Beatrice Simon: «Der Kanton hat jederzeit korrekt gehandelt»

  09.04.2019 Region

Gut vier Jahre nach dem Nein zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung ist das Spezialsteuersystem wieder ein mediales Thema. Der Kanton weist Vorwürfe, Vorgaben des Bundes beim Besteuern von reichen Ausländern zu missachten, zurück.

ANITA MOSER
«Kanton drückte bei Milliardären ein Auge zu», «Steuertrick für ausländische Milliardäre», «Tiefe Steuern für Gstaader Milliardäre», «Steuerdeals im Oberland» – so und ähnlich titelten Medien aus dem In- und Ausland vergangene Woche. Dem Kanton Bern wird vorgeworfen, die Vorgaben des Bundes beim Besteuern von reichen Ausländern zu missachten und der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die Praktiken der Kantone zu ignorieren.

Als Grundlage für die Kritik dienen die dem Recherchedesk von Tamedia exklusiv vorliegenden Steuerdaten einer Reihe von in der Gemeinde Saanen wohnhaften vermögenden Personen. Die Daten stammen von vor 2015, als diese grundsätzlich noch öffentlich waren, wie der «Bund» schreibt. Im Kanton Bern zahlten demnach drei in den Zeitungen namentlich erwähnte Pauschalbesteuerte in den Jahren 2008 bis 2011 jeweils rund 400\\'000 bis 500\\'000 Franken Kantons-, Bundes- und Gemeindesteuern. «Die Kantone rechnen die Steuern für reiche Ausländer tief – mit einem Kniff, der den Vorgaben des Bundes widerspricht«, schrieb der «Bund». Konkret wird dem Kanton Bern vorgeworfen, nur die Lebenshaltungskosten im Inland zu berücksichtigen anstatt den – gemäss den 1993 aufgestellten Richtlinien der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) – weltweiten Aufwand.

Die ESTV müsse sicherstellen, dass die Vorgaben nicht einfach ignoriert würden, wird FDP-Ständerat Andrea Caroni im «Bund» zitiert. Und SP-Nationalrätin Margret Kiener-Nellen verlangt eine verbesserte Aufsicht des Bundes. Es brauche nun jährliche Kontrollen durch die externen Finanzkontrollen.

«Das Gesetz der Pauschalbesteuerung ist einzuhalten», betont SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal auf Anfrage. «Ob und welche Unregelmässigkeiten allenfalls gelaufen sind, muss überprüft werden.»

Kanton weist Vorwürfe zurück
«Die in der Tamedia-Berichterstattung erwähnten Vorwürfe stimmen nicht», schreibt Tanja Bertholet von der Medienstelle der Steuerverwaltung des Kantons Bern, auf Anfrage. Die Steuerverwaltung des Kantons Bern wende das Gesetz korrekt an, erfrage und berücksichtige die weltweiten Lebenshaltungskosten. «Ein gewisses Mass an Vertrauen ist jedoch Voraussetzung, denn wir müssen davon ausgehen, dass uns die Steuerpflichtigen ihre Angaben wahrheitsgetreu zukommen lassen.» Wer im Kanton Bern nach dem Aufwand besteuert werden wolle, müsse mit dem entsprechenden Gesuch ein detailliertes Budget der jährlichen Lebenshaltungskosten einreichen. Zu den Lebenshaltungskosten zählen gemäss Kreisschreiben der ESTV vom Juli 2018
– die Kosten für Verpflegung und Bekleidung,
– die Kosten für Unterkunft inkl. Heizung, Reinigung, Gartenunterhalt usw.,
– die Steuern und Sozialversicherungsabgaben,
– die gesamten Aufwendungen (Geldund Naturalleistungen) für Personal im Dienste der steuerpflichtigen Person,
– Unterhaltsbeiträge,
– die Ausgaben für Bildung inkl. Schulkosten der Kinder im Ausland, Freizeit, Sport usw.,
– die Ausgaben für Reisen, Ferien, sportliche Aktivitäten und andere Unterhaltung, Kuren usw.,
– die Kosten für die Haltung aufwendiger Haustiere (Reitpferde usw.),
– und die Unterhalts- und Betriebskosten von Automobilen, Motorbooten, Jachten, Flugzeugen usw.
Die Steuerverwaltung prüfe jeweils, ob die gemachten Angaben plausibel seien und nehme gegebenenfalls ergänzende Abklärungen vor. «Bei Gewährung der Aufwandbesteuerung weist die Steuerverwaltung auf die Pflicht hin, relevante Veränderungen bei den jährlichen Lebenshaltungskosten mitzuteilen.» Im Rahmen der jährlichen Steuererklärung stellten die Aufwandbesteuerten jeweils auf einem Zusatzformular den zu unterzeichnenden Antrag auf Veranlagung nach der Pauschale, womit sie auch die entsprechenden effektiven Lebenshaltungskosten bestätigten. Stelle die Steuerverwaltung relevante Veränderungen der persönlichen Verhältnisse der nach dem Aufwand Besteuerten fest, überprüfe sie die Aufwandbesteuerung, einschliesslich der Lebenshaltungskosten, zu welchem Zweck ein aktuelles Budget einverlangt werde. «Mit diesem Verfahren wird sichergestellt, dass die Vorgaben der Steuergesetzgebung eingehalten werden.» «Der Kanton hat jederzeit korrekt gehandelt», betonte BDP-Regierungsrätin Beatrice Simon auf Anfrage. Bei den in den Medien herangezogenen Steuerdaten handle es sich um alte Daten. Die Finanzdirektorin steht hinter der Pauschalsteuer: «Es ist ein gutes Instrument, um zusätzliche Steuergelder zu generieren.»

