Anja von Allmen auf der Erfolgswelle
10.11.2023 GstaadIm Oktober qualifizierte sich die Spiezerin Anja von Allmen dafür, im Alinghi Red Bull Racing Team am Youth & Women’s America’s Cup 2024 dabei zu sein. Dazu kam der Vizeweltmeistertitel U21 nur zehn Tage später. Kurz vor ihrer Abreise ins Trainingslager nach Portugal ...
Im Oktober qualifizierte sich die Spiezerin Anja von Allmen dafür, im Alinghi Red Bull Racing Team am Youth & Women’s America’s Cup 2024 dabei zu sein. Dazu kam der Vizeweltmeistertitel U21 nur zehn Tage später. Kurz vor ihrer Abreise ins Trainingslager nach Portugal führten wir ein Interview mit ihr. Darin spricht Anja von Allmen darüber, wie sie zum Segelsport kam, dass es nicht immer so rund lief und wohin sie – metaphorisch gesprochen – noch möchte.
«In den letzen Wochen ist fast alles wie ‹am Schnüerli› aufgegangen»
«Diese Medaille bedeutet mir sehr viel», mit diesen Worten nahm die Seglerin Anja von Allmen im Oktober die Silbermedaille an den U21-Weltmeisterschaften in Tanger in Empfang. Ausserdem qualifizierte sie sich Team Alinghi Red Bull Racing und dessen Teilnahme am Youth & Women's America's Cup 2024 Im Interview mit der jungen erfolgreichen Athletin aus Spiez wird klar, dass da noch mehr kommen könnte.
JENNY STERCHI
Sie sind in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden. Wie alt waren Sie, als Sie mit dem Segeln begonnen haben?
Meine Eltern haben mich schon als Kleinkind auf unser Segelboot mitgenommen. Das Steuer selber in die Hand genommen habe ich dann mit acht Jahren in der Sommersegelwoche der Segelschule Thunersee.
Sie leben in Spiez. Ausser dem Thunersee sind die Anknüpfungspunkte für den Segelsport im Berner Oberland ja sehr klein. Das Meer ist weit weg. Wieso haben Sie dennoch zum Segeln gefunden?
Segeln wurde mir so gesehen in die Wiege gelegt. Nach dem Opti-Kurs der Segelschule (Anm. d. Red.: Optimist = kleine und leichte Jolle für Kinder und Jugendliche, Einstiegsklasse für den Regattasport) bin ich in eine coole Trainingsgruppe geraten, zuerst beim Yacht Club Spiez und später bei Optimist Thunersee und dem Regattaclub Oberhofen. Ich hatte Spass, ein super Umfeld und irgendwann stellten sich die Erfolge ein.
Wie trainiert eine Seglerin, wenn sie nicht auf dem Wasser ist?
Sehr viele Stunden im Kraftraum oder auf dem Rennvelo in der Natur. Wir trainieren mindestens sechs Mal pro Woche, meistens zwei bis drei Stunden. Im Moment liegt der Fokus bei mir auf Kraft und Muskelaufbau, im Frühling werden wir dann wieder mehr Ausdauer einbauen.
Segelsport ist eine Outdooraktivität und demnach vom Wetter abhängig. Was, wenn an einer Regatta einfach kein Wind aufkommen will? Und anders herum, bis zu welcher Windstärke kann gesegelt werden?
That’s life. Dieser Sport ist eben wetterabhängig und das können wir auch nicht ändern. Grundsätzlich wird, wenn immer möglich, versucht zu starten. Bei Flaute muss halt ab und zu das Race wieder abgebrochen werden, um Fairness gewährleisten zu können. Mit dem ILCA 6 kann man grundsätzlich gut mit bis zu 35 Knoten Wind segeln. Normalerweise wird aber nicht gestartet, wenn das Race Committee konstant mehr als 25 Knoten misst.
Sie haben sich mit dem Vize-Weltmeistertitel kürzlich in Marokko und der frühzeitigen Qualifikation fürs Team Alinghi Red Bull Racing und dessen Teilnahme am Youth & Women's America's Cup 2024 als talentierte Sportlerin empfohlen. Können Sie die Aufmerksamkeit, die Sie geweckt haben, geniessen oder setzt es Sie eher unter Druck?
In den letzen Wochen ist tatsächlich fast alles wie «am Schnüerli» aufgegangen. Ich habe es immer noch nicht ganz realisiert, die Medien und Aufmerksamkeit ändern das auch nicht. Es ist schön, dem Sport so etwas zurückgeben zu können. Ich mag es, mit den Medien zu arbeiten und so meine Geschichte und Erfahrungen teilen zu können. Druck spüre ich dadurch nicht, im Gegenteil, es motiviert mich und ich hoffe, dass irgendwo ein junges Mädchen einen Bericht liest und denkt: «Wow, das mach ich auch».
Die letzte Qualifikationsrunde fürs Alinghi-Team wurde in Barcelona ausgetragen. Auch der Youth America's Cup, der nächstes Jahr parallel zum 37. America’s Cup stattfindet, wird in Barcelona durchgeführt. Wird es im gleichen Gewässerabschnitt sein?
Alle drei geplanten Cups werden vor Barcelona gesegelt. Der Youth und der Women’s America’s Cup finden kurz vor dem 37. America’s Cup auf dem selben Gewässer statt.
Gegen wie viele Qualifikantinnen haben Sie sich durchgesetzt?
Ursprünglich hatten sich rund 90 Schweizer Seglerinnen und Segler beworben. In der zweiten Selektionsphase waren noch 69 dabei, bevor 20 von uns für die finale Selektion nach Barcelona eingeladen wurden. Von diesen 20 wurden zwölf für das Youth and Women’s Team ausgewählt. Es war eine grosse Ehre, mit dem Golden Ticket als erste Frau schon vor Ende der letzten Qualifikationsrunde einen fixen Platz im Team zu erhalten.
Sie sind schon sehr weit gekommen im Segelsport. Hatten Sie auf dem Weg dahin mal Zweifel oder Verletzungspausen?
Im Leistungssport sind gewisse Zweifel wohl normal, man wird schliesslich an Resultaten gemessen, einer Zahl auf dem Papier. Ich bin sehr selbstkritisch und es fällt mir leicht, alle Sachen zu sehen, die ich noch verbessern muss. Da ist es einfach, zu vergessen, wie weit man schon gekommen ist und diesem eher negativ und kritischen Mindset zu viel Platz im Kopf einzuräumen. Zu einigen krankheits- und verletzungsbedingten Pausen kamen Trainingsunterbrüche wegen Übertraining und Erschöpfung. Je weniger zufrieden ich mit meiner Leistung war, desto mehr habe ich trainiert, bis es nicht mehr weiterging. Das war wohl einer der wichtigsten «Lehrblätze» bis jetzt. Zeit für Regeneration ist mindestens ebenso wichtig wie die Trainingseinheiten selbst.
Und wohin möchten Sie gern? Welches sind Ihre Ziele?
Mein grosses Ziel ist und bleibt Olympiagold, bevorzugt in Los Angeles 2028. Und je mehr ich in der Alinghi-Red-Bull-Racing-Welt Erfahrungen sammle, desto mehr reizt mich der Gedanke, eines Tages den America's Cup in einem Hauptteam zu segeln.
Sie sind demnächst in Portugal in einem Trainingslager. Sind Sie dann auch in einem Team unterwegs?
Ich habe das Glück, dass ich mit der Waadtländerin Maud Jayet – Elite Vizeweltmeisterin und bereits selektioniert für Olympia 2024 – trainieren kann. Im ILCA 6 Squad von Swiss Sailing Team trainieren wir zusammen mit unserem Coach Mikael Lundh. Je näher die Olympischen Spiele kommen, desto wichtiger sind verlässliche Trainingspartner. So weiss Maud, dass sie immer mindestens ein weiteres Boot dabeihat, ohne den Konkurrenzkampf zwischen den Nationen.
Wie müssen wir Nichtsegler uns Ihren Trainingsalltag vorstellen?
