Bergläufer sind nicht Bergsteiger

  14.10.2024 Sport

Obwohl beide das gleiche Ziel haben, nämlich den höchsten Punkt eines Berges zu erreichen, unterscheiden sie sich ganz wesentlich in der Art und Weise, wie sie ihr Ziel erreichen wollen. Während für Bergsteigende die Devise «In der Ruhe liegt die Kraft» gilt, kennen Bergläuferinnen und -läufer nur eine Strategie: «Ohne Uhr geht gar nichts.»

EUGEN DORNBIERER-HAUSWIRTH
Der Rinderberg lockte am Sonntag, 13. Oktober 28 Kinder und Jugendliche sowie 21 Frauen und 51 Männer nach Zweisimmen. Sonja Kurth, Koordinatorin Tourismus und Sport Zweisimmen, lud ein zum fünften Rinderberglauf. «Dass dem so ist, ist alles andere als selbstverständlich und nur einem flotten Team von fleissigen und kompetenten Helferinnen und Helfern zu verdanken», betonte Sonja Kurth, die sich als Teil des Teams und nicht als OK-Präsidentin, verstanden haben will. «Schön, der Rinderberglauf überlebte die Coronajahre und darf mit der fünften Austragung ein kleines Jubiläum feiern.» Wäre das OK eine AG, dann hiesse diese Abkürzung nicht Aktiengesellschaft, sondern «ausserordentlich gefällig».

Schwierige äussere Bedingungen
Eigentlich hätte die Sonne um 7.29 Uhr das obere Simmental begrüssen müssen. Apostel Petrus entschied sich allerdings für eine weniger helle Beleuchtung, offenbar wollte er der Bevölkerung noch etwas Schlafzeit gönnen. Eine Stunde vor Beginn der Laufevents regnete es wie aus Kübeln. Zudem war es kalt. Der Rinderberg war in dicken Nebel eingehüllt. Ein Läufer, es muss einer aus dem Unterland gewesen sein, fragte gar: «Wo ist eigentlich der Rinderberg?»

Im Startgelände hing ein Werbebanner mit dem Slogan: «Zweisimmen, das Sonnendorf am Rinderberg.» Und als der Speaker Matthias Kurt die Anwesenden begrüsste, schien die Sonne noch immer nicht, aber Stimmung kam auf.

Kinder und Jugendliche, eingeteilt in vier Kategorien, eröffneten den sportlichen Anlass. Vor allem bei den Kategorien Kids Mini und Kids ging es amüsant zu und her. Begleitet von ihren Eltern, älteren Geschwistern, aber auch von Tanten, Onkeln und Grosseltern, warteten die Laufeinsteigerinnen und -einsteiger oft zappelig, oft gelangweilt auf den Startschuss. Dann: ab wie die Feuerwehr und mit pochenden Herzen und roten Köpfen – manche lachten, einige weinten, aber alle erfreuten sich nach dem Zieleinlauf am Erinnerungsgeschenk, das ihnen von freundlichen Helferinnen um den Hals gelegt wurde.

Um 10 Uhr – gemäss Protokoll des Zeitnehmers um 9.59:40.979 – schickte Speaker Matthias die Schar der Bergläufer:innen auf den Weg. Die Läuferinnen und Läufer, eingeteilt in fünf Alterskategorien, lösten sich in Form eines Bienenschwarmes aus der Startzone, um bereits nach 100 Metern aufgereiht wie an einer Perlenkette der Simme entgegen zu laufen.

Die Laufstrecke
Der Rinderberglauf kann mit einem viergängigen Menu verglichen werden. Die ersten vier Kilometer zum Zusammenfluss der Simmen, dann zurück ins Dorf, sind flach. Das motivierte vier Läuferinnen und sechs Läufer, das Lauftempo der 15 Schnellsten mitzugehen. Dadurch überlasteten sie ihr Herzkreislaufsystem, was zur Folge hatte, dass sie bis ins Ziel mehrere Ränge, teilweise zwischen 11 und 21, verloren. Das ist, um bei einem viergängigen Menü zu bleiben, als ob man von der Vorspeise zu viel einnehmen würde und dann für die folgenden Gänge keinen Appetit mehr hätte.

