Junge, temperamentvolle Downhill-Biker heben ab

  19.07.2022 Sport

Können Sie sich noch an Ihre Jugend erinnern? Wie Sie zu schnell Ski fuhren? Wie Sie in Felsen kletterten und das Gefühl hatten, Sie seien unbesiegbar? Genauso geht es sechs Jugendlichen aus dem Saanenland und Zweisimmen beim Biken. Sie erobern jede Downhill-Strecke innerhalb der Schweiz, aber auch in Frankreich und gehen manchmal über ihre Grenzen.

BLANCA BURRI
Sie machen einen Wheelie, fahren über Bridges, jumpen über Gaps, springen über Tables und manövrieren über Rock Gardens. Sechs Teenager aus dem Saanenland und dem Obersimmental verbringen ihre Zeit lieber im Sattel als am Smartphone. Es handelt sich um Paul Merzweiler, Maurus und Sebastian Donker, Russell Tschanz, Finn Schillinger und Ramon Hoefliger. Vier von ihnen traf diese Zeitung zum Gespräch.

Nach Frankreich
Die sechs Jungs ziehen gerne los, um schnell zu fahren und Spass zu haben. Am liebsten fahren sie nach Châtel, nur eineinhalb Autostunden von Gstaad entfernt, aber bereits «änet» der französischen Grenze im bekannten Skiund Wandergebiet Portes du Soleil. Dort führt eine Zweisektionenbahn auf den Berg und bedient ein vielseitiges Downhill-Bike-Trailnetz. Wie beim Skifahren sind die Trails mit Farben markiert: Blau steht für einfach, Schwarz für schwierig. Hier fährt niemand ohne Handschuhe und Downhill-Helm.

Jetzt gehts los
Noch ein Kunststück auf dem Downhill-Bike, ein vollgefedertes Modell, am liebsten der Marke Commencal, dann stürzen die Downhiller dicht hintereinander ins Tal. Sie rattern über losen Kies, dann rollen sie auf einem Trail durch die Wiese, ziehen den Lenker fliessend um die vielen 180-Grad-Kurven, bei der Strassenquerung zwingt sie ein Holzzaun abzubremsen, es quietscht. Nach der Asphaltstrasse führt der Trail in den Wald. Räder hüpfen und kreiseln über glattes Wurzelwerk, über spitze Steine, dann eine Holzbrücke, weiter unten ein Holztisch – er führt ins Leere – Sprung, man hört nur noch den Fahrtwind, Landung und weiter in die nächste Steilkurve. So geht es den ganzen Tag, eine Sportart, die höchste Konzentration, Kraft, Koordination, Ausdauer und vor allem eine gehörige Portion Mut braucht. Zurück bleibt der Adrenalinkick, das Gefühl, sich lebendig zu fühlen und die Lust, sofort wieder zu starten.

Der Vater als «Besenwagen»
Noch sind alle sechs Sportler unter
18-jährig, deshalb fahren die Eltern sie in der Regel in die Downhill-Parks. «Unsere Väter wechseln sich meistens ab und biken dann auch mit uns», sagt Maurus Donker. Auch sein Vater ist passionierter Downhiller. Inzwischen mache er aber das Schlusslicht, den «Besenwagen» sozusagen. Er lese alles zusammen, was liegen bleibe – und kümmere sich auch um die Gestürzten, was halt immer mal wieder vorkomme.

An die Grenzen und darüber hinaus
Begonnen hat alles mit Paul Merzweiler und Maurus Donker. Der Gsteiger und der Saaner trainierten oft am Rellerli, wo seinerzeit ein temporärer Downhill-Trail angelegt war. «Ich war erst nicht so gut wie Paul. Aber wir pushten uns gegenseitig so stark, dass wir uns bald ebenbürtig waren und wir uns dann immer weiterentwickelten.» Dazu gehören auch Stürze, leichte und schwere. «An zwei erinnere ich mich nicht mehr», sagt Maurus Donker mit einer grossen Portion Galgenhumor. Da kommen auch ein paar Hirnerschütterungen zusammen. «Meine letzte grosse Gehirnerschütterung liegt ein Jahr zurück», erzählt er. Danach habe er sechs Monate pausiert. Mit dem Training habe er sanft gestartet. «Im Moment bin ich halt das Schlusslicht.» Aber es kitzelt den 17-Jährigen in den Fingern. Gerne würde er wieder mit Vollgas über Wurzeln rasseln, über Steinklippen und Tables springen. Doch das brauche noch ein wenig Zeit.

Europacup für Russell Tschanz
Für die meisten Downhiller bleibt das Biken ein Hobby, ausser für Russell Tschanz. Bereits sein Vater war früher im Rennzirkus und nun tut es ihm der Sohn gleich. «Ich fahre recht viele Rennen, auch im Europacup.» Der Zweisimmner startet in der Schweiz und im nahen Ausland. Auf den Leistungsausweis angesprochen meint er bescheiden: «Ich bin in meiner Kategorie unter den besten zehn.» Dass er im letzten Rennen Gold holte, verschweigt er. Dazu meint er nur: «Die Besten waren nicht dabei.»

Was die Zukunft bringt
Bald schon wird die Downhill-Crew noch unabhängiger werden, denn sobald Paul Merzweiler den Führerschein hat, will er seine Freunde fahren. Wenn Paul nicht Velo fährt, repariert er sie. Er macht eine Lehre als Velomechaniker. Der 15-jährige Ramon Hoefliger aus Saanenmöser beginnt im Sommer eine Lehre als Informatiker in Bern und absolviert die Berufsmaturität. Maurus Donker belegt die Fachmittelschule in Thun. Der 17-Jährige möchte danach Sozialpädagoge werden. Russell Tschanz ist 16 Jahre alt, der angehende Polymechaniker macht die Lehre bei der Ruag.

Video unter: https://tinyurl.com/9ru9fwjn

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GLOSSAR

Wheelie: Auf dem Hinterrad fahren
Bridges: Brücken aus Holz
Gaps: Lücken – beispielsweise Sprünge über Felsspalten, Gräbli oder Bächlein
Tables: Tische aus Holz
Rock Gardens: Feld von Steinen


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