Aga Khan – von hoher Diplomatie und Jetset zur Philanthropie
07.12.2023 GesellschaftNach einer Rebellion musste Aga Khan I., der Glaubensführer und Imam der Nizari-Ismailiten, 1841 von Persien nach Britisch-Indien fliehen, wo er seither unter dem Schutz von Grossbritannien lebte. Seinen Enkel Aga Khan III. hingegen zog es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach ...
Nach einer Rebellion musste Aga Khan I., der Glaubensführer und Imam der Nizari-Ismailiten, 1841 von Persien nach Britisch-Indien fliehen, wo er seither unter dem Schutz von Grossbritannien lebte. Seinen Enkel Aga Khan III. hingegen zog es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Frankreich, später in die Schweiz und nach Gstaad. In den Chalets der Familie Aga Khan trafen sich gemäss der internationalen Boulevardpresse die Schönen und Reichen des internationalen Jetsets sowie die Mächtigen der Politik. Schlagzeilen machten insbesondere das Paar Aly Khan und Hollywood-Filmstar Rita Hayworth in den 1950er-Jahren oder aktueller die Scheidungsaffären um Karim Aga Khan IV. Weniger interessierten sich die Medien für die Religion und Kultur der Ismailiten oder das Aga Khan Development Network, das grösste – von Karim Aga Khan gegründete – private humanitäre Hilfsnetzwerk der Welt.
MARTIN GURTNER-DUPERREX
Warum nur war Sultan Mohammed Shah – als Aga Khan III. das geistliche Oberhaupt der Nizari-Ismailiten und Enkel des illustren Reiterprinzen Aga Khan I. – als junger Mann um 1900 an die französische Riviera übergesiedelt und hatte seine Gefolgschaft sowie seine Ehegattin, eine persische Prinzessin, in Indien zurückgelassen? Es gab dafür einen doppelten Grund: seine Leidenschaft für den Pferderennsport und die feste Überzeugung, dass die Zukunft dem modernen Westen gehörte.
Der Glaubensfürst heiratete demnach die italienische Tänzerin Teresa Magliano, mit der er einen Sohn hatte: Ali Salman Aga Khan – besser bekannt als Prinz Aly Khan, geboren 1911. Nach dem Tod der Ballerina wurde die französische Modeschöpferin Andrée Caron Aga Khans III. dritte Frau. Sie gebar ihm 1933 Sadruddin «Sadri» Aga Khan.
Auf dem diplomatischen Parkett
Palais des Nations, Genf, 1937: Aga Khan III. wird zum Präsidenten der Vollversammlung des Völkerbunds gewählt, der Vorgängerorganisation der UNO, welche nur zwei Jahre später unter dem Druck der faschistischen Diktaturen in Italien und Deutschland zerbrechen sollte.
Aufgrund seiner Kenntnisse von Ost und West war Aga Khan ein gern gesehener Gast auf dem diplomatischen Parkett. In Britisch-Indien hatte er sich früh für einen eigenständigen muslimischen Staat Pakistan engagiert und in den 1930er-Jahren beteiligte er sich an den Round-Table-Gesprächen zur Zukunft Indiens. Weil der Prinz jedoch auf die zerfallende Kolonialmacht England setzte, konnte er bei der Tragödie um die Unabhängigkeit des indischen Subkontinents im Jahr 1947 keine Rolle mehr spielen.
Umso mehr Schlagzeilen machte dafür ein anderes Ereignis: In Südfrankreich überfielen 1949 bewaffnete Räuber auf offener Strasse die Limousine von Aga Khan III. und entwendeten die Schatulle mit dem millionenschweren Schmuck seiner vierten Ehefrau Yvette Labrousse, einer ehemaligen Miss France. Die Story soll den Comic-Autor Hergé zu Tim und Struppis Album «Die Juwelen der Sängerin» inspiriert haben.
Der Playboy und Vaters Testament
Versoix bei Genf, 1957: Aga Khan III. stirbt nach längerer Krankheit im Alter von 79 Jahren. Die Veröffentlichung seines Testaments erregt Aufsehen, denn anstelle seines erstgeborenen Sohns Aly Khan wird darin sein Enkel Karim zum Aga Khan IV. und 49. Imam der Ismailiten ernannt.
