Familienorganisation vom Berg aus

  07.11.2022 Serie, Serie, Porträt

Schön ist es zweifelsohne, oben auf dem Hornberg zu wohnen, aber manchmal muss man sich arrangieren – vor allem mit dem Wetter. Kein Problem für Franziska Neuhaus. Auf eine ruhige und bodenständige Weise lebt sie ihre Welt.

SONJA WOLF
Warum sie Karin Ast, die letzte Alltagsheldin, wohl vorgeschlagen habe? «Ich weiss doch auch nicht!», kommt es spontan von Franziska Neuhaus. Dabei lacht sie bescheiden. Und auch ein wenig nervös – so ein Interview mit der Zeitung hat man schliesslich nicht jeden Tag ... Ihr Sohn Ben schaut auch gleich vorbei, neugierig, was da am Entstehen ist.

«Karin Ast war meine Grundschullehrerin», erklärt sie mir dann. «Auch heute sehen wir uns bei schulischen Anlässen oder sie kommt uns einen Besuch abstatten.» Ben ist (noch) nicht bei ihr in der Klasse, der Achtjährige geht noch in eine tiefere Stufe.

Apropos Schule: Gleich ist bei mir die Neugier geweckt. Vom Hornberg oben, wo die Familie während der Saison wohnt und das Berghotel bewirtschaftet, ist es schliesslich ein ganzes Stück hinunter bis zum Schulhaus in Schönried – und dann auch wieder hinauf! Wie organisiert sie die Transporte? «Im Sommer fahren wir Ben mit dem Auto, im Winter fährt er mit den Skiern hinunter. Ab Saanenmöser nimmt er dann das Schultaxi.» Bei fast jedem Wetter macht er die Abfahrt, erfahre ich, mit Rucksack und Stirnlampe, weil es am frühen Morgen noch dunkel ist – seit er sechs Jahre alt ist und mit dem zweiten Kindergartenjahr begonnen hat. Franziska Neuhaus oder ihr Mann André sind immer als Begleitung mit dabei. Meine Augen werden gross. Ich stelle mir den kleinen Jungen mit seiner Stirnlampe und einem schweren Schulrucksack am Ende einer kalten Winternacht bei der Abfahrt im Schneesturm vor. «Auch wenn es stürmt?»

Die junge Mutter winkt lachend ab. «Nein, nein, wenn es stürmt, braucht er nicht zu gehen, das ist mit der Lehrerin so abgesprochen.» Und sollte die Bergbahn wegen schlechter Wetterbedingungen nach Schulschluss nicht mehr fahren, könne er jederzeit spontan beim Götti oder Gotti unten im Dorf übernachten. Ich scheine die Augen immer noch ein wenig aufgerissen zu haben, denn mit einem – inzwischen ganz entspannten – Lächeln fügt sie hinzu: «Auch die Hotelgäste staunen manchmal, aber mein Bruder und ich, wir sind auch so aufgewachsen. Für uns ist das nichts Negatives, für uns ist das einfach ganz normal!» Sehr sympathisch wirkt sie beim Erzählen, bodenständig und ruhig. «Und wenn es mal mehrere Tage stürmt, sind wir eben abgeschnitten vom Tal. Aber verhungern und verdursten tun wir ja nicht. Dann hat man halt Familienzeit!»

Die Familie ist ihr wichtig, das merkt man gleich. Das Berghotel ist bezeichnenderweise ein Familienbetrieb. Franziska selbst ist gelernte Köchin und hat die volle Verantwortung für alles, was mit der Küche zu tun hat. Sie kocht auch selbst, aber nicht allein: «Es geht nicht ohne meine Mitarbeiter. Die wissen genauso viel wie ich auch», strahlt sie und man merkt ihr die Dankbarkeit für ihr hilfreiches Team förmlich an. Auch die anderen Familienmitglieder helfen tatkräftig mit: Ihr Mann André macht die Büroarbeiten und den Unterhalt rund ums und im Hotel, Mutter Regina Kübli leitet den Servicebereich. Ihr Bruder arbeitet zwar nicht mit im Betrieb, kommt aber im Sommer mit seinen Kühen «z Bärg».

Fast schon familiär geht es auch mit dem Personal zu und her. «Wir sind wie eine grosse WG», lacht die junge Frau. Denn ein Teil der Mitarbeiter wohnt mit der Familie oben auf dem Hornberg. Das bedeutet freilich nicht nur unbeschwerte Momente. «Man muss auch Kompromisse machen», gibt sie zu bedenken. Kein Wunder also, dass sie nach dem Trubel der Saison keinen aktionsreichen Hobbies nachgeht, sondern einfach die Ruhe im Saanenland geniesst.

Ihre Heimat liebt Franziska Neuhaus sowieso: «Das Saanenland habe ich nie gross verlassen, ich kann das irgendwie nicht! Ich bin ein Heimchüehli», charakterisiert sie sich selbst mit einem Augenzwinkern. Ihre Ausbildung zur Köchin im Golfhotel Saanenmöser habe ihr sofort gefallen und ihren kommenden Lebensweg vorgezeichnet. Drei Sommer hat sie «z Bärg» bei ihrer Cousine auf der Alp Plani Kühe gemolken, und beim Käsemachen mitgeholfen, bevor sie sich dann endgültig im Familienhotel niedergelassen hat, um sich ganz ihrer Berufung zu widmen: dem Kochen.

Genauso wie sie damals als Jugendliche das Leben «oben» voll angenommen hat und beispielsweise weniger im Ausgang war als vielleicht ihre gleichaltrigen Freunde, ist auch der kleine Ben komplett zufrieden mit seiner Situation. Sicher haben seine Eltern während der Saison nicht immer Zeit, ihn zu einem Spielkameraden ins Dorf hinunterzubegleiten, doch kommen die Kollegen häufig zu ihm hoch, im Winter mit ihren Eltern zum Skifahren oder im Sommer auf ein Eis. «Ausserdem lernt er hier Selbstständigkeit und kann sich auch gut alleine beschäftigen», weiss Mutter Franziska. Und freut sich besonders über die intakte kleine Welt oben auf dem Berg, wo schon sie selbst als Kind im Winter am nahegelegenen Hühnerspiellift Ski gefahren ist und der dortige Mitarbeiter Fritz auf sie geschaut hat. «Und jetzt, eine Generation später, schaut Fritz auf Ben.»

Wir stellen Ihnen Menschen vor, die jenseits der Schlagzeilen die Geschichte des Saanenlandes mitschreiben. Leute, die im Hintergrund Fäden spannen, ihr Umfeld mit ihrer Art bereichern oder ganz einfach anders sind. Die Serie rollt wie ein Schneeball durch die Region, denn die Porträtierten wählen jeweils selbst einen/eine Nachfolger/in. Auf Wunsch von Franziska Neuhaus besuchen wir als Nächstes Martin Hefti.


ZUR PERSON

Die 39-jährige Franziska Neuhaus ist eine echte Saanenländerin. Sie hat schon immer in der Region gelebt: in Schönried, Saanen und seit 2007 auf dem Hornberg, wo sie das Berghotel zusammen mit der ganzen Familie betreibt.

Sie ist verheiratet mit André Neuhaus aus Gsteig und hat einen achtjährigen Sohn. In ihrer Freizeit fährt sie Velo, schwimmt oder geniesst einfach die Ruhe zwischen den Hochsaisons.

SONJA WOLF


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