Drei Zeitphasen
Ein Kreisschreiben habe keinen Gesetzescharakter, betont Steuerberater Toni Amonn auf Anfrage. «Die Eidgenössische Steuerverwaltung ist nicht Gesetzgeber und auch nicht Verordnungsgeber. Sie kann keine rechtlich verbindlichen Normen erlassen, sondern höchstens Empfehlungen oder Anweisungen geben, wie die Kantone sich verhalten sollen.» Diese seien aber rechtlich nicht bindend. «Erst 2016 wurden schweizweit Mindestregelungen eingeführt sowie präzisiert, dass der weltweite Aufwand berücksichtigt werden muss.» Es gebe drei Zeitphasen und in allen Phasen halte man sich an das jeweils geltende Recht, so Amonn. Bis Ende 2015 sei es in allen Kantonen Praxis gewesen, den schweizweiten Lebensaufwand zu berücksichtigen. «Für uns als Berater war das völlig klar. Im Kanton Bern gab es eine Verordnung, eine gesetzliche Grundlage, welche konkretisiert hat, dass der Lebensaufwand der Familie in der Schweiz relevant sei.»

Seit 2016 gelten nun die verschärften Bedingungen. «Bei den Neuzuzügern wird die neue Praxis umgesetzt und der weltweite Lebensaufwand berücksichtigt», so Amonn. «Es wird erheblich teurer, zum Teil ist es nicht mehr attraktiv.» Für Personen, welche schon 2015 pauschalbesteuert wurden, gilt die alte Regelung bis Ende 2020. «Wobei die Steuerverwaltung auch solche Fälle bereits genauer angeschaut und überprüft hat.» Ab 2021 gelten dann sowohl für Neuzuzüger wie für bereits Ansässige die gleichen Regeln. Das könnte im Saanenland zum Problem werden, ist Amonn überzeugt. «Eine gewisse Erhöhung verträgt es. Resultiert aber eine Vier- oder Verfünffachung der Steuerbelastung, kann und wird es Wegzüge geben.»

Spezialsteuersysteme auch in anderen Ländern
Nicht nur die Schweiz kennt Spezialsteuersysteme. «Andere Länder haben sehr viel aggressiver als die Schweiz neue Spezialsteuerregime eingeführt», betont Toni Amonn und erwähnt Italien und Portugal. Wolle jemand heute aus einem Hochsteuerland wegziehen, sei die Schweiz aus rein steuerlicher Optik nicht mehr interessant. Natürlich seien die Steuern alleine nicht der einzige Standortfaktor – auch nicht für natürliche Personen. Es gebe eine ganze Reihe von wesentlichen Faktoren: Sicherheit, Umgebung, Infrastruktur (z.B. Schulen), Verkehrssituation (z.B. Flughafen) sowie weitere persönliche Gründe wie Sprachen, persönliche Präferenz (Wohnort in den Bergen, an einem See oder am Meer.) «Diese nichtsteuerlichen Faktoren fliessen in den Entscheid mit ein. Für diese Kategorie Leute sind Steuern meistens ein wichtiger Faktor, der ausschlaggebend ist, welche Länder überhaupt in Frage kommen», weiss der Berater aus Erfahrung.