Karim Aga Khan ist 1936 in Genf geboren und der Sohn aus Aly Khans erster Ehe mit dem amerikanischen Model Joane Yarde-Buller. Er studierte an den Elite-Universitäten Harvard und Cambridge. Sein Grossvater wünschte, dass ihm ein junger Mensch nachfolge, der «mitten in diesem neuen Zeitalter aufgewachsen ist».
Prinz Aly Khans schillerndes Leben als Jetset-Playboy, das die Boulevardpresse mit Gusto ausschlachtete, dürfte bei der Entscheidung seines Vaters ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Er hatte sich 1949 von Yarde-Buller scheiden lassen, seine darauffolgende Ehe mit der Hollywood-Diva Rita Hayworth zerbrach nach bloss zwei Jahren.
Aly Khan war in der Folge ab 1958 bis zu seinem jähen Autounfalltod 1960 als Botschafter Pakistans bei den Vereinten Nationen in Genf tätig. Auch sein Halbbruder Saddrudin Aga Khan machte als Hochkommissar für Flüchtlinge von 1966 bis 1977 erfolgreich bei der UNO Karriere. Er starb 2003 an Krebs.
Ein Intermezzo im Saanenland
Oberbort, Gstaad, 1966: Gemäss einer einschlägigen Zeitschrift verkauft Prinz Karim Aga Khan IV. sein Zehnzimmerchalet Darranour, das er sich 1958 für einen Millionenbetrag erbauen liess, und zieht vom Nobelkurort weg – aus persönlichen Gründen, wie es heisst. Die Familie Aga Khan hielt sich vorher häufig und gern im Saanenland auf. Wie ein Pressefoto belegt, bewohnte Prinz Aly Khan im Winter 1949/50 das Chalet Theier, eine ehemalige Privatschule am Gstaader Oberbort. Es zeigt seine kleine Tochter Yasmina in den Armen ihres Grossvaters Aga Khan III. und daneben – mit aufmerksamem Blick – ihre Mutter Rita Hayworth. Diese hatte zuvor bei ihrer Ankunft im Grandhotel mit ihren Hunden und sechzig Koffern für gehörigen Wirbel gesorgt, wie die Medien berichteten. Zudem sei Aly Khan während seines Aufenthalts derart unglücklich gestürzt, dass er sich einen Beinbruch zuzog und im Spital Saanen behandelt werden musste.
Karim Aga Khan IV., der als Jugendlicher in den frühen 1950er-Jahren am Institut Le Rosey studierte, ist auf mehreren Fotos beim Wintersport im Saanenland zu sehen. Als Eishockeyspieler trug er das Trikot des Teams Le Rosey und als Skirennfahrer nahm er 1964 sogar an den Olympischen Winterspielen in Innsbruck teil.
An Saddrudin Aga Khan, der später in Rougemont lebte, erinnern der von ihm gestiftete Sadri Aga Khan Cup, welcher ab 1946 in Schönried ausgetragen wurde, sowie die Hostellerie Chesery, die er 1962 im Ober-Gstaad erbauen liess.
Wohltätigkeit als Bollwerk gegen den Fundamentalismus
Palàcio Henrique de Mendonça, Lissabon, 2018: Karim Aga Khan IV. bestimmt am diamantenen Jubiläum seiner Thronbesteigung den Stadtpalast in Portugals Hauptstadt zum neuen, weltweiten Sitz seines Imamats. Substanzielle Steuervorteile hätten – so wird auf den sozialen Medien gemunkelt – beim Entschluss nachgeholfen, von Schloss Aiglemont bei Paris wegzuziehen.
