, Lenk Fr. 600.–, Zweisimmen Fr. 400.–. Bei der Mietwertkategorie führt Saanen mit Kategorie 25 die Rangliste an – noch vor der Stadt Bern. Diese findet sich – je nach Lage – in den Kategorien 22 bis 24 (Altstadt). Lauenen ist in der Kategorie 22 und damit gleichauf mit Teilen der Stadt Bern oder mit der Gemeinde Muri. Gsteig ist in der Kategorie 19 und damit ebenfalls noch vor Thun (16).

«Nicht nachvollziehbar»
Es herrsche Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung, das bewiesen die vielen Unterschriften, betonte Gemeindepräsident Toni von Grünigen. Schon zweimal habe man deshalb in Bern vorgesprochen. Er bedaure, dass man nicht weiter sei, dass man nicht auf die Vorbehalte eingegangen sei, insbesondere auf die Mietwertkategorie. «Dass Abländschen in der gleichen Mietwertkategorie ist wie die Stadt Bern, ist nicht nachvollziehbar», so Toni von Grünigen.

Er werde einen Vorstoss einreichen mit der Forderung, dass alle Liegenschaften, die mit mehr als 80 Prozent hinaufgeschätzt wurden, von der Schatzungskommission neu beurteilt werden müssen, betonte FDP-Grossrat Hans Schär. Auch er kritisierte die massgebende Periode zwischen 2013 bis 2016. Der grosse Mittelstand werde bestraft mit dieser Berechnungsformel, so Schär.

Gemeinderat Hannes Schopfer überreichte der Finanzdirektorin den Brief, mit dem die Gsteiger Behörde gegen die Neubewertung nichtlandwirtschaftlicher Liegenschaften bei der Steuerverwaltung interveniert hat. «Auch wenn wir eine Erhöhung der amtlichen Werte begrüssen, sind zwei von Ihnen angewandte Faktoren nicht akzeptabel und widersprechen völlig den tatsächlichen Verhältnissen», heisst es in diesem Brief – dessen Eingang bisher nicht bestätigt worden sei, so Schopfer. «Wie um Himmels willen soll Gsteig in eine höhere Mietwertkategorie eingeteilt sein als Gemeinden mit Seeanstoss und – für welche Bedürfnisse auch immer – an zentraler Lage?», fragt man sich in Gsteig.

Er bestätige das bisher Gehörte, betonte Jonas Wanzenried im Namen des Gewerbevereins Saanenland. «Wir haben zwar viele Gutbetuchte, aber auch viele Arbeitnehmende – und diese arbeiten zu Löhnen, die nicht höher sind als der schweizerische Durchschnitt.» Wanzenried sprach aber auch die Situation der Gäste und Zweitwohnungsbesitzer an. Er sehe – mit der Zweitwohnungsinitiative, der Verschärfung der Pauschalbesteuerung und jetzt der massiven Erhöhung der amtlichen Werte – eine gewisse Massierung. «Irgendwann wird es auch eine Frage der Attraktivität des Kantons Bern.»

In der Gemeinde Lauenen habe es in der Berechnungsperiode 2013 bis 2016 26 Händel gegeben, erklärte Gemeindepräsident Jörg Trachsel. «Und diese sollen relevant sein, um über 700 andere Projekte, die gar nicht zum Handel kommen sollen, zu bewerten? Das steht in keinem Verhältnis», argumentierte Trachsel. Er gebe zu, diese 26 Händel seien zum Teil überrissen gewesen. Aber bereits davon profitiert habe neben der Gemeinde auch der Kanton. Viele Bürgerinnen und Bürger plagten Existenzängste. «Die einen melden sich, aber viele behalten es für sich.» Auch Jörg Trachsel überreichte der Finanzdirektorin den Brief, mit dem sich die Gemeindebehörde an die Steuerverwaltung gewandt hatte. «Wir bitten Sie, unseren Landrichtwert und vor allem unsere Mietwertkategorie unter Berücksichtigung aller Nachteile einer Randregion festzusetzen und nicht alleinig aufgrund der überhöhten Kaufpreise zwischen 2013 und 2016», heisst es unter anderem in dem Schreiben.