Gemeinde hat keinen Einfluss
Und was hält Toni von Grünigen von der ganzen Diskussion? «Aufgewärmter Kaffee», meint der Gemeindepräsident von Saanen spontan. Die Angaben beruhten auf alten Steuerdaten aus den Jahren 2008 bis 2011. «Die Gemeinde hat keine Kenntnis von den Berechnungsgrundlagen des Kantons und keinen Einfluss auf die Veranlagung der Pauschalbesteuerten. Der Kanton nimmt die Veranlagungen vor und die Gemeinde Saanen hat keinen Grund, an der Korrektheit dieser Berechnungen zu zweifeln.» Die pauschalbesteuerten Einwohner seien für die Gemeinde aber wichtig. «Nicht ausschliesslich wegen den Steuererträgen, sondern aus volkswirtschaftlichen Gründen. Sie unterstützen Projekte und Grossanlässe, generieren Arbeitsplätze und das zusätzlich zum Konsum, den sie hier tätigen.»

Wirtschaftliche Aspekte von zentraler Bedeutung
Die Pauschalbesteuerung ermögliche es, von international ausgerichteten ausländischen Personen überhaupt Steuern im Kanton Bern zu generieren, sagt David Matti, Präsident von Gstaad Saanenland Tourismus, auf Anfrage. «Es handelt sich bei der Pauschalbesteuerung weder um illegale Steuerabsprachen noch um irgendwelche Steuergeschenke, sondern um ein wirkungsvolles Instrument im international hart umkämpften Steuerwettbewerb. Ohne diese Möglichkeit würden die heute pauschalbesteuerten Ausländer ihre Steuern ganz klar andernorts bezahlen sowie wohl auch wegziehen.» Damit würden diese Steuererträge im Kanton Bern komplett wegfallen, was wieder mit einer höheren Steuerlast der übrigen Steuerzahler kompensiert werden müsste. «Nicht zu vergessen ist neben dem Fokus auf die reinen Steuererträge die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung der Pauschalbesteuerten. Gerade in unserer international und touristisch ausgerichteten Region hängt das tagtägliche Einkommen von vielen Arbeitnehmern unmittelbar von der Präsenz und der wirtschaftlichen Aktivitäten der Pauschalbesteuerten ab.»

Ähnlich argumentiert auch Christof Huber. «Die Pauschalbesteuerten sind wichtig für unseren Tourismus. Durch sie können unter anderem zahlreiche Arbeitsplätze in Randregionen geschaffen werden», so der Präsident des Hoteliervereins Gstaad-Saanenland. «Sie wohnen hier und geben hier auch Geld aus. Sie gehen in Restaurants, in Geschäfte, vergeben Aufträge im Gewerbe.» Und nicht zu vergessen: «Gäste oder Geschäftspartner der Pauschalbesteuerten – das kommt sehr oft vor – übernachten in den Hotels.» Nicht nur der Pauschalbesteuerte, sondern auch seine Familie, sein Umfeld generiere Wertschöpfung. Städter seien oft ein wenig misstrauisch. «Man hat das Gefühl, sie hätten Sorge, ihnen entginge etwas. Durch den Finanzausgleich auf Kantons- und Bundesebene profitieren jedoch alle.» Würde die Pauschalbesteuerung abgeschafft oder die Pauschalierten wegziehen, wäre der Steuerausfall gravierend, «nicht nur für unsere Region, sondern für den ganzen Kanton und die Schweiz», ist Huber überzeugt. Vermögende Ausländer könnten ihr Steuerdomizil an einem xbeliebigen Ort auf der Welt auswählen, wo sie gleiche oder gar bessere Konditionen hätten. «Aber sie kommen ganz bewusst in die Schweiz, weil es ihnen hier gefällt. Sie schätzen die Sicherheit und die Lebensqualität.» Es gehe um haben oder nicht haben: «Wenn wir sie nicht wollen, profitieren andere.»