Als einer der vermögendsten Männer der Welt ist der Prinz Grossaktionär bei mehreren Konzernen und besitzt Hotelketten, exklusive Ferienclubs, Banken, Zeitungen, Fluggesellschaften, Pferderennställe. Zudem unterhält er mit seinem Aga Khan Development Network (AKDN) eines der weltweit grössten privaten Hilfswerke. Das humanitäre Netzwerk führt vorzugsweise in Asien und Afrika Entwicklungsprojekte durch. Es fördert ebenfalls privates Unternehmertum, Architektur sowie Schulen und Universitäten, was als Bollwerk gegen den fundamentalistischen Islam verstanden wird. Denn der Milliardär bekennt sich zur liberalen Demokratie und engagiert sich für Frauenrechte. Obschon der inzwischen 86-jährige britisch-portugiesische Staatsbürger aufgrund seines Privatlebens, besonders wegen seiner Scheidungsaffären, in die Schlagzeilen geraten ist, geniesst er als geistliches Oberhaupt der Ismailiten bei seiner Gefolgschaft weiterhin grosses Ansehen. Für eine geordnete Nachfolge der über tausendjährigen Familiendynastie ist dieses Mal auch gesorgt: Einer der beiden Söhne aus Karim Aga Khans erster Ehe mit dem britischen Model Sarah Frances Croker Poole dürfte einst der 50. Imam der Nizari-Ismailiten und fünfter Aga Khan werden.
WELTOFFENER, GEMÄSSIGTER ISLAM
Abgesehen davon, dass der Aga Khan als Imam und Glaubensführer von seinen schiitischen Gefolgsleuten als unfehlbar angesehen und seinen Geboten unbedingt Folge geleistet wird, gibt es bei den Nizari-Ismailiten deutliche Abweichungen zum orthodoxen Islam: So haben die Wallfahrt nach Mekka und der Fastenmonat Ramadan nicht dieselbe grosse Bedeutung. Es gibt keine wöchentlichen Gebetstage, die Gläubigen treffen sich in Versammlungs- und Kulturzentren («Jamatkhana»), die weder ein Minarett aufweisen noch nach Mekka ausgerichtet sind. Gebetet wird nicht fünfmal am Tag – und nicht in der Gebetshaltung der Muslime. Frauenrechte und -bildung werden aktiv gefördert, Schleierzwang und Polygamie hingegen nicht.
DIE TRAGÖDIE UM DIE AUFTEILUNG BRITISCH-INDIENS
1947 wurde die Kronkolonie Britisch-Indien in die Unabhängigkeit entlassen, wodurch zwei Staaten entstanden: das mehrheitlich hinduistische Indien und das muslimische Pakistan (inklusive Ost-Pakistan, das spätere Bangladesch). Der jahrzehntelange, gewaltlose Widerstand der nationalistischen Kongress-Partei unter Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru hatte die Kolonialmacht Grossbritannien schliesslich in die Knie gezwungen. Allerdings forderte die Aufteilung des indischen Subkontinents, die darauffolgende Umsiedlung von Millionen von Menschen und Zusammenstösse zwischen den beiden Religionsgemeinschaften bis zu 500’000 Todesopfer. In der Folge kam es zwischen den beiden Ländern immer wieder zu bewaffneten Konflikten.
DAS AGA KHAN DEVELOPMENT NETWORK (AKDN)
Der Hauptsitz des Aga-Khan-Netzwerks befindet sich in Genf. Es wurde von Karim Aga Khan IV. gegründet und hat zum Ziel, Bildung und Kultur sowie die ländliche und wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu unterstützen. Gefördert werden u.a. Gesundheit, Landwirtschaft, Medien, Tourismus, Mikrokredite und Energieproduktion sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen, um die Lebensqualität der Menschen unabhängig von Glauben, Herkunft oder Geschlecht zu verbessern. Das AKDN unterhält Projekte in 35 Ländern, vorwiegend in Zentralasien, Südostasien, im Nahen Osten und in Ost- und Westafrika. Finanziert wird es von der Aga-Khan-Stiftung, in welche die Nizari-Ismailiten einen Teil ihres Einkommens einbringen. www.the.akdn
Quellen: Yann Kerlau: Les Aga Khans. Perrin, Paris 1990; Jean-Paul Bourre: Aga Khan, Nouvelle société des éditions Encre, 1982; öffentlich zugängliche Internetseiten (u.a. akdn.org, spiegel.de, sueddeutschzeitung.de, rts.ch, keystone-sda; ebay.com; de.wikipedia.org).