Nicht böser Wille
Sie habe vollstes Verständnis für die Emotionen, für das Engagement, betonte Beatrice Simon nach dem «Feuerwerk der Anliegen», wie sie es nannte. Sie könne als ehemalige Gemeindepräsidentin gut nachfühlen, dass man für seine Überzeugung einstehe. «Ich bin demokratisch gewählt worden als Regierungsrätin. Ich muss in meiner Funktion die Gesetzgebung durchführen, ob es mir gefällt oder nicht», hielt sie fest. Nicht sie als Beatrice Simon von Seedorf habe bestimmt, dass alle Liegenschaften höher besteuert würden, denn sie sei selber auch betroffen. Es sei nicht böser Wille, sondern von der Gesetzgebung so vorgegeben: «Wenn man Entwicklungen sieht im Zusammenhang mit Land- und Liegenschaftsverkäufen, muss man das nach einer gewissen Anzahl Jahren anpassen.» Das letzte Mal vor 20 Jahren. Man habe die politischen Wege beschreiten müssen, der Grosse Rat habe sich mit dem Thema befasst. Es habe endlose Diskussionen gegeben «Das ist ein Zug, der fährt, den kann man nicht einfach bremsen», so Simon.

Die Einsprachen werden ernst genommen
Eines der Anliegen der Petitionäre ist, dass die einzelnen Einsprachen ernst genommen und die entsprechende Sachverhalte genau geprüft werden. «Dafür stehe ich ein», versicherte Beatrice Simon den Oberländern. «Es kann nicht sein, dass Einsprachen nicht anständig behandelt werden.» Sie habe sich diesbezüglich auch bei der Steuerverwaltung informiert. «Es wird jede Einsprache ernst genommen», wiederholte sie.

Mit Blick auf die kritisierte Bemessungsperiode 2013 bis 2016 meinte sie: «Es sind Indizien. Wenn Sie Ihr Haus heute verkaufen, könnten Sie wahrscheinlich auch einen massiv höheren Preis lösen, als Sie meinen, was es Ihnen Wert ist. Schon alleine für den Boden können Sie heute einen höheren Preis einfordern – auch wenn Sie das nicht vorhaben.» Man könne nicht jeden Wunsch von allen erfüllen, aber sie garantiere, dass alle Einsprachen, auch wenn sie zahlreich eingehen, abklären werde.

Klartext redete sie auch in Bezug zu Vorstössen auf politischem Weg: «Die kommen alle zu spät.» Den Vorstoss, der verlange, dass man wegen Corona auf die allgemeine Neubewertung verzichte, lehne der Regierungsrat ab. Auch für den von Hans Schär angekündigten Vorstoss sei zu spät. «Vom Gesetz her vorgesehen ist jetzt, dass man Einsprache machen muss.» Sie dämpfte die Hoffnung der Delegation aus dem Saanenland. Mehr als die Überprüfung der Einsprachen könne sie nicht anbieten, so Simon. «Wenn es Ungerechtigkeiten gegeben hat, bringen wir diese selbstverständlich in Ordnung. Aber dass sich etwas völlig ändert, entspricht nicht der Realität.» Am Grundsystem werde nichts geändert, «die politischen Entscheide sind gefällt worden.»

«Völlige Gerechtigkeit gibt es nicht»
Hansueli Reichenbach gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. «Weshalb kann man nicht nochmals über die Bücher? Wenn etwas falsch ist, muss man es doch korrigieren.» Sie nehme diese Frage auf, betonte Simon. Bis ins letzte Detail wisse sie nicht Bescheid, so wisse sie nicht auswendig, ob die Festlegung der Mietwertkategorie und der Landrichtwerte schon in der Vorlage vorhanden gewesen sei, welche der Grosse Rat behandelt habe. Sie werde das abklären, versprach sie. «Ich garantiere Ihnen, Sie bekommen eine Antwort von mir.»

Völlige Gerechtigkeit gebe es nicht, bat die Regierungsrätin um Verständnis. Die Delegation aus dem Saanenland gab sich nicht mit allem zufrieden. Es gehe nicht um einige Benachteiligte, ganze Dörfer würden bestraft, sagte Martina Reichenbach. Viele hätten sich in den vergangenen Jahren den Traum von einem Eigenheim leisten können, auch dank der niedrigen Zinsen. Und nun müssten zahlreiche um ihre Existenz bangen. «Alles, was über hundert Prozent sei, hätte gar nicht eröffnet werden dürfen, das ist fern jeder Realität», sagte Hansueli Reichenbach.

Sie hoffe, so Beatrice Simon abschliessend, dass «man beim einen oder anderen Ort eine Korrektur vornehmen kann und dass ihr doch ein bisschen zufriedener seid über die in Bern.» Und sonst, so Simons Rat, «müsst ihr halt dafür sorgen, dass ihr mehr Grossrätinnen und Grossräte in den Saal über uns schicken könnt …».

 


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