Amnesty-Gruppe Saanenland: Erinnerung an Marta Fotsch
22.03.2024 GesellschaftÜber 50 Jahre lang hat sich Marta Fotsch ehrenamtlich für politische Gefangene, Verfolgte und Bedrohte eingesetzt. Nun ist die Pionierin der Menschenrechtsarbeit in der Schweiz gestorben.
Für unsere kleine Saaner Gruppe von Amnesty International war Marta ...
Über 50 Jahre lang hat sich Marta Fotsch ehrenamtlich für politische Gefangene, Verfolgte und Bedrohte eingesetzt. Nun ist die Pionierin der Menschenrechtsarbeit in der Schweiz gestorben.
Für unsere kleine Saaner Gruppe von Amnesty International war Marta eine besondere Bezugsperson. Sie unterstützte uns beim Engagement für die politisch verfolgten Bauern in der im Bürgerkrieg hart umkämpften Friedensgemeinde von San José de Apartadò in Kolumbien. Seit über 20 Jahren pflegen wir einen Austausch mit der kolumbianischen Berggemeinde. Es gibt mehrere Bezugspunkte zwischen den kolumbianischen und schweizerischen Bergbauern: gebirgige Landflächen, bedrohliche Abwanderung, harte Arbeit – dazu kommen aber in Kolumbien die komplett fehlende staatliche Unterstützung, der fehlende Schutz vor den gewalttätigen Guerillagruppierungen, die staatlich geduldete Straffreiheit von Verbrechern, keine Infrastruktur und die Tolerierung der Ausbeutung durch international tätige Rohstoffkonzerne. Letzteres leider auch dank der Akzeptanz der schweizerischen Gesetzgebung, die es vielen Grosskonzernen ermöglicht, in solchen rohstoffreichen Gebieten durch verantwortungslose und umweltschädigende Abbaumethoden grosse Gewinne vorbei an der lokalen Zivilbevölkerung und dem Fiskus vorbeizuschleusen und in der Schweiz anzulegen.
Die Bauerngemeinde geriet durch den Reichtum an Rohstoffen im Bürgerkrieg immer zwischen die Fronten der verschiedenen Bürgerkriegsparteien. Marta zeigte uns auf, wie wir dank und mit der grosszügigen Unterstützung der Kirchgemeinde Gsteig-Feutersoey, neu Saanen-Gsteig, diesen Bauern Hilfe leisten konnten: Unterstützung für die gemeindeeigene Schule, für Saatgut, für Personenschutz und wichtig: dank der internationalen Aufmerksamkeit und Präsenz etwas mehr Sicherheit bei der alltäglichen Arbeit. Unter mehreren Malen konnten wir uns dank Marta mit Menschen aus der Friedensgemeinde treffen oder Anlässe mit Leuten organisieren, die als Friedensbeobachter oder private Besuchende direkten Kontakt mit der Gemeinde hatten. Wir sind froh, dass diese Unterstützung bis heute erhalten bleibt, aktuell mit Hilfe der PBI (Peace Brigades International) Schweiz, die vor Ort Einsätze durch Menschenrechtsbeobachter organisieren.
Wir hatten Marta durch unsere länderspezifische Arbeit für Amnesty International kennengelernt. Anfang der Achtzigerjahre beschäftigten uns die ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen im von General Pinochet beherrschten Chile. Bald verschoben sich die Schwerpunkte in den Norden Südamerikas, wo in Argentinien, Peru und Kolumbien Militärdiktaturen und blutige Bürgerkriege die Zivilbevölkerung bedrohten. Mehrere aus unserer Amnesty-Gruppe hatten dank Reisen und Freunden verschiedene Bezüge zu Südamerika. Das motivierte uns, genauer hinzuschauen und zu versuchen, die Ursachen der Gewaltausbrüche zu verstehen und uns für Verfolgte einzusetzen. Dabei konnten wir uns immer auf Martas Hintergrundwissen stützen. Sie arbeitete sich akribisch durch Aktenberge. Ihre Berichte waren immer präzise, was uns gut informierte und ihr bei Regierungsstellen grosse Anerkennung verschaffte.
Marta reiste durchschnittlich zweimal pro Jahr nach Südamerika, arbeitete als Länderspezialistin, traf sich mit Menschenrechtsorganisationen, verhandelte mit Regierungsstellen, Anwält:innen, der Armee, besuchte Gefangene und deren Familien, organisierte die medizinische Betreuung von Folteropfern, leistete Hilfe für Angehörige. Bis in die entlegensten Gegenden war sie gereist und hatte den Menschen oft stundenlang zugehört. «Es dient nicht nur anderen, sondern auch einem selbst», sagte Marta in einem Interview zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit.
Am 12. Februar ist Marta Fotsch an den Spätfolgen eines Gehirnschlags gestorben. Die kolumbianische Menscenhrechtsverteidigerin Berenice Celeyta schreibt: «Es gab Zeiten, in denen wir nichts voneinander wussten, aber wir wussten, dass sie da war; dass wir eine schützende Fee mit einer sanften Stimme und einem freundlichen Lächeln aus den Alpen hatten, die den stärksten Stürmen trotzen konnte.» Wir sind mit vielen zusammen traurig über Martas Tod – wie andere Verteidiger:innen der Menschenwürde, der Rechte für alle, fehlt sie uns gerade in der heutigen Zeit schmerzlich. Nun liegt ihre Hoffnung bei uns.
Wir hatten das Glück, Marta kennengelernt zu haben. Ihre bedingungslose Hingabe für die Arbeit für den Erhalt und die Durchsetzung der Menschenrechte soll uns Inspiration und Vorbild bleiben. Wir würden uns freuen, neue Gesichter in unserer Gruppe willkommen zu heissen, welche uns in unserem Engagement tatkräftig unterstützen.
VERENA MARTI, AI GRUPPE 13 SAANENLAND