Vertrauen in die Behörden
Sehr aktiv im Kampf gegen die Abschaffung und die Verschärfung der Pauschalbesteuerung war der Gewerbeverein Saanenland. «Es scheint primär ein polarisierendes Thema, von der Presse hochgeschaukelt», sagt Jonas Wanzenried, Präsident des Gewerbevereins Saanenland. Er habe Vertrauen in die Behörde, in die Steuerverwaltung. «Da wird sehr genau gearbeitet». Neid sei wohl oft der Antrieb der «meist Linken», gegen die Pauschalbesteuerung mobil zu machen. Und es werde völlig ausgeblendet, dass Pauschalierte gerade im Berggebiet nach wie vor ein wichtiger Lebensnerv seien. «Sie tätigen Investments in Millionenhöhe, generieren Arbeitsplätze nicht nur im Saanenland, sondern auch im Unterland. Von dem sagen die Linken nichts», ärgert sich Wanzenried. «Wir ‹gränne› ja auch nicht dauernd, weil die Mindestgrenze heraufgesetzt wurde und wir vielleicht ein paar Pauschalierte weniger haben, die ihr Geld umsetzen in der Region». Er finde die Diskussion müssig – Schnee von gestern. «Die Anpassungen am System in vergangenen Abstimmungen sollen allseitig respektiert werden.» Und schliesslich gehe es niemanden etwas an, wer wie viele Steuern bezahle. «Steuern sind vertraulich. Das gilt auch für Pauschalbesteuerte».


BESTEUERUNG NACH AUFWAND

Als massgeblicher Aufwand für die Besteuerung gilt der Gesamtbetrag der jährlichen Lebenshaltungskosten. Berücksichtigt werden die Kosten, welche die Steuerpflichtigen im In- und Ausland für sich und für die von ihnen unterhaltenen Personen aufbringen. Ergänzend sieht das Gesetz Mindestwerte für die Bemessungsgrundlage und eine Kontrollrechnung vor. Danach darf die Steuer nicht niedriger sein als die nach dem ordentlichen Tarif berechnete Steuer auf bestimmten Bruttoelementen des Einkommens und des Vermögens in der Schweiz. Zu diesen Einkünften gehören insbesondere alle Einkünfte aus schweizerischen Quellen und solche, für die der Steuerpflichtige aufgrund eines von der Schweiz abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens eine Entlastung von ausländischen Steuern beansprucht.

Verschärfte Bedingungen
• Der weltweite Aufwand soll mindestens dem Siebenfachen der Wohnkosten entsprechen.
• Neu soll bei der direkten Bundessteuer zusätzlich eine Mindestbemessungsgrundlage von 400\\'000 Franken gelten. Die Kantone müssen ebenfalls einen Mindestbetrag für die Bemessungsgrundlage festsetzen, den sie frei wählen können (im Kanton Bern sind es ebenfalls 400\\'000 Franken/Anm. der Redaktion).
• Bei Ehegatten, die nach dem Aufwand besteuert werden wollen, müssen beide Partner sämtliche Voraussetzungen zur Aufwandbesteuerung erfüllen.
• Für Personen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des DBG (Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer) nach dem Aufwand besteuert wurden, gilt während fünf Jahren, das heisst bis am 31. Dezember 2020, weiterhin das bisherige Recht.

Quelle: Eidgenössisches Finanzdepartement, Stand Dezember 2018


VERSCHÄRFTE BEDINGUNGEN

Das Berner Stimmvolk hat am 23. September 2012 die Abschaffung der Pauschalsteuer abgelehnt, hingegen einer Verschärfung zugestimmt. Die verschärften Bestimmungen traten am 1. Januar 2016 in Kraft. «Für Personen, die zu diesem Zeitpunkt bereits nach dem Aufwand besteuert wurden, gilt eine fünfjährige Übergangsfrist, sodass die verschärften Bestimmungen für diese Personen erst ab dem 1. Januar 2021 gelten», hielt der Kanton Bern in einem Communiqué im März 2013 fest.

Ende November 2014 hat auch das Schweizer Stimmvolk die Abschaffung der Pauschalbesteuerung auf Bundesebene abgelehnt. Die Pauschalbesteuerung liegt somit in der Autonomie der Kantone. Aus volkswirtschaftlichen Gründen hat sich der Bundesrat damals gegen eine Abschaffung der Pauschalsteuer ausgesprochen, die Bestimmungen jedoch verschärft. Neu muss der Lebensaufwand mindestens das Siebenfache und nicht mehr das Fünffache der Wohnkosten betragen.

ANITA MOSER


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