Bilingue
31.07.2025 KolumneIm zweisprachigen Kanton Bern ist die gemütliche Ruhe vorbei, seit der Gemeinderat der Stadt Bern entschieden hat, einen erfolgreichen und zweisprachigen Schulversuch nach nur sieben Jahren demnächst zu beenden.
Ausgerechnet in der Bundesstadt Bern. Hier hört man auf der ...
Im zweisprachigen Kanton Bern ist die gemütliche Ruhe vorbei, seit der Gemeinderat der Stadt Bern entschieden hat, einen erfolgreichen und zweisprachigen Schulversuch nach nur sieben Jahren demnächst zu beenden.
Ausgerechnet in der Bundesstadt Bern. Hier hört man auf der Strasse, in den Läden oder unter den Lauben oft, manchmal mehr und dann wieder weniger, Französisch. In Zürich, wo ich aufgewachsen bin, ist es ähnlich. Aber dort herrscht der «bilingualism»: Züridütsch and English. Anderseits ist der Berner Jura offiziell französischsprachig, während in Biel und auch im Seeland beide Sprachen gesprochen werden.
Der kulturelle Reichtum der Schweiz besteht vor allem in den vier Landessprachen Rätoromanisch, Italienisch, Französisch und Deutsch. Einzigartig in ganz Europa. Aber vielleicht sind sich die fünf Mitglieder des Gemeinderats nicht im Klaren, welchen Platz die Sprache und die Sprachenvielfalt in unserem Leben einnimmt. Und schon gar nicht, welche kulturelle Rolle «la langue française» spielt: «La langue française, en tout, est lumière. Par la netteté même avec laquelle elle définit les notions, par les rayons dont elle éclaire les choses, elle rend certains arrangements moins faciles: elle force les gens à prendre conscience de ce qu’ils accomplissent. Le lecteur se convaincra que je ne tire pas ces idées de mon fonds : elles sont éparses, avec beaucoup d’autres, dans ce livre de Jean Humbert, où la sagesse brille partout comme de la poudre d’or.» Die Rede ist hier vom Autor des Buchs «Le français vivant», dem wir Schüler des damaligen «Collège cantonal St-Michel Fribourg» unsere Neigung zur französischen Sprache verdanken.
Über die verschiedenen Sprachen und Sprachfamliien entstehen Gemeinschaften. Das bedeutet, den Verstand vorausgesetzt, menschliche Verständigung. Die Folgen gemeinsamer Denkweisen sind Zusammenhalt, Integration aber auch Abgrenzung. Selbst Krieg und Frieden entstehen letztlich auch über die Sprachen.
Der lateinisch gebildete Philosoph René Descartes wählte für sein Hauptwerk «Discours de la méthode» im Jahr 1637 die französische Sprache anstelle des damals üblichen Lateins. Warum? Descartes wollte seine Ideen den Landsleuten zugänglich machen, sie popularisieren. Le français war die Umgangssprache.
Wie heute noch in der Suisse romande. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider äusserte sich kürzlich in einem SRG-Interview so: «Die Mehrsprachigkeit ist eine Stärke und Teil unserer Identität. Sie entsteht in der Schule. Die Kantone haben Frühfranzösisch einst mitgetragen. Nun stellen es einige infrage und das muss man ernst nehmen.»
Dessen ungeachtet sagt die Stadtberner Bildungsdirektorin Ursina Anderegg zum Entscheid, den Schulversuch abzubrechen : «Ich stehe zu hundert Prozent dahinter.» Er sei «sorgfältig diskutiert und abgewogen» worden.
Vielleicht fehlt im Büchergestell des Berner Gemeinderats die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Denn dort würde man seit der Volksabstimmung vom 20. Februar 1938 den Artikel 70 mit dem Titel «Sprachen» finden.
Dessen Absatz 2 lautet wie folgt: «Die Kantone bestimmen ihre Amtssprachen. Um das Einvernehmen zwischen den Sprachgemeinschaften zu wahren, achten sie auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.»
Aber dem Berner Gemeinderat kann dieser Artikel 70 der Bundesverfassung ohnehin nicht geläufig sein, sonst hätte er nämlich auch noch den dortigen Absatz 4 beachten müssen: «Der Bund unterstützt die mehrsprachigen Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben.»
Doch wir trösten uns mit dem geflügelten Wort:
«Was nicht ist, kann noch werden.»
OSWALD SIGG
JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER oswaldsigg144@gmail.com