Reichenbach – mehr als nur ein Bach

  09.06.2020 Region

Woran denken Sie, wenn Sie «Reichenbach» hören? An den gleichnamigen Bach, die Wasserfälle, die Gemeinde oder doch eher an Ihre Saaner Freunde oder Nachbarn mit besagtem Familiennamen? Katharina Wittwer vom «Frutigländer» fördert historisch Interessantes zutage.

Der Gewässername «Reichenbach» «Riche(n)bach», «Riichebach» oder «Ryhebach» ist auf einen temporären Wasser- oder Fischreichtum in einem Bach zurückzuführen und kommt im deutschen Sprachraum häufig vor. Er wurde zigfach auf Siedlungen, Orte und Städte an Fliessgewässern mit ebendiesem Namen übertragen. Im kürzlich erschienenen Flurnamenbuch der Gemeinde Reichenbach fällt auf, dass der Richebach, der dem Dorf in der Talebene und der Gemeinde den Namen gab, am Fusse von Engelhorn, Standfluh und Wätterlatte entspringt und durch den Faltschegrabe und nicht etwa durch den Richebachgrabe fliesst.

Hotel Reichenbach wurde zur Klinik
Im Berner Oberland gibt es nebst «unserem» Reichenbach ein gleichnamiges Bächlein und ein Quartier in der Gemeinde Därstetten. Anwohner erzählen, dass Leute regelmässig im Simmental erfolglos nach einer Adresse im Kandertal suchen.

Das Reichenbachtal in der Gemeinde Schattenhalb und vor allem die Wasserfälle sind weltberühmt. Das einstige Hotel Reichenbach bei Meiringen war in der Belle Epoque eines der führenden Häuser im Haslital. Während des Ersten Weltkrieges richtete Fritz Michel-Moser ein Gesuch zur Umnutzung der gesamten Hotelbesitzung ein. Ihm schwebte vor, eine Klinik «für die Aufnahme, Behandlung und Verpflegung gemüts- und geisteskranker Personen» einzurichten. Das Gesuch wurde bewilligt, und vor 101 Jahren nahm die heutige Privatklinik Meiringen ihren Betrieb auf.

Berühmt dank Sherlock Holmes
Viele Anhänger verehrten den englischen Arzt und Schriftsteller Arthur Conan Doyle (1859–1930) wegen seiner Sherlock-Holmes-Geschichten. Er selbst schien mit der Zeit des Meisterdetektivs und dessen Freundes Dr. Watson überdrüssig zu sein. Conan Doyle weilte mehrmals in der Schweiz und stieg unter anderem 1893 im Hotel Reichenbach in Meiringen ab. Die Wasserfälle schienen ihm geradezu prädestiniert, um sich des Meisterdetektivs zu entledigen. Schon im gleichen Jahr erschien die Kurzgeschichte «Das letzte Problem». Darin fliehen Holmes und sein Freund Dr. Watson vor ihrem Erzfeind Professor James Moriarty von London in die Schweiz. Die Protagonisten reisen von Genf durch das Rhonetal ins Leukerbad, überqueren zu Fuss die Gemmi, gelangen nach Kandersteg und erreichen via Interlaken schliesslich Meiringen.

Doch Professor Moriarty holt Holmes und Watson an den Reichenbachfällen ein, wo die beiden nach einem verbitterten Zweikampf schliesslich in den Tod stürzen. Auf Druck der Leserschaft musste der Autor den Meisterdetektiv allerdings wieder auferstehen lassen. In der Kurzgeschichte «Das leere Haus» (1903) ist zu lesen, dass Holmes entkommen konnte und seine Arbeit als Detektiv fortsetzte. Meiringen und die Reichenbachfälle sind noch heute eine beliebte Feriendestination für britische Touristen.

Häufiger Familienname im Saanenland
Obschon im Saanenland kein Fliessgewässer den Namen Reichenbach trägt, wird dieser Familienname erstmals im Vaneller Steuerrodel von 1312 genannt. Es ist einer der ältesten, nicht adeligen Familiennamen überhaupt. Die ersten Reichenbachs waren zwischen Saanen und Gstaad ansässig. Personen mit diesem Familiennamen sind in den drei Gemeinden Saanen, Gsteig und Lauenen heimatberechtigt. Die Burg Vanel – deren Ruine noch sichtbar ist – befand sich im Besitz der Grafen von Greyerz und liegt in der heutigen Gemeinde Rougemont. Sie war Verwaltungssitz der beiden Kastlaneien Saanenland und Rougemont.

KATHARINA WITTWER


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