Klug lief, wer für den zweiten und dritten Abschnitt mit 11 bis 23 Steigungsprozenten noch genügend Power hatte. Und das eigentliche Piece de Résistance wäre der vierte Abschnitt, die letzten 300 Meter (24,7% Anstieg) hinauf zum Adler auf 2078m ü.M., gewesen. Leider musste dieser «Gang», eigentlich das Dessert, des starken Windes wegen aus der Menükarte gestrichen werden.

Glückshormone
Vor dem Bergrestaurant Rinderberg-Spitz herrschte wettermässig alles andere als Sonnenschein. Aber Matthias, der engagierte und aller Kälte trotzende Speaker, verstand es, 21 Finisherinnen und 51 Finisher so herzlich zu begrüssen, dass einem warm ums Herz wurde. Die von den Strapazen gezeichneten Gesichter der Läufer:innen entspannten sich unmittelbar nach Überquerung der Ziellinie. Sie erlebten pures Glück. Dies, weil das Adrenalin aus dem Körper wich, um Glücksgefühlen Raum zu geben. Man freute sich, den Berg gemeistert zu haben.

Zu guter Letzt blinzelte die Sonne durch den sich auflösenden Nebel. Mit der Gondelfahrt ins Tal, ein geschicktes Sponsoring der Bergbahnen Destination Gstaad AG, endete ein nass-kaltes Berglauferlebnis in beinahe warmem Sonnenlicht.

Alexandra Zürcher aus Latterbach lief den Rinderberglauf zum ersten Mal und meinte im Ziel: «Auf dem flachen Teilstück lief ich eher zu schnell. Auf den Weiden war es sehr rutschig, ein Schritt vorwärts und zwei rückwärts. Ich versuchte, mich schnellstmöglich vorwärts zu bewegen. Den letzten steilen Anstieg kannte ich nicht, habe aber für den Entscheid des Organisators Verständnis, dass wir nicht bis hinauf zum Adler laufen mussten oder durften.

Patrick Feuz aus der Lenk, der den Rinderberglauf nach 2020, 2021 und 2022 wiederum gewann, beschrieb seinen Lauf mit folgenden Worten: «Ohne den Pacemaker Tom Elmer* wäre ich das erste Teilstück eher etwas langsamer gelaufen. In der Mitte des Laufes hatte ich eine Krise, was für mich eigentlich normal ist. Ich musste das Lauftempo drosseln. Im Vergleich zu vorangegangenen Austragungen war der Untergrund ‹pflotschig›, glitschig. Das kostete viel Kraft. Ich laufe ohne Pulsuhr, höre auf meine innere Uhr. Aber so um die 170P/Minute werden es gegen Ende schon gewesen sein.»

*Pacemaker Tom Elmer ist ein Mittelstreckenläufer. Zwischen 2019 und 2023 wurde Elmer jedes Jahr Schweizermeister im 1500-Meter-Lauf im Freien sowie 2020, 2022 und 2023 in der Halle. In der Kategorie M20 meisterte er den Berglauf in 1.56:28.0.

Auszug aus den Ranglisten:
Frauen: W20:
1. Zürcher Alexandra, Latterbach, 1.22:02.6. W40: 1. Kohler Cécile, St. Stephan, 1.31:09.5. W50: 1. Hadorn Judith, Fahrni, 1.34:27.0. W60: 1. Germann Ruth, Adelboden, 1.41:37.1. U20: 1. Kohler Juliana, St. Stephan, 1.33:58.8.
Männer: M20: 1. Kilchör Matthias, Uettligen, 1.11:01.7. M40: 1. Feuz Patrick, Lenk, 1.07:10.7.
M50: 1. Messerli Rolf, Oberstocken, 1.13:51.3.
M60: 1. Wyss Markus, Liestal, 1.30:41.1. U20: 1. Kohler Taino, Thun, 1.10:12.4.

Teilnehmer:innen aus dem Saanenland
Frauen: W20:
5. Reichenbach Jenny, Gstaad, 1.42:04.6. U20: 2. Marti Lara, Gstaad, 1.43:09.9; 3. Marti Lynn, Gstaad, 1.55:40.5. U13: 1. Bach Zoe, Turbach, 12.30.98. Männer: M20: 6. Romang Neil, Gstaad, 1.20:29.3; 15. Oehrli Michel, Saanen, 1.37:21.2.
Vollständige Ranglisten: www.fairplay-timing.ch

 


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