Musikalische Horizonterweiterung

  08.01.2024 Kultur

Zwei bemerkenswerte Instrumentalistinnen machen den schönsten «Lärm» überhaupt, und eine vielseitige Sopranistin vereint mehrere Kulturen friedlich.

ÇETIN KÖKSAL
«Shum» ist das ukrainische Wort für Lärm. Die Pianistin Anastasia Rizikov und die Cellistin Lisa Strauss haben ihr Duo «Shum» benannt, um einerseits auf ihre slawischen Wurzeln hinzuweisen und andererseits ihrer Herzensangelegenheit, dem Bekanntmachen von zentral- und osteuropäischer Musik, Ausdruck zu verleihen. Die in Kanada geborene Rizikov ukrainischer Abstammung musiziert seit gut eineinhalb Jahren mit der Französin Strauss zusammen, welche russische Vorfahren hat. Nach Rougemont brachten die beiden ein spannendes Programm, bestehend aus Komponisten des 20. Jahrhunderts. «Spiegel im Spiegel» von Arvo Pärt war ebenso dabei wie Alfred Schnittkes erste Sonate für Cello oder Fazil Says «4 Städte».

Das Duo «Shum» fiel sofort durch sein harmonisches Zusammenspiel auf, wobei es den jungen Musikerinnen gelang, ihre Vorstellung, ihr Verständnis der Werke überzeugend zu interpretieren, ohne dabei den von der Komposition gesetzten Rahmen zu verlassen. Dieser delikate Balanceakt zwischen individueller Gestaltung und zurückhaltendem Respekt vor der Komposition ist eine grosse Herausforderung im Beruf des Interpreten. Bei Lisa Strauss und Anastasia Rizikov erhielt man den Eindruck, dass sie sich fundiert mit den Werken auseinandersetzen. Das Ergebnis war – in Kombination mit einer guten Intuition – eine grosse Bereicherung für das Publikum. Von lieblich sanft bis kraftvoll bestimmt beherrschten sie ein sehr weites Klangspektrum, ohne je in der einen oder anderen Richtung zu übertreiben. Wer dort war, liess sich in den Bann ihrer Musik ziehen und folgte dem Duo neugierig auf seiner abwechslungsreichen Repertoirereise.

Schade, dass nicht viele in diesen Genuss kommen wollten oder konnten. Die Kirche Rougemont war nur spärlich besetzt – eine etwas ernüchternde Tatsache, die leider für die meisten Konzerte der Reihe «Junge Talente» des aktuellen Gstaad New Year Music Festivals gilt. Möchte das Publikum vorwiegend bekannte Stars hören? Auch sie waren einmal junge Talente und freuten sich über jeden Zuhörer, der durch sein Kommen Interesse und Glaube an die nachfolgende Musikergeneration ausdrückte. Überraschung, Vitalität, neue Herangehensweisen und Ansichten bieten dem Publikum vor allem die noch am Anfang ihrer Karriere stehenden Jungen.

Orient in Lauenen
In der Blüte ihrer Karriere befindet sich die Sopranistin Fatma Said, die auf den ganz grossen Konzert- und Opernbühnen der Welt präsent ist. Welch eine Chance, sie im intimen Rahmen der Kirche Lauenen zu hören.

Die gebürtige Ägypterin begann ihre Programmreise in Frankreich mit Werken von Gabriel Fauré, Francis Poulenc und Michel Legrand, machte einen Abstecher zu Kurt Weill nach Deutschland, bevor sie den Atlantik überquerte, um zu den Argentiniern Astor Piazzolla, Carlos Gardel und Ángel Villoldo zu gelangen. Zurück im Mittelmeerraum besuchte Said mit Stücken von Elias Rahbani und Najib Hankash den Libanon und mit «Yamama Beida» von Dawood Hosni und «Bahlam Maak» von Hani Shenouda ihr Ägypten. Ihre warme Sopranstimme meisterte diese facettenreiche Reise durch verschiedene Kulturen und Stile meisterlich. Eindrücklich, wie natürlich Fatma Said in die jeweiligen Rollen schlüpfte und sich geschmeidig – im besten Sinne – einfügte. Ihrem Begleiter auf dem Klavier, Tim Allhoff, gelang eine sensible, aufmerksame Musikpartnerschaft mit der Sängerin. Man spürte, dass die beiden ein eingespieltes Team sind, haben sie doch bereits bei Saids Debutalbum «El Nour» (arabisch «das Licht») vor drei Jahren zusammengearbeitet. Der vielseitige Allhoff arbeitet auch als Komponist und gab in Lauenen zwei Eigenkompositionen für Soloklavier zum Besten, wobei seine Liebe für den Jazz durchschien. Jazzig waren dann ebenso die beiden Zugaben und staunend durfte das Publikum feststellen, dass auch dieses Genre Fatma Said leicht «von der Zunge ging».

Bestimmt wird dem einen oder anderen während des begeisterten Applauses ebenso durch den Kopf gegangen sein, wie schön die Welt sein könnte, wenn sich Orient und Okzident so offen, respektvoll, neugierig, tolerant und sanftmütig wie am letzten Freitag in der Kirche Lauenen begegnen würden. Fatma Saids Musik verband dies in einem weiten Bogen und regte zum Träumen an – auf dass die Träume wahr werden!


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