Als Allererstes am Morgen brauche ich etwas zu essen, sonst bin ich unausstehlich. In einem Trainingslager steht dann zuerst ein Konditionstraining an, danach erneut eine Mahlzeit und idealerweise ein Powernap. Danach wird das Segeltraining vorbereitet, Energieriegel, Gels, Wasser und der Proteinshake für die optimale Regeneration nach dem zwei- bis dreistündigen Training auf dem Wasser. Als Letztes stehen das Debriefing und circa 30 Minuten lockeres Velofahren auf dem Programm. Und dann früh schlafen gehen. Zu Hause bin ich flexibler, je nach Tagesprogramm baue ich meine Fitnesstrainingseinheiten ein.
Hat es im Moment neben dem Sport Platz für einen Beruf oder Studium oder Ähnliches?
Die Zeit wird schon knapp neben dem ganzen Programm. Offiziell bin ich am Studieren. Allerdings bin ich in den Prüfungsphasen so oder so nicht in der Schweiz, deshalb fokussiere ich mich im Moment auf die Regeneration sowie auf Sponsoren und Medien, wenn ich zu Hause bin.
In der Pressemeldung zum Top-Resultat in Marokko war von «sehr unterschiedlichen und anspruchsvollen Bedingungen» zu lesen. Wie müssen wir Daheimgebliebenen uns das vorstellen?
Tanger liegt in der Strasse von Gibraltar, das Revier ist also sowohl vom Atlantik, dem Mittelmeer als auch von den Wettersystemen über Europa und Afrika beeinflusst. Wir hatten während der Weltmeisterschaft verschiedene Tief- und Hochdruckgebiete, welche Wind, aber auch Flauten brachten. Keine zwei Tage hatten wir ähnliche Bedingungen. Das machte die Regatta interessant, man konnte nicht auf die Erfahrungen des Vortages zurückgreifen, denn die Strategie und Windverteilung über der Racing Area änderte sich jeden Tag. Man musste jeden Tag aufs Neue alle Informationen sammeln und interpretieren. Mit den unterschiedlichen Winden, Wellen und wechselnder Strömung brauchte es zudem jeden Tag andere spezifische technische Skills, um schnell zu sein.
Sie sind sowohl Mitglied im Swiss Sailing Team (SST) als auch im Gstaad Yachtclub Racing Team. Was bedeutet das für Ihre Wettkampfagenda? Ist das SST wie ein Nationalteam zu verstehen?
Das Swiss Sailing Team ist unser Nationalkader, ich trainiere dort mit der Schweizer Vizeweltmeisterin Maud Jayet im Squad. So können wir Ressourcen effizienter einsetzen und einander pushen. Das Gstaad Yachtclub Racing Team unterstützt mich auf diesem Weg im Projektmanagement mit der grossen Erfahrung in Olympiakampagnen und im Elitesport.
Was bedeutet für Sie die Mitgliedschaft im Gstaad Yachtclub Racing Team für Sie als aufstrebende Seglerin?
Der Gstaad Yacht Club ist schweiz- wie auch weltweit sehr gut vernetzt, hat langjährige Erfahrung in der Begleitung von Olympioniken und Olympionikinnen und verfügt über ehemalige Olympiateilnehmer in den eigenen Reihen. Dank der Mitgliedschaft im Racing Team kann ich von diesen Erfahrungen profitieren und konnte meine eigene Olympiakampagne von Anfang an professionell aufgleisen.
Im Alinghi Red Bull Racing Team hat es neben den Schweizerinnen auch eine Französin und eine Italienerin. Demnach steht es nicht ausschliesslich Schweizer Seglerinnen offen?
Alle Segelmitglieder des Schweizer Teams Alinghi Red Bull Racing müssen einen Schweizer Pass haben, einige im Team segeln international in anderen Kategorien jedoch unter anderen Flaggen.
Was steht in den kommenden Wochen bezüglich Segelsport auf dem Programm?
Am Donnerstag (gestern, Anm. der Red.) reise ich nach Portugal für die nächsten Trainingsblöcke. Dort trainieren wir während des nächsten Monats für die Elite-Weltmeisterschaften in Mar del Plata, Argentinien, Anfang Januar